Jetzt ist er wieder einmal da, der Eichener See im Badischen Schopfheim. Noch ein paar Tage wird er zu sehen sein, ehe er buchstäblich vom Erdboden verschluckt wird. Niemand weiss, wann er das nächste Mal auftaucht. Es ist ein Naturphänomen, das teilweise sehr spezielle Gäste anzieht.
Am Dinkelberg im Schopfheimer Ortsteil Eichen glänzt die Eisdecke eines Sees in der Wintersonne. Kein Bach ist in seiner Nähe, keine Quelle speist ihn. Vor wenigen Tagen ist er aufgetaucht und in einigen Tagen wird er wieder im Nichts verschwunden sein und sich vielleicht erst in einigen Jahren wieder zeigen. Oder schon in wenigen Monaten.
Seit Jahrhunderten kennt man das Phänomen in Schopfheim. Hielt man früher böswillige Erdmännlein für die Urheber, so weiss man heute, dass die Lösung des Rätsels unter dem mysteriösen See liegt. Der Dinkelberg liegt in einer Karstlandschaft. Der Kalk im Berg wird durch versickerndes Regenwasser gelöst, das durch das CO2 der Luft kohlensäurehaltig wurde. So wurde der Berg über die Jahrhunderte im Inneren löchrig wie ein Emmentaler.
Oberflächenwasser kann ungehindert versickern, bis es in 40 Metern Tiefe auf eine grundwasserstauende Schicht trifft. Ausdauernder Regen oder Schneeschmelze sorgen jedoch dafür, dass das Grundwasser nicht schnell genug abläuft und sich in den Hohlräumen des Berges bis unter den See staut. Sind sie voll, drückt das Wasser durch die Grasnabe nach oben und fliesst in eine im Berg durch die Kalk-Auflösung entstandene Mulde, eine Doline, die das Becken für den Eichener See bildet.
Guter Draht nach unten
Niemand kennt den See besser als Hartmut Heise. Er ist ehrenamtlicher Naturschutzwart und mit dem See bestens vertraut, denn er hat buchstäblich einen guten Draht nach unten. Durch ein Pegelrohr kann er eine Sonde ins Berginnere lassen, die den Grundwasserstand misst. So weiss er, wann mit dem Erscheinen des Sees zu rechnen ist. Zwischen acht und zwölf Zentimeter steigt der Seespiegel dann pro Tag und kann eine Fläche von bis zu 2,3 Hektaren erreichen und bis zu vier Monate bleiben. Diesmal wohl kaum: «Das Wasser sinkt schon wieder. Wenn es nicht anfängt, stark zu regnen, wird hier in zwei bis drei Wochen nichts als Wiese zu sehen sein», erklärt Heise.
Lebende Fossilien
Wegen des Kälteeinbruchs ist der See zur Zeit gefroren. Taucht er aber in einer wärmeren Jahreszeit auf, wimmelt es in kurzer Zeit darin von höchst seltenen Tierchen, den Kiemenfusskrebse. Wegen dieser höchstens zwei Zentimeter kleinen Krebse fand der Eichener See sogar Aufnahme in das europäische Schutzgebietsnetz Natura 2000. «In ganz Europa kommen diese Krebse nur an sieben Orten vor. Wir haben das einzige deutsche Vorkommen», erläutert Heise.
Christoph Huber, Naturschutzfachkraft des Landratsamts Lörrach führt aus, warum die Krebse so speziell sind: «Die Kiemenfusskrebse entstanden vor fast 500 Millionen Jahren und lebten ursprünglich im Meer. Vor 250 Millionen Jahren sind sie erstmals in Binnengewässern aufgetaucht, wohl eingeschleppt durch Eipakete an einem Vogelbein. Seitdem sind sie praktisch unverändert geblieben.» Kurz: Es sind lebende Fossilien.
Ohne Trockenphase gibt es keine Krebse
Dass sie ausgerechnet an einem solch seltsamen Standort wie einem nur alle paar Jahre auftauchenden See überlebt haben, liegt an ihrer Fortpflanzungsart. Die Krebse legen ihre Eipakete im Wasser ab. Diese können sich aber nur entwickeln, wenn sie mehrere Wochen trocken liegen. Kommen sie dann wieder mit Wasser in Berührung, schlüpfen nach zwei Wochen Larven. Auch mehrere Jahre Trockenheit machen ihnen nichts aus. Huber ergänzt: «Die Krebse haben es gern kalt. Sie entwickeln sich bei Temperaturen zwischen 12 und 15 Grad Celsius. Da ein Weibchen bis zu 17000 Eipakete mit je 200 staubkorngrossen Eiern ablegen kann vermehren sie sich aber rasant.» Taucht der See im Sommer auf, wimmelt es darin nach wenigen Wochen nur so von Urzeitkrebsen.
Für Heise gibt es nichts Schöneres, als ihnen zuzusehen: «Die Larven bewegen sich noch ruckweise. Aber die ausgewachsenen Krebse gleiten unaufhörlich elegant durchs Wasser.» Sie fressen Plankton, indem sie in Rückenlage dahingleiten und mit ihren elf Beinpaaren Nahrung in ihre Bauchrinne strudeln. Der Unterdruck, der sich dabei bildet befördert die Nahrung zum Mundraum. Die Hautlappen an ihren Füsschen haben den Kiemenfusskrebsen übrigens auch zu ihrem Namen verholfen. Sie dienen der Sauerstoffaufnahme.
Leibspeise der Enten
Die Urzeitkrebse stehen wegen ihrer Seltenheit unter absolutem Schutz. Die Besucher des Sees respektieren das. Fast alle zumindest. «Nach einigen Wochen spricht es sich leider gewöhnlich unter den Enten herum, dass der See wieder da ist. Und denen scheinen die Krebse bestens zu schmecken. Da hilft es wohl auch nichts, eine Tafel aufzustellen», sagt Heise und lacht.
Wann die Enten das nächste Mal ins Eichener Schlaraffenland kommen können? Hartmut Heise weiss es nicht. Aber auch wenn der See verschwunden ist, wird er alle zwei Wochen den unterirdischen Pegel messen, damit er weiss, wann er sich wieder auf eine baldige Rückkehr freuen kann.