«The Substance» rollt die Geschichte von Albert Hofmanns Entdeckung LSD auf, jener Wunderdroge, die Psychiater, Militärs und Hippies fasziniert hat. Der Film von Martin Witz erzählt zwar kaum Neues, ist dennoch sehenswert: Es sind die bewegten Bilder, die das Bewusstsein erweitern.
Wer Albert Hofmann kurz vor seinem 100. Geburtstag in seinem Haus in Burg im Leimental besuchte, traf auf einen kleinen, alten Mann in adretter Kleidung. Sein Blick war wach, seine Ausstrahlung und Aussagen weise und besonnen. Ein Forscher und Mystiker. Eine beeindruckende Erscheinung.
Zwei Jahre später, im Frühling 2008, starb Hofmann. Kurz zuvor noch hatte ihn die britische Zeitung «The Guardian» in einer Liste der bedeutendsten lebenden Genies an erster Stelle genannt. Weil er als Erforscher psychoaktiver Substanzen Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft des 20. Jahrhunderts massgeblich mitbeeinflusst hatte: Das Potenzial von LSD faszinierte und inspirierte Psychiater und Mediziner, Schriftsteller wie Aldous Huxley oder Allen Ginsberg und Musiker wie Pink Floyd.
Trip ins Ungewisse
Jetzt, drei Jahre nach seinem Tod, der rund um den Globus Nachrufe und Erinnerungen hervorrief, wird Albert Hofmann filmisch Tribut gezollt. «The Substance» des Zürcher Filmemachers Martin Witz rollt in 90 Minuten die Geschichte der potenten Droge auf. Und bedient sich dabei auch eines Interviews, das kurz vor Hofmanns 100. Geburtstag gedreht wurde. Doktor Hofmann berichtet, wie er in den Labors der Basler Sandoz bei Forschungen am Mutterkorn durch Zufall die potente Droge entdeckte, wie er 1943 bei einem Selbstversuch einen Trip ins Ungewisse wagte – und sich danach wie neugeboren fühlte.
Zunächst als Wunderdroge bejubelt, stiess LSD bei Psychiatern und Ärzte auf grosses Interesse: Der berühmte tschechische Psychiater Stanislav Grof erzählt, wie er in LSD eine Möglichkeit sah, an «den heiligen Gral der Psychiatrie» heranzukommen. Die Substanz «ermöglichte den Zugang zu einer verborgenen Welt, vergleichbar mit dem Teleskop in der Astronomie», beschreibt Grof. Die Fachwelt hoffte, mit der öffnenden Wirkung von LSD Traumata, Psychosen und Schizophrenie besser behandeln zu können.
Halluzinogene Kraft
Aber auch Geheimdienste und Militärs interessierten sich für die halluzinogene Kraft: Die US-Armee untersuchte, inwiefern LSD als Waffe und Befragungsinstrument eingesetzt werden konnte. Zeitgleich wurde die Substanz und ihre halluzinogene Wirkung, die zur Ich-Auflösung führen konnte, von Künstlern und Schriftstellern entdeckt.
Es kamen die Sechziger, die Hippies, die Popkultur und die Handelsvertreter, allen voran der Psychologe und LSD-Guru Timothy Leary, der den Ausstieg aus Schule oder Politik propagierte, ein «Drop out» aus Konventionen forderte und dabei, ganz im Unterschied zu Albert Hofmann, wie ein Missionar die Öffentlichkeit suchte.
«Ich habe ihm vorgeworfen, dass er ganz jungen Leuten LSD aufdrängte», wiederholt Hofmann im Film seine grosse Kritik am Massenverführer Leary. Nicht zuletzt die Popularität, die Verfügbarkeit zur Blütezeit der Flower-Power-Bewegung und die fehlende Kontrollierbarkeit führten schliesslich zum weltweiten Verbot der Substanz. Worauf die Filze mit den Wundertropfen im illegalen Untergrund verdealt wurden. Erst seit wenigen Jahren – und überaus zaghaft und streng kontrolliert – werden psychoaktive Substanzen wieder zu medizinischen Forschungszwecken eingesetzt.
Dass Hofmann selber, wie er mir in einem Interview sagte, noch im hohen Alter LSD nahm, weil er wissen wollte, ob es in kleiner Dosis gegen Depressionen helfe, erfährt man in diesem Film nicht.
Sorgenkind und Wunderdroge
Doch das kann man dem Film nicht vorwerfen. Vielmehr, dass er ein bisschen spät erscheint. Zu Hofmanns 100. Geburtstag und später zu seinem Tod erschienen rund um den Globus grosse Hintergrundberichte, in denen das Phänomen LSD aufgearbeitet wurde. «The Substance» hat dem nichts hinzuzufügen, es hält sich inhaltlich auffällig stark an Hofmanns eigene Veröffentlichungen, allen voran an dessen grössten Buchklassiker «LSD – Mein Sorgenkind».
Dennoch bleibt man auch als Kenner der Materie dran: Denn die Stärke liegt nicht im (grösstenteils bekannten) Inhalt, sondern in den bewegten Bildern, die Regisseur Martin Witz ausgegraben hat. Bewundernswert und eindrücklich die Aufnahmen, die er in Archiven ausgegraben hat. So begegnen wir Filmaufnahmen der Familie Hofmann, Forschungsaufnahmen aus den Labors der Sandoz, der US-Armee oder des Prager Militärgeschichtsinstituts, ebenso Bildern aus dem Kommunenumfeld von Timothy Leary oder vom Monterey Festival. Diese Visualisierungen, die Aufnahmen in Bild und Ton, bilden den Mehrwert zu den Informationen, die bereits in zahlreichen Publikationen niedergeschrieben worden sind. Und, das ist nicht zu unterschätzen: Ein neues Publikum dürfte durch diesen Dokumentarfilm die faszinierende Geschichte von «Wunderdroge und Sorgenkind LSD» erfahren.
Einer Droge, mit der Jahrzehnte nach ihrer Verdammung durch die Regierungen wieder offiziell experimentiert wird, wie man auch am Ende des Films erfährt. Das Beispiel stammt aus den USA, wo die Wirkung von Psilocybin an Krebspatienten getestet wurde. Leider wird mit keinem Wort erwähnt, dass die Forschung auch in der Schweiz wieder aufgenommen wurde. Als Albert Hofmann 2008 starb, wusste dieser zu seiner Zufriedenheit, dass hierzulande ein Projekt mit LSD erlaubt worden war: Der Solothurner Psychiater Peter Gasser behandelte von 2007 bis 2011 Schwerkranke mit der bewusstseinserweiternden Substanz.
Dass dies im Film nicht aufgegriffen wird, ist bedauerlich, wurde so doch die Chance vergeben, den Kreis von der Entdeckung bis zur heutigen Situation auch geografisch zu schliessen. Erklären können wir uns das nur so: Witz, der schon 2007 mit «Dutti der Riese» einen Schweizer und dessen Pioniergeist ins Zentrum eines Films stellte, schielt diesmal vermutlich auf den internationalen Filmmarkt – namentlich jenen der USA. Sollte «The Substance», dieser Schweizer Film über eine Schweizer Entdeckung mit grosser (Aus-)Wirkung, in den USA entsprechend Beachtung finden, dann dürfte man ihm diese Nachlässigkeit verzeihen.
Der Film läuft in Basel am 17. November an.