Zehn Jahre prägte Antonio Loprieno als Rektor die Universität Basel. Jetzt hört er auf. Er gebe sein Amt mit einem guten Gefühl ab – auch wenn die finanzielle Unterstützung aus dem Baselbiet mal wieder auf der Kippe stehe und er ein Ziel nicht erreicht habe, sagt Loprieno.
Antonio Loprieno ist auf dem Sprung. In seinem Büro am Petersplatz stehen Kisten herum, die Bilder an den Wänden hat er bereits abgehängt. Nur noch wenige Wochen, dann gibt der 60-Jährige sein Amt als Rektor der Universität Basel ab. Im Gespräch macht er wie immer einen zufriedenen und lockeren Eindruck. Es werde ihm allerdings schwerfallen, sich künftig nicht mehr einmischen zu dürfen, sagt der äusserst freundliche und charmante Loprieno.
Herr Loprieno, in wenigen Wochen hören Sie als Uni-Rektor auf. Spüren Sie Wehmut?
Und wie! Es ist ein Verlust, dieses Amt nicht mehr auszuführen. Aber es ist ein gewollter Verlust. Denn ich spürte vor meiner Rücktrittsankündigung auch Zeichen von Amtsmüdigkeit. Deshalb fühle ich mich nun auf eine Art auch befreit.
Gehen Sie mit einem guten Gefühl?
Mit einem sehr guten.
Das ist schwer zu glauben, zumal die Baselbieter SVP fordert, dass der Vertrag über die gemeinsame Trägerschaft der Uni Basel gekündigt wird – und sogar die Baselbieter Regierung denkt über eine Kürzung der Beiträge nach. Das müsste Sie doch beunruhigen.
Selbstverständlich ist das keine schöne Angelegenheit. Dennoch bin ich zuversichtlich, dass es nicht zu Kürzungen von Baselland kommen wird.
Woher die Zuversicht? Baselland schreibt tiefrote Zahlen und muss heftig sparen.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass der Kanton Basel-Landschaft ein sehr zuverlässiger Partner der Uni Basel ist. Ich hatte während meiner zehnjährigen Amtszeit nie das Gefühl, dass sich der Landkanton weniger mit der Uni verbunden fühlt als der Stadtkanton.
Die Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative (MEI) hatte auch einen Einfluss auf Ihren Rücktritt. So sagten Sie letzten Herbst, dass Ihnen das Ja eine Art Abhängigkeit Ihrer Funktion vom politischen Geschehen vermittelt. Dies gebe Ihnen zu denken. Inwiefern sind die Konsequenzen des Entscheids heute für die Uni spürbar?
Die primäre Konsequenz ist die atmosphärische Unsicherheit, die dieser Entscheid hinterlassen hat. Jedes Mal wenn wir einen Top-Wissenschaftler für die Uni rekrutieren wollten, tauchte die Frage auf: Wird er auch in zwei Jahren an der europäischen Förderung teilnehmen dürfen? Dann musste ich leider antworten, dass ich das nicht weiss.
Gab es wegen der MEI schon Absagen von hochkarätigen Bewerbern?
Diese Frage ist schwer zu beantworten, zumal man den wahren Grund für eine Absage ja nie erfährt.
Apropos Internationalität: Im Ranking von «Times Higher Education» befindet sich die Uni Basel auf Platz 75 und zählt somit zu den hundert besten Hochschulen der Welt. Wie wichtig waren solche Rankings für Sie?
Wir arbeiten an der Uni nicht explizit für diese Rankings. Aber natürlich sind sie auch ein Indikator für Qualität. Wir sind nicht Harvard und können auch nie Platz 10 erreichen. Dennoch sind wir eine Uni mit Weltformat. Die Rankings sind also eine Bestätigung, dass wir als lokal verankerte Uni unsere Arbeit auf Weltniveau machen. Das ist ein ausgezeichneter Erfolg.
