Mit Brecheisen und Spitzhacke verformt der abtretende Schauspielchef Elias Perrig auf der Grossen Bühne des Theater Basel Arthur Schnitzlers Tragikomödie «Das weite Land» zum krud-psychologisierenden Albtraum-Spiel.
Es ist eine unangenehme Vorstellung. Man wacht aus einem Albtraum auf und befindet sich just dort, wo man sich im traumbesessenen Schlaf befunden hat: im Theater. Achte Reihe Mitte. So geht es der vielfach betrogenen Glühbirnenfabrikantengattin Genia Hofreiter. Und was sie sieht, ist wahrlich kein schöner Anblick. Die Menschen auf der Bühne sind seelenlose Menschenpuppen mit starren, glänzenden Gesichtern. Auf einem Stuhl sitzt ein nackter Mann, der, sein homoerotisches Unterbewusstsein nach aussen kehrend, das Geschlecht eines anderen Mannes bearbeitet. Und vom ersten Rang herab krächzt eine Art Gott im Frauengewand «Die Seele ist ein weites Land» in die schaurige Runde.
Rechtfertigung im Programmheft
Ein weites Land ist die Seele fürwahr, und Schnitzler hat dies meisterhaft dramatisiert. Das aber war Regisseur Elias Perrig offensichtlich bei weitem nicht genug. Wer ein Programmheft gekauft hat, ist vorgewarnt. Aus einem beigelegten Blatt mit dem Titel «Zur Inszenierung» erfährt man, dass einem «eine starke Verdichtung des Originals» bevorsteht (gut die Hälfte des Personals ist gestrichen), dass es um «Traumwelten» geht, etwas Sigmund Freud und weitere Kommentare «eingespeist» sind, «die auf die sprachkritische Tradition von Wiener Autoren seit Schnitzler verweisen». Ein Theater, das sich solchermassen und vor allem vorab erklären und rechtfertigen zu müssen glaubt, scheint seiner Intention und vor allem unmittelbaren Ausruckskraft nicht wirklich zu vertrauen.
Schnitzlers verlogene Wiener Gesellschaft findet sich in Basel nun in einer grell-grüngelbe Ruine eines alten Rangtheaters wieder, das arg nach hinten gekippt und dadurch wie überhaupt alles, was passiert, aus dem Gleichgewicht geraten ist (Bühne: Wolf Gutjahr). Das sind dann keine Menschen aus Fleisch und Blut mehr – zumindest die meiste Zeit nicht, denn ab und zu schlittern sie unvermittelt und kurzzeitig doch in eine Art Realismus hinein. Es sind Personifizierungen des Unterbewusstseins. Irgendwie. Schnitzlers Wien, das begreifen wir ja rasch, ist das Wien der aufkommenden Psychoanalyse, der unheimlichen Reise in die verborgenen Traumwelten.
Komplizierte Einrichtung
«Das Leben ist schon eine komplizierte Einrichtung», heisst es im Stück einmal. Sehr sogar, wie die eigentliche Handlung zeigt: Ein begabter junger Pianist hat sich das Leben genommen, weil ihn die begehrenswerte Gattin des Glühbirnenfabrikanten nicht erhört hat. Der Gatte, selber von Affäre zu Affäre eilend, macht ihr diese Standhaftigkeit zu Vorwurf. Als er aber seine alte durch eine junge neue Geliebte austauscht, lässt sich die Frau doch auf einen jungen Fähnrich ein, worauf der nun plötzlich gehörnte Ehemann seinen Nebenbuhler im Duell erschiesst.
Das findet alles statt, aber eher nebenbei, als funktionelles Handlungsgerüst. Das Gewirr zwischen Beziehung und Affäre, zwischen Treue und Treulosigkeit entbehrt jeglicher erotischer Spannung. Man geht sich an die Wäsche, küsst sich in überzeichneter Stummfilm-Manier, tiefer aber geht das Ganze nicht.
In Basel ist der tote Pianist (Burckhard Niggemeier und Fabian Simon in Doppelbesetzung) ziemlich untot. Auf einem Flügel begleitet er die Diseuse Georgette Dee, die als divenhafte Verkörperung mehrerer Nebenrollen mit langer roter Schleppe (Kostüme: Charlotte Sonja Willi) weise Sätze ins Mikrophon hauchen kann wie: «Nichts, was man zu kennen glaubte, kommt vertraut zurück ins Herz.» Die betrogene Gattin Genia (Astrid Meyerfeldt) darf am ehesten noch Mensch sein. Das krude Benehmen ihrer Mitmenschen hinterlässt bei ihr aber einen daurhaften Zustand der Verstörung. Kein Wunder bei einem Ehemann, der sie stetig betrügt und in einer Mischung aus Dandyhaftigkeit und Jähzorn nun wirklich kein besonders angenehmer Zeitgenosse ist. Auch die restlichen Figuren, das Mädchen Erna (Carolin Schär), das Ehepaar Natter (Hartmut Lange und Hanna Eichel), der Fähnrich Otto (Benjamin Kempf) und der Doktor Mauer (René Dumont) tragen kaum etwas zur Beruhigung bei.
Seelenlose Puppen
Dies zumal Regisseur Elias Perrig mit Brecheisen und Spitzhacke ganz tief in die Abgründe des Unterbewusstseins vorzudringen versucht und so lange in der Seele herumwühlt, bis nur noch ein wüstes Geblubber übrigbleibt. Indem er die Seele so sehr nach aussen kehrt, erreicht er das schiere Gegenteil: Die Figuren werden zu blutleeren, seelenlosen Puppen, zu Zerrbildern ohne Tiefgang. Auf der Strecke bleibt – und das ist das wirklich Bedauerliche – der hintergründig-bissige Humor von Schnitzlers Vorlage, das Stück verliert seine Leichtfüssigkeit und wird schwer und vor allem sehr schwerfällig.
Nach über zwei Stunden zeigte das Premierenpublikum arge Ermüdungserscheinungen.
Von Arthur Schnitzler
Regie: Elias Perrig, Bühne: Wolf Gutjahr, Kostüme: Charlotte Sonja Willi, Musik: Burkhard Niggemeier, Dramaturgie: Martina Grohmann
Mit: Martin Butzke, Astrid Meyerfeldt, Carolin Schär, Georgette Dee, Benjamin Kempf, Hartmut Lange, Hanna Eichel, René Dumont, Burkhard Niggemeier, Fabian Simon
Die nächsten Vorstellungen: 19., 23., 25.2., 5., 7., 9., 11., 22., 25.3. (jeweils 20 Uhr – sonntags 19 Uhr)
Grosse Bühne