Eine ausführliche Retrospektive zeigt das Werk des Schweizer Cartoonisten Jules Stauber. Es geht um Männlein in gekrümmten Räumen, das Leben von Mann und Frau und die Wahrheit vom Knabenschiessen. Die Zeichnungen öffnen den Raum zwischen politischem Kommentar und feinsinniger Unterhaltung.
«Jules Stauber ist ein unpolitischer Zeichner», sagt Anette Gehrig wiederholt. Sie hat die Ausstellung «Zeichnen hilft» kuratiert, die erste umfassende Retrospektive über das Werk des 2008 verstorbenen Jules Stauber. Das ist eine Ansage über einen Zeichner von Cartoons, einer Form, die wie keine andere im Kontext von journalistischer Kritik steht.
Stauber selbst zeichnete in grosser Zahl für Zeitungen und Zeitschriften, am bekanntesten sind seine Arbeiten für das Satiremagazin «Nebelspalter» und für die «Weltwoche». Doch tatsächlich geht es auf vielen Bildern um Alltagsthemen, wenn man sie so nennen will, um den Menschen, allein, zu zweit, zu vielen, mit seinen Abgründen und seinen kleinen Freuden.
Viele andere der minimalistischen Federzeichnungen, die häufig in einer Pointe münden, haben sehr eindeutig einen politischen Gehalt. Beim Rundgang durch die thematisch gegliederte Ausstellung kommt daher zunehmend die Frage auf, was das eigentlich ist, politisch und unpolitisch zeichnen.
Verlieben ist politisch
Der Mensch ist von Natur aus politisch, sagt der Philosoph Aristoteles, ein Zoon Politikon. In der Forschung gehen die Meinungen auseinander, was er damit meint: ob der Mensch darauf angelegt ist, in einer Gemeinschaft zu leben, oder ob er sogar von jeher auf ein Leben im gesetzlich organisierten Staat, der Polis, ausgerichtet ist. Doch diese Trennung hält nicht lange, das eine folgt aus dem anderen.
Dem dürfte der Künstler Steve Mc Queen zustimmen. Vor kurzem beantwortete er in einem Interview mit der TagesWoche die Frage, ob sein neuer Film «Twelve Years as a Slave» politisch sei, mit dem Statement: «Er ist eher historisch. Wobei ja alles politisch ist. Sogar Sich-Verlieben. Oder ein Glas Wasser.» Etwas moderater könnte man sagen: Alle Kunst, die sich mit dem Zusammenleben von Menschen auseinandersetzt, ist politisch.
Auf der anderen Seite hat man ein unmittelbares Gefühl dafür, wann etwas nicht politisch ist. Man unterscheidet Politiker von anderen Berufen. Brechts Theaterstücke sind politisch, da sie die Unterdrückung in totalitären Systemen thematisieren. Aber Goethes Gedicht «Über allen Gipfeln ist Ruh» – ist das politisch? Eher nicht, würden wohl die meisten sagen.
Sandsäcke für den Mythos
Jules Stauber bewegt sich mit seinen Zeichnungen genau auf dem Grat. Einerseits sind da Zeichnungen wie die von Wilhelm Tells Sohn, gerade als die Pfeile auf den Apfel zufliegen. Vor den Knaben zeichnet Stauber zusätzlich eine Beige Sandsäcke. Und die sind nötig, denn von den schwirrenden Pfeilen würden einige nicht nur den Apfel, sondern den ganzen Knaben durchlöchern. Der Mythos, so suggeriert das Bild, hält nur, wenn man ihn mit reichlich Sandsäcken untermauert. Mit diesem Bezug auf die breite Aufarbeitung von politischen Mythen, die in den 70er und 80er Jahren an den Schweizer Universitäten begann, bekennt Stauber deutlich Farbe.
Andere Zeichnungen haben mit politischen Debatten dagegen nichts zu tun. Etwa die Männlein, die mit den Gesetzen des Raumes spielen und vergnügt an der Linie zwischen Zimmerwand und -decke hangeln wie an einem Seil. Hier gehts um den Menschen in seiner Welt, häufig um den Zeichner selbst, oder einfach um ein hübsches Bild.
