Doppelbild einer Berühmtheit

Die Universität Basel liess 1994 einen ihrer Nobelpreisträger gleich zweimal ablichten.

Sein Name liegt nicht auf der Zunge: Nobelpreisträger Tadeus Reichstein im Jahr 1994, einmal als Albert Einstein, einmal als sich selbst. (Bild: Kurt Wyss)

Die Universität Basel musste dafür besorgt sein, dass sie in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. So schickte sie 1994 den Fotografen zu Tadeus Reichstein.

Das Bild zeigt nicht irgendeinen Professor, sondern Tadeus Reichstein. Wer ist das, werden sich jetzt manche fragen. Er ist einer der beiden Nobelpreisträger, den die Basler Unigeschichte verzeichnen kann. In der Online-Unigeschichte kann man nachlesen, dass Tadeus bereits als Kind in der Apotheke von Verwandten zum ersten Mal mit pharmazeutischer Arbeit in Kontakt gekommen ist. Er durfte Pillen drehen und Sirup kochen, Pflaster streichen und bei vielen anderen Arbeiten in der Apotheke helfen.

1950 erhielt Reichstein zusammen mit zwei Kollegen für die Entdeckungen bei den Hormonen der Nebennierenrinde, ihrer Struktur und ihrer biologischen Wirkungen den höchsten Wissenschaftspreis, den man bekommen kann. Reichstein kam 1897 als Sohn jüdischer Eltern und Ältester von fünf Kindern in der Nähe von Kiew zur Welt.

1905 kam seine Familie in die Schweiz. Mithin gehörte sie zu dem im Westen schlecht­geredeten Migrationsstrom der sogenannten Ostjuden. Es folgten Schulzeit und Militärdienst in der Schweiz. Studium der Chemie an der ETH, wo er später ausserordentlicher ­Professor wurde. Und 1938 wurde er als Leiter des Pharmazeutischen Instituts nach Basel berufen.

Ein Nobelpreis macht aber noch kein Gesicht und reicht nicht aus, um den Preisträger hier zu zeigen. Aber es ist auch nicht die unübersehbare Zunge allein, die dazu ­geführt hat, dass Reichstein hier abgebildet wird. Mit ihr hat er, den Fototermin ironisierend und relativierend, die bekannte Einstein-­Ikone nachgeahmt, die 1951 von der damals 72-jährigen Berühmtheit gemacht worden war und als «Zitat» allgemein bekannt war.

Es ist das Doppelbild, das uns eine doppelte Wahrnehmung dieses Gesichts des damals 97-Jährigen ermöglicht. Und dahinter wiederum steckt die Idee des gewieften Fotografen; man kann den einfachen Schluss ziehen, dass es eben der Fotograf ist, der dafür gesorgt hat, dass diese seine Fotografie hier wieder gezeigt wird.

Gemäss Wikipedia war Reichstein Inhaber auch noch eines anderen Rekords: Er sei der erste Nobelpreisträger, der das 99. Lebensjahr erreicht hat. Im Allgemeinen werden ­verschiedene Gründe genannt, warum jemand ein höheres Alter erreicht. Einer dürfte die Grundzufriedenheit sein, die man bei ­Tadeus Reichstein aufgrund dieses Bildes vermuten kann.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 18.10.13

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