Jede Sekunde wird ein Quadratmeter zubetoniert, sagen Ecopop-Befürworter. Das stimmt. Aber hat es wirklich etwas mit der Zuwanderung zu tun?
Der Zeitpunkt ist brisant: Vor einigen Tagen veröffentlichte das Bundesamt für Statistik (BfS) eine Publikation zur Siedlungsfläche in der Schweiz.
Es ist deshalb brisant, weil Ecopop-Befürworter mit der «Zubetonierung» der Schweiz zurzeit Stimmung machen. Woran liegt es, dass jede Sekunde ein Quadratmeter Naturfläche verbaut wird?
Für die Ecopop-Initianten ist die Antwort klar, das Bevölkerungswachstum, respektive die Zuwanderung ist schuld. Die Statistik des BfS stärkt einen anderen Verdacht: Schweizerinnen und Schweizer wohnen auf immer breiterem Fuss, deshalb wird auch immer mehr verbaut.
Mehr Siedlungsfläche wegen höheren Ansprüchen
In den letzten 24 Jahren hat die Siedlungsfläche überall in der Schweiz zugenommen. Im Durchschnitt nimmt heute jeder Bewohner in der Schweiz 407 Quadratmeter Siedlungsfläche in Anspruch. Diese Fläche beinhaltet ein ganzes Sammelsurium an Arealen: Wohnung, Strassen, Produktionsflächen (ohne Land- und Forstwirtschaft), Fläche für Handel, Dienstleistungen, Entsorgung sowie Erholungsgebiete.
Die Werte sind pro Kanton sehr unterschiedlich. Basel-Stadt hat mit 138 Quadratmeter die niedrigste Pro-Kopf-Siedlungsfläche, im Jura verbraucht jeder Bewohner über 800 Quadratmeter. Von was hängt die Siedlungsfläche ab?
Das BfS schreibt: «Die Siedlungsfläche steigt insbesondere, weil für Wohnzwecke ein immer grösserer Flächenanteil genutzt wird.» Diese Entwicklung führen die Statistiker auf «Änderungen der Bevölkerungsstruktur, abnehmende Haushaltsgrössen, höhere Wohnraumansprüche und eine Wohlstandssteigerung» zurück.
Was ist mit der Zuwanderung?
Das Bevölkerungswachstum – welches in der Schweiz hauptsächlich durch Zuwanderung verursacht wird – sei immer mehr am Zuwachs der Siedlungsfläche beteiligt, schreiben die Ecopop-Initianten. Sie stellen einen Zusammenhang zwischen der Schweizer Arealstatistik und der Statistik der ständigen Wohnbevölkung her.
Daraus zeichnen sie ein düsteres Bild: «Salopp gesagt haben unsere Eltern und Grosseltern sich grössere Wohnungen gebaut, heute bauen wir primär für die Zuwanderung.»
Diese Verbindung findet der emeritierte ETH-Professor und ehemalige Bauingenieur Hans-Rudolf Schalcher unzulässig: «Den Zuwachs der Siedlungsfläche ausschliesslich in Relation zum Bevölkerungswachstum zu sehen, ist eine nicht zutreffende Milchbüechlirechnung.»
Auf die Widersprüche reagieren die Initianten nicht
Das Bevölkerungswachstum sei eine von mehreren relevanten Faktoren, die die Siedlungsfläche beeinflussten – von den Initianten zufällig herausgegriffen, sagt Schalcher.
Auch Marius Widmer, Sprecher des BfS, kann die Kausalität von Bevölkerungswachstum und Siedlungsfläche nicht belegen: «Das BfS ist nicht in der Lage zu sagen, welchen Einfluss die Immigration auf die Siedlungsfläche hat.»
