Ehrenplatz für ältere Vierbeiner

45 Jahre lang wurden im Fauteuil-Theater Stühle «besessen», die das Publikum zur Premiere spendierte.

Jede Sitzgelegenheit war beim legendären Start des Kellertheaters Fauteuil am Spalenberg im November 1957 als Eintrittsticket und Leih-Mobiliar willkommen. (Bild: Kurt Wyss)

45 Jahre lang wurden im Fauteuil-Theater Stühle «besessen», die das Publikum zur Premiere spendierte.

So wurde noch nie ein Theater eröffnet!» Als 1975 die Basler Werbe-Generäle Karl Gerstner, Paul Gredinger und Markus Kutter ihre Kreativ-Sturmtruppen von der Agentur GGK diesen Slogan für die Aktivitäten zum Stadttheater-Neubau prägen liessen, trafen sie mit dieser knalligen Botschaft zweifellos ins Schwarze.

Und da weder von den Künstlern noch von den Kreativ-Athleten befürchtet werden musste, jemals den Wahrheitsbeweis dafür antreten zu müssen, geriet das freudige Ereignis – wie in Basel nicht nie, sondern jedes Mal zu erwarten – zu einem durchaus gefreuten.

Was der sogenannte Theatermarkt damals bot, war zwar nicht völlig unbestritten. Der Unmut hielt sich jedoch in Grenzen, und so blieb das Gebotene denn auch in weitgehend angenehmer Erinnerung, falls es inzwischen nicht der auch bei kulturellen Platzhirschen grassierenden Vergesslichkeit anheimgefallen ist.

Dass es neben dem staatlichen Kulturtempel in unserer kleinformatigen Weltstadt auch noch ein paar andere kulturelle Institutionen geben dürfte und tatsächlich schon gegeben hat, die «so noch nie eröffnet wurden», tut im Übrigen weder den Erfindern des «So-noch-nie» irgendwelchen Abbruch, noch all jenen, die diese Formulierung ebenfalls für sich reklamieren dürften und es zum Teil sogar taten.

Einzigartigkeit gibt es in allen Dimensionen. Und XXL war noch nie ein Garant für Qualität.

Bereits achtzehn Jahre vorher, statt 1975 anno 1957, hätte in Basel eine andere Theater­eröffnung das Attribut «so noch nie» redlich verdient gehabt. Am 27. November lud Kabarettist Roland Rasser an den Spalenberg 12 zur Eröffnung seines Kellertheaters in den auf die Mitte des 13. Jahrhunderts zurückgehenden und später immer wieder umgebauten Spalenhof.

Im Theaterlexikon beschreibt Autorin Simone Müller den Eröffnungsabend wie folgt: «Der Eintritt war frei, dafür musste ein Stuhl mitgebracht und dort gelassen werden. Der Name ‹Fauteuil› war von einem grossen Sessel im Publikumsraum hergeleitet, der als ‹Stuhl der Gönner› jeweils zu erhöhtem Preis verkauft wurde.»

Einige der zur Legende gewordenen Sitzgelegenheiten blieben noch bis ins 21. Jahrhundert im Einsatz und wurden erst 2002 durch eine einheitliche Bestuhlung ersetzt. Doch so, wie an diesem Novemberabend vor nunmehr 56 Jahren, wurde wohl tatsächlich noch nie ein Theater eröffnet. Weder in Basel, noch weit darüber hinaus. Und ebenso wahrscheinlich haben hier dank der Familie Rasser alle Gros­sen der Kleinkunst irgendwann einmal im Fauteuil am Spalenberg gastiert.

Einzigartigkeit – so lehrt uns diese kleine Episode – ist in allen Dimensionen möglich. Und XXL war noch nie ein Garant für Qualität.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 11.10.13

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