Das Projekt HELP! führt Kinder von psychisch kranken Eltern mit Patinnen und Paten zusammen und schenkt ihnen so eine unbeschwerte Zeit. Das Angebot ist ein voller Erfolg, bei den betroffenen Familien ist die Nachfrage gross. Jetzt sucht die Projektleitung weitere engagierte Baslerinnen und Basler.
Es bedarf keiner familientherapeutischen Ausbildung, um sich vorstellen zu können, dass Kinder es bei der Familie Krieg in Riehen gut haben: Sie bewohnen den oberen Teil eines schönen Zweifamilienhauses mit grossem Garten.
Die zweistöckige Wohnung ist lichtdurchflutet, die Bilder und Fotos an den Wänden erzählen Geschichten von Nähe und Unbeschwertheit. Vom Balkon aus, wo ein Kaffee zum Gespräch serviert wird, sieht man den Tüllinger Hügel. Hier wohnen Caroline Krieg, ihr Ehemann und die gemeinsamen drei Söhne nun schon seit zwei Jahren. Und seit sieben Monaten hat das schöne Daheim ein weiteres regelmässiges Mitglied: den sechsjährigen Boris*. Er kommt aus einer Familie, wo psychische Belastung und Erkrankung ein Thema sind. Zudem hat die alleinerziehende Mutter in ihrem sozialen Umfeld nur wenige Entlastungsmöglichkeiten.
Im Rahmen einer Patenschaft des Projekts HELP! hat ihr Sohn nun die Möglichkeit, jede Woche einen Nachmittag mit der Familie Krieg zu verbringen und so ein Stück unbeschwerte Kindheit zu geniessen. HELP! führt Kinder von psychisch erkrankten oder stark belasteten Eltern mit engagierten Patinnen und Paten aus Basel zusammen.
Ein Tramplakat brachte alles ins Rollen
Zum Beispiel mit Caroline Krieg. Die 46-Jährige ist gelernte Physiotherapeutin. In ihrem Leben verlief eigentlich nichts so, wie sie es vorgesehen hatte, gibt sie lachend zu: «Hätte man mir vor 20 Jahren gesagt, dass ich eine Familie gründen und Hausfrau werden würde, hätte ich das nie für möglich gehalten.»
Als ihr erster Sohn geboren wurde, informierte sie sich über Betreuungsangebote durch Tagesmütter. Doch anstatt jemanden einzustellen und den Beruf wieder aufzunehmen, wurde sie selber zur Tagesmutter. «Ich hatte das nie in Erwägung gezogen, aber die zuständige Frau war total sympathisch und hatte mich angefragt, und so führte das eine zum anderen.»
Die dreifache Mutter arbeitete 14 Jahre lang als Tagesmutter, eine Entscheidung, die sie nie bereut hat. Als der Umzug nach Riehen bevorstand, beschloss sie, damit aufzuhören und gelegentlich wieder in ihrem angestammten Beruf tätig zu werden.
Trotzdem war die Betreuung von Kindern inzwischen ein wichtiger Teil ihres Lebens geworden, den sie beibehalten wollte. «Als ich im Tram das Plakat der HELP! Patenschaften sah, stach mir das Angebot sofort ins Auge.» Caroline Krieg und ihre Familie beschlossen, ihre Türe für ein weiteres Kind zu öffnen, aber dieses Mal ehrenamtlich.
Die beiden Jungs waren schnell ein Team
Ausschlaggebend dafür sei auch ihr jüngster Sohn gewesen. «Der Achtjährige ist vier Jahre von meinem Mittleren entfernt. Er wünschte sich schon lange einen jüngeren Bruder.» Sie meldete sich bei der Familientherapeutin Franza Flechl, die das Projekt seit dem Kickoff im Jahr 2012 aufbaut und koordiniert. Flechl führte sie schliesslich mit Boris und dessen Mutter zusammen. Die Chemie zwischen Boris‘ Mutter und Caroline Krieg, aber auch unter den Kindern stimmte auf Anhieb.
Das Projekt HELP! Patenschaften entstand laut Flechl, als vor einigen Jahren ein Manko immer deutlicher wurde: Die Kinder von psychisch kranken Eltern wurden lange Zeit vergessen oder in der Behandlung der Eltern einfach übersehen. «Dabei ist die soziale Unterstützung von diesen Kindern wichtig, auch als präventive Massnahme», sagt Flechl. Denn etwa ein Drittel dieser Kinder würde später selbst an Verhaltensstörungen und psychischen Erkrankungen leiden.
