Soll man alleinstehende Gebäude aus einer anderen Zeit in die Gegenwart retten? Oder ist dieser Reflex bloss Nostalgie, die dem Fortschritt im Weg steht?
Dieses alte Haus oder Häuschen stand bis zum Frühjahr 1960 an der Steinentorstrasse: da, wo heute Auto- und Tramverkehr den knapper werdenden Boden beanspruchen. Der Kontrast zwischen Alt und Neu ist frappant. Er hat den Fotografen veranlasst, ihn in einem Moment festzuhalten, da das Alte noch nicht beseitigt, das Neue – man achte auf den Aufrichtebaum – eben oben angekommen ist. Ein allerletzter Moment, vor 52 Jahren.
Das Bild entspricht dem beliebten Typus der Bücher «Altes Basel – Neues Basel», in denen man mit der Faszination des Beinahe-Wiedererkennens zwischen damals und jetzt vergleichen kann. Hier einfach nicht in zwei Helgen, sondern im gleichen Bild. In manchen Fällen bedauert man die Veränderung und trauert dem Entschwundenen nach.
Allerdings sind in vielen Fällen die Verhältnisse auch besser geworden. Die hier hinter dem Haus liegende Birsig-Überdeckung ist zwar, wie Verbesserungsvorschläge unserer Zeit signalisieren, suboptimal. Aber die Verhältnisse vor der Überbauung der Birsig-Fortsetzung an der Falknerstrasse waren so katastrophal unhygienisch, dass man begreift, dass Basel im 19. Jahrhundert ein Typhusproblem hatte.
Indessen können wir angesichts dieses Bildes nicht die Frage nicht denken: War es richtig, dieses Haus zu opfern? Der Staat hat es 1957 gekauft, um es abreissen zu lassen. Musste das sein? Wo war damals die Denkmalpflege? Es musste wohl sein. Zudem war das Haus gar nicht so alt, es stammte lediglich aus den Jahren um 1750. Ironie des Schicksals: Als das Haus 1947 aufwendig renoviert worden war, hiess es in der Presse, mitten in der Stadt habe man «ein Stück wichtiger Vergangenheit in das pulsierende Leben der heutigen rastlosen Zeit» hinübergerettet – für rund ein Dutzend Jahre.
Die einzige Alternative wäre gewesen, das Haus – wie im Falle des «Goldenen Sternen» in der Aeschenvorstadt – abzutragen und an einem anderen Ort wieder aufzustellen. Die Denkmalpflege bekommt meistens nur nachträglich recht, in der Istzeit werden ihre Einwände – wie bei diesem Häuschen – als «daneben» empfunden. Was hätte die Rettung eines solchen Einzelstücks gebracht? Heute ist man zu Recht der Meinung, dass man vor allem den Ensembles Sorge tragen muss.
Die sechs Menschen auf dem Bild bilden einen weiteren Kontrast zu den heutigen Verhältnissen. Sind es die Kleider? Ist es ihr scheinbares oder tatsächliches Alter? Ihre Statik, obwohl sie im Gehen sind?
Heute jedenfalls tummelt sich in dieser Zone tagsüber die geschäftige City-Population und abends das nicht weniger geschäftige Freizeitvolk. Etwas ist erhalten geblieben: Der Name «Besenstiel» ist auf die gegenüberliegende Strassenseite gezügelt worden, wo er bereits im 19. Jahrhundert ein paar Jahre lang war.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 21.09.12