Ein Spagat dürfte auch der Umgang mit Sponsoring sein. Private Geldgeber werden immer wichtiger für die Uni. Wann ist das gesunde Mass überschritten?
Die Grenze wäre dann überschritten, wenn die Uni auf ihre Autonomie in Lehre und Forschung verzichten müsste.
Die privaten Geldgeber lassen der Uni also noch genügend Freiheiten?
Ich glaube schon. Sie hätten die Frage aber auch anders stellen können.
Wie denn?
Wie sieht es denn mit der staatlichen Intervention aus?
Der Staat ist schliesslich Eigentümer.
Ja. Aber der Punkt ist doch: Sie und ich kommen aus einer Kultur, in der angenommen wird, dass der Staat sich nicht einmischt, Private aber schon. Das stimmt jedoch so nicht. Wir erleben viele staatliche Interventionen. Das ist auch gut so, zumal wir dem Staat ja gehören. Es wird aber oft davon ausgegangen, dass die Unterstützung vom Staat ohne Wenn und Aber kommt. Dabei ist diese Unterstützung mit einem Leistungsauftrag, also mit Auflagen verbunden. Man darf nicht davon ausgehen, dass der Staat absolut gar nicht interveniert, die Privaten hingegen jede Sekunde auf das Geld schauen. Ich finde es immer besser für eine Uni, wenn ihr Geld nicht nur von einer Seite kommt. Es ist sehr wichtig, dass die Geldquellen etwas differenziert sind. Unser Anteil an privaten Drittmitteln beträgt rund 10 Prozent, was im Sinne der Autonomie absolut ungefährlich ist.
Wenn es um mehr Geld für die Uni geht, wird auch immer wieder die Idee ins Spiel gebracht, dass ausländische Studenten mehr zur Kasse gebeten werden könnten.
Dagegen habe ich mich immer gewehrt. Eine Gleichbehandlung zwischen ausländischen und Schweizer Studenten war mir immer ein wichtiges Anliegen – und zwar nicht aus christlicher Nächstenliebe.
Sondern?
Weil wir als eine Universität im Grenzbereich auch sehr stark auf ausländische Studenten angewiesen sind – namentlich aus Südbaden. Zudem wäre eine Trennung auch nicht förderlich für die Einbindung der Uni Basel in der Region. Es gibt aber nicht nur einen pragmatischen Grund für die Aufrechterhaltung des jetzigen Systems, sondern auch einen historischen: Wir sind eine Universität in der Tradition des Humanismus. Und es gehört zu einer humanistischen Universität, dass alle Studierende gleich behandelt werden – egal woher sie kommen.
Wenn Sie auf Ihre zehnjährige Tätigkeit zurückblicken: Auf was sind Sie besonders stolz?
Stolz ist so ein komplexes Wort…
Nicht so bescheiden, Herr Loprieno!
Wenn es um Stolz geht, bin ich immer ein bisschen gehemmt. Aber falls ich mich dazu ringen würde, das Wort in den Mund zu nehmen, dann wäre ich stolz darauf: Dass in all diesen Jahren keine von uns verursachte Tragödie das Leben der Universität gestört hat.
Sie sind einfach froh, dass die Uni Sie unbeschadet überlebt hat?
(lacht). Einfach, dass es keine schwerwiegenden Probleme gab. Es herrschte in all den Jahren eine gewisse Kontinuität. Darüber freue ich mich.
Gibt es auch ein Ziel, das Sie nicht erreicht haben?
Wenn ich ehrlich bin, ja. Und zwar war ich ausgerechnet in dem Bereich schlecht, der mir als Ägyptologe am nächsten steht.
Den Geisteswissenschaften?