Der Wohnraumbedarf – also nicht die Siedlungsfläche – steht in direktem Zusammenhang zum Bevölkerungswachstum, das ist statistisch erwiesen. Mehr Menschen, mehr Wohnungen – das klingt plausibel. Welche Auswirkungen der steigende Wohnbedarf hat, ist allerdings unklar. «Der Flächenbedarf wird auch ohne Zuwanderung zunehmen – aber nicht ganz so schnell», sagt Schalcher.
Mit diesen Widersprüchen konfrontiert, nehmen die Ecopop-Initianten keine Stellung.
Zahlensalat und Tricksereien
In der «NZZ» war von einem «Zahlensalat» zu lesen, der «Blick» unterstellt Ecopop-Befürwortern Tricksereien. Die Initianten wehren sich dagegen, die Presse veranstalte ein «Zahlengericht». Natürlich würden sich Neuankömmlinge nicht in Luft auflösen, «sondern wir wissen zum Vornherein, dass sie Platz brauchen», schreiben Dieter Steiner und Benno Büeler aus dem Initiativ-Komitee.
Dass der Wohnflächenbedarf auch zwischen Zuwanderern und Schweizern variiert, wird dabei nicht gesagt. Eine Volkszählung aus dem Jahr 2000 gibt Aufschluss über den Wohnbedarf nach Nationalitäten. Die Haushalte ausländischer Einwohner sind durchschnittlich grösser, dass heisst: weniger Wohnfläche pro Person.
Dazu kommen sozio-ökonomische Unterschiede: Sogenannte Expats verbrauchen ein Vielfaches der Wohnfläche, die beispielsweise ein Asylsuchender in Anspruch nimmt. Seit einigen Jahren kommen mehr hochqualifizierte Zuwanderergruppen in die Schweiz – zum Beispiel aus Deutschland. Diese Zuwanderer beanspruchen mehr Raum, was möglicherweise dazu führt, dass die Differenz zwischen der Wohnfläche von Schweizer und ausländischer Bevölkerung kleiner wird.
Wolkenkratzer wie in Hongkong
Leben wir also bald in einer Zehn-Millionen-Schweiz, in der kein Flecken Natur übrig bleibt? Dass das Bevölkerungswachstum basierend auf Zuwanderung weiter steigt, ist naheliegend. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Siedlungsfläche ebenfalls weiter zunimmt. Denn: Der Bundesrat formulierte 2002 ein Nachhaltigkeitsziel, das die Siedlungsfläche pro Kopf bei 400 Quadratmeter stabilisieren soll – ungefähr bei dem Wert also, der im Moment erreicht ist.
Das viel zitierte Zauberwort, das die Lösung bringen könnte, heisst: verdichten. «Die Frage ist, wie wir den weitersteigenden Wohnraumbedarf decken», meint Hans-Rudolf Schalcher. Das sei möglich mit einer höheren Ausnutzung in bereits bebauten Gebieten – Verdichtung eben.
Die interaktive Karte der «TagesWoche» zeigt exemplarisch, wie viele Menschen in der Schweiz Platz hätten, wenn das ganze Land wie etwa Basel verbaut wäre: 125 Millionen Menschen könnten in der Schweiz wohnen.
Genau dieses Szenario macht einigen Ecopop-Befürwortern Angst: Sie wollen keine Schweiz, die wie Hongkong aussieht. «Der Horror hat 20 Stockwerke, Glasfassaden und Tramschienen. Der Horror heisst Grossstadt», schreibt der «Tages-Anzeiger» über die Angst der Ecopop-Befürworter.
Die «Hüsli-Schweizer» hätten egoistische Motive: «Das Bewahren ‹unseres Planeten› dient auch als Vorwand, eine gewisse Wohnform zu schützen; das Haus mit Umschwung und Bergblick», kommentiert die Zeitung.
Hier zeigt sich: Die Zuwanderung ist nicht an allem schuld. Es ist vielmehr die Angst einer privilegierten Schicht, die umtreibt, wenn es darum geht, neue Lösungen und alternative Wohnformen zu finden.