Eins von Staubers Lieblingsthemen ist die Beziehung zwischen Mann und Frau, ihm ist ein ganzer Raum gewidmet. Natürlich führen nur «Politiker» erfolgreich Beziehungen, aber man kann das ja auch mal ein Alltagsthema nennen. Einmal pflückt ein Mann eine Blume, die zugleich das Schamhaar einer Frau ist. Woanders lenkt eine Frau eine Kutsche, während im Pferdekostüm ihr Mann galoppiert, gelenkt von ihren Zügeln.
Auch diese Betrachtungen sind voll politischer Prämissen: Staubers Frauen sind meistens nackt oder am Herd – genau umgekehrt die Männer. Stauber transportiert, wenn auch mit viel Ironie, die klassischen Rollenbilder von Mann und Frau. Dennoch bleiben viele dieser Darstellungen, die so leicht auf politisches Terrain geraten, in einer unpolitischen Schwebe.
Offen bleiben
Das zeigt sich besonders gut an einem Bild, dass Gehrig an die französische Cartoonistin Coco geschickt hat. Cocos und die Antworten von vier anderen Künstlerinnen auf Arbeiten von Stauber füllen sehr farbenfroh einen eigenen Raum. Staubers Bild zeigt einen Mann auf einem Sofa, der statt von Kissen von zwei riesigen weiblichen Brüsten umgeben ist. Aufrecht und würdevoll sitzt er da, als wäre nichts dabei. Coco, die dem Stil von Staubers Federzeichnungen sehr nah ist, wendet das Motiv um: Auf demselben Sofa kauert eine Frau unter einem schlaffen, männlichen Riesengeschlecht. Ängstlich und verloren lugt sie aus den unschönen Falten.
Ihre Variation hat eine feministische Note: Noch unter dem schlaffen Männergeschlecht erstickt die Frau. Stauber bleibt hingegen offen, die Zeichnung trifft keine klare Aussage. Der neutrale Gesichtsausdruck des Mannes reagiert nicht auf seine groteske Sitzgelegenheit und lässt verschiedene Deutungen zu: Ist er ein Pascha in bürgerlichem Gewand, der über nackte Brüste verfügt wie über Sofakissen? Oder ein Mann wie du und ich, der nicht merkt, dass sein bürgerlicher Frieden auf Sexismus beruht?
Viele Motive des feinen Zeichners lassen sich politisch beziehen, sei es auf die Gemeinschaft im Staat oder die Gemeinschaft im Ehebett, aber sie betreiben selbst keine Politik. Stauber bleibt ein Narr, der sich im Zweifelsfall das Hintertürchen in die vergnügliche Sinnfreiheit offenhält.
Neben den thematischen Stationen von Jules Stauber zeigt die umfangreiche Ausstellung Arbeiten von zeitgenössischen Kollegen: Bosc, Chaval, Flora und Sempé. Ausserdem sehr zu empfehlen: die Lunchführungen (mit anschliessender Suppe) und Sonntagsführungen von Anette Gehrig.
Jules Stauber wurde 1920 in Montreux geboren. Der Sohn einer welschen Mutter und eines deutschen Vaters ging 1939 nach Berlin, wo er aufgrund seiner deutschen Staatsangehörigkeit sofort in die Wehrmacht eingezogen wurde. Nach dem Krieg liess er sich bei Nürnberg nieder, wo er zeitlebens wohnte. Der fortdauernde Bezug zu seiner früheren Heimat schlägt sich aber in den Themen seiner Zeichnungen nieder. Sein Geld verdiente er vor allem als Illustrator von Büchern. Jules Stauber, der noch bis an sein Lebensende leidenschaftlich Velo fuhr, starb im Jahr 2008.
- Zeichnen hilft. Cartoons von Jules Stauber. Bis 26. Mai 2013.
Cartoonmuseum Basel, St. Alban-Vorstadt 28
Di-Fr: 14-18 Uhr
Sa/So: 11-18 Uhr
Eintritt 9 Franken, ermässigt 7