Genau. Es ist mir nicht gelungen, die Geisteswissenschaften in unsere neue akademische Landschaft zu überführen. So organisieren die Geisteswissenschaftler ihr Studium weiterhin so, als ob wir noch das Jahr 1980 schreiben würden: stur nach Fächern. Das halte ich für veraltet. Vielversprechender wäre eine interdisziplinäre Form der Ausbildung. Leider konnte ich meine Kollegen nicht davon überzeugen.
Und woran liegt das? An der mangelnden Offenheit der geisteswissenschaftlichen Fakultät?
Das wäre die einfachste Interpretation, von der ich nicht ausgehe. Es gibt zwei Faktoren, einen persönlichen und einen kulturellen. Der kulturelle ist, dass die akademische Landschaft für die Geisteswissenschaften in den letzten Jahren rauer geworden ist als für die Naturwissenschaften. Dazu kommt der persönliche Faktor: Es ist besonders anspruchsvoll, die eigenen Kollegen zu überzeugen. Umgekehrt ist es auch immer schwieriger für die Kollegen, sich von jemandem überzeugen zu lassen, der zu ihnen gehört.
Weil man Sie dort nicht als Chef sieht, sondern als Kollege?
So ist es. Dann wird es am komplexesten, die eigene Leitungsfunktion richtig zu erfüllen.
Ihre Nachfolgerin Andrea Schenker-Wicki ist die erste Frau in der Geschichte der Universität Basel. Inwiefern ist es von Vorteil, dass nun eine Frau dieses Amt ausübt?
Ich freue mich sehr über ihre Wahl. Für die Leitungsfunktion spielt es meines Erachtens keine Rolle, ob nun ein Mann am Werk ist oder eine Frau. Ich glaube nicht, dass eine Frau etwas besser kann als ein Mann oder ein Mann etwas besser als eine Frau. Aber im Sinne der Zeichenhaftigkeit finde ich es sehr schön und bezeichnend, dass wir als klassische humanistische Universität nun die erste Rektorin haben.
Ein Zeichen dürfte auch die sehr wirtschaftswissenschaftliche Biografie von Frau Schenker-Wicki sein. Somit dürfte klar sein, in welche Richtung die Uni gehen wird.
Es gibt bestimmte Ämter, zu denen man unabhängig vom Background gewählt wird. Und dazu zählt das Amt des Rektors. Am Schluss entscheidet das Gesamtpaket. Daher ist die Herkunftsfakultät von Frau Schenker-Wicki für ihre Funktion als Rektorin irrelevant. Bei mir hiess es damals auch: «Oh Gott, ein Ägyptologe»!
Welche Herausforderungen hinterlassen Sie Ihrer Nachfolgerin, Andrea Schenker-Wicki?
Ohne meine Nachfolgerin in irgendeinem Sinne in ihrem Gestaltungsspielraum einschränken zu wollen: Die künftigen Herausforderungen werden sich von den vergangenen nicht gross unterscheiden. Primär schaue ich es als eine grosse Herausforderung an, die lokale Verwurzelung der Uni Basel mit einer Wissenschaft zu verbinden, die immer internationaler wird. Das ist immer ein schwieriger Kompromiss – ein Spagat.
Sie bleiben der Uni Basel erhalten. Wird es Ihnen schwerfallen, nichts zu sagen?
(überlegt). Ja, es wird mir schwerfallen und ich werde mich zurückhalten müssen. Erst recht, wenn man noch so nahe dran bleibt. Jede andere Antwort wäre unehrlich. Ich habe mir jedoch vorgenommen, nie etwas zu sagen, wenn ich nicht explizit von meiner Nachfolgerin gefragt werde. Aber wird das schwierig für mich werden? Ja, und wie!
Sie haben nun wieder mehr Zeit. Sie könnten ja auch für den Ständerat kandidieren, wie es die BaZ vorschlug.
Oh nein, das wäre nichts für mich. Ich bin ein politischer Mensch, weil es mir gefällt, Ideen zu vertreten. Aber ich bin wahrlich kein Parteipolitiker. Das würde mich zu fest einengen.
Aber welche Partei liegt Ihnen am nächsten?
In meiner persönlichen Einstellung gibt es sowohl linke auch als bürgerliche Haltungen. Wenn es um die Wirtschaft geht, bin ich ein klassischer Liberaler. Geht es aber um die gesellschaftliche Öffnung, dann ein klarer Linker. Als ich 1980 in Deutschland anfing, mich für die Politik zu interessieren, war ich damals eher dem linken Flügel der FDP zuzuordnen. Ich bin also alles in allem ein Linksliberaler.
Über welche Diskussionen in Basel regen Sie sich hin und wieder auf?
Vorher habe ich Ihnen ja gesagt, dass sich die Uni an der Schnittstelle von Lokalem und Globalem befindet. Dasselbe gilt für unsere Stadt, die ich als eine Art Mega-Uni lese. Wir haben einerseits Aspekte, die sehr provinziell sind, andererseits sind wir auf Weltniveau platziert.
Was meinen Sie damit genau?
Besonders in Wissenschaft, Kunst und Architektur sind wir eine Stadt von Weltformat. Aber wenn ich sehe, wie wir darüber diskutieren, wie unser Verkehr organisiert werden sollte und ob wir einige Polizisten mehr bräuchten, dann wirkt das manchmal schon sehr provinziell. Vielleicht sind solche Diskussionen aber ja auch unausweichlich.
Was war das Mühsamste in Ihrem Job?
Nichts Spezielles. Aber vielleicht, dass man sich als Rektor keine richtige Erkältung leisten darf. Als Rektor braucht man nicht sehr viel Intelligenz, denn wenn man einen Fehler macht, gibt es genügend Leute unter oder über einem, die korrigierend eingreifen. Dafür braucht man jedoch viel Gesundheit. Ist man zwei Tage hintereinander krank, dann führt dies zu grossen Störungen. Man muss also zu Gott beten, dass er einem in diesem Amt Gesundheit gewährt.
Hat das Amt Sie sehr verändert?
Bevor ich als Rektor anfing, gab es zwei heilige Aspekte in meinem Leben. Erstens: immer alles erledigen, was man von mir erwartet. Zweitens: es immer allen recht machen. Ich habe in diesem Job gelernt, Prioritäten zu setzen. Man kann als Rektor nicht alles erledigen, und man kann es nicht immer allen recht machen. Auch wenn man sich darum bemühen sollte. Dieses Amt ist irgendwie eine Schule der Demut. Man lernt seine Grenzen kennen. Und das ist eine wichtige Lehre.
Wie möchten Sie als Uni Rektor in Erinnerung bleiben?
Als ich jung war, war ich Fussballschiedrichter. Der beste Schiedsrichter ist der, der auf dem Feld nicht gesehen wird. Denn wenn ein Schiedsrichter ständig pfeift, wird er zum Protagonisten. Protagonisten sind jedoch die Leute an der Uni – der Rektor ist deren Botschafter. Wenn ich als ein Schiedsrichter in Erinnerung bleibe, der so wenig wie nötig pfiff, als ein nicht obsessiver Steuermann, dann bin ich schon zufrieden.
Antonio Loprieno wurde 1955 in Italien geboren. Er studierte Ägyptologie, Sprachwissenschaft und Semitistik an der Universität von Turin, danach lehrte er in Italien, Deutschland, Frankreich, den Vereinigten Staaten, Israel. Seit 2000 ist Professor Loprieno Ordinarius für Ägyptologie an der Universität Basel, seit 2005 Rektor. Letzten September gab er seinen Rücktritt auf Ende Juli 2015 bekannt.
Nach seinem Rücktritt wird Loprieno unter anderem Mitglied der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Uni Basel. Dort wird er im Bereich des akademischen Managements und der gesellschaftlichen Organisation forschen und lehren. Zudem wird er Universitätsrat der Uni Zürich.