Es sei erfreulich, dass sich nun ein Bewusstsein für die Wichtigkeit dieser präventiven Unterstützung entwickle, sagt die Familientherapeutin. Trotzdem bestehe Nachholbedarf, gerade in der Schweiz. Während es solche Patenschaften in Deutschland seit zehn Jahren überregional gibt, ist HELP! in der Schweiz ein Pilotprojekt.
Flechl bezeichnet das Projekt als vollen Erfolg. Der bislang glückliche Verlauf habe mit vielen Faktoren zu tun, wichtig sei auch das sorgfältige Matching: «Die Mütter, Kinder und Patinnen können beschreiben, was sie sich vorstellen. So gibt es etwa Patinnen, die nur ein Mädchen in einem bestimmten Alter wollen, oder Mütter, die ihr Kind nur zu einer Seniorin schicken wollen. Aus all diesen Angaben die beste Passung zu finden, ist eine spannende Herausforderung.» Zudem wird die Patenschaft in den ersten drei Jahren durch HELP! betreut.
Eine soziale Konstante ist sehr wichtig
Flechl fungiert dabei als erste Anlaufstelle und Beraterin für alle Beteiligten. Dabei fühlt sie sich immer wieder bestärkt, dass das Projekt eine wichtige Lücke im schweizerischen Sozialsystem schliesst: «Ich kriege von allen Seiten wichtige Rückmeldungen. So meinte etwa eine betroffene Mutter, dieses Projekt sei ihre Rettung, sie fühlte sich als einzige Bezugsperson ihrer Kinder stark überfordert.»
Flechl hat Kontakt zu Erwachsenen, die mit psychisch kranken Eltern aufwuchsen. «Viele sagen heute, dass eine soziale Konstante für sie enorm wichtig war. Das konnte etwa ein wöchentliches Mittagessen mit der Nachbarin sein.» Genau so eine stabile Beziehung will das Projekt HELP! Kindern von psychisch kranken Eltern ermöglichen.
Offenheit und Austausch fördern
Auch Caroline Krieg hatte es früher in ihrer Familie nicht immer einfach. Es sei für sie als Kind sehr bereichernd gewesen, dass sie das Quartier als lebendige Gemeinschaft wahrgenommen habe. «Bei gewissen Nachbarn ging ich regelmässig ein und aus. Ich glaube, es tat meinem Selbstbewusstsein gut, in andere Familien hineinzuschauen und so zu sehen, was es für Alternativen gab. Das finde ich enorm wichtig, um das selbst Erlebte zu relativieren. Es half mir, meinen eigenen Weg zu finden.»
Es komme ihr so vor, als seien diese Offenheit und dieser natürliche Austausch seltener geworden. «Die Leute sind heute weniger flexibel, und sogar die Kinder haben oft eine völlig durchorganisierte Freizeit.» Deshalb findet sie es wichtig, diesen Austausch zu ermöglichen.
«Ich finde es wichtig, in andere Familien hineinzuschauen, um das selbst Erlebte zu relativieren. Es half mir, meinen eigenen Weg zu finden.»
«Wir haben es hier so schön, das wollen wir gerne teilen», sagt die Familienmutter. Doch sie inszeniere sich nicht gerne als «selbstlosen Gutmensch», wie sie sagt. «Wenn wir uns ehrenamtlich engagieren, tun wir das immer auch ein Stück weit für uns selbst.» So sei die HELP! Patenschaft für ihre eigene Familie mindestens ebenso bereichernd wie für das Patenkind und seine Mutter.
Boris* und ihr Jüngster hätten sich vom ersten Tag an bestens verstanden, schnell waren die beiden ein eingespieltes Team. «Beim ersten Treffen wollte mein Sohn Boris unsere Katze unbedingt noch zeigen, dabei hob er sie allerdings so hoch, wie sie es überhaupt nicht mag, worauf sie ihn kratzte. Bevor Boris ging, suchte er einen dornigen Brombeerzweig und legte ihn vor die Eingangstür. Er wollte der Katze eine Falle stellen, da sie seinen neuen Freund verletzt hatte. Solche Erlebnisse berühren mich schon sehr», sagt Caroline Krieg.
Kein «Halligalli», sondern Familienalltag
Die Familie versucht nicht, Boris mit besonderen Aktivitäten zu beeindrucken, dafür fehlt der dreifachen Mutter auch die Zeit. «Wir können Boris hier nichts Spektakuläres bieten, was wir ihm aber schenken können, ist ein Stück Normalität. Und genau das ist es, was ihm in seiner Situation guttut.»
Und Franza Flechl, die das Projekt koordiniert, sagt: «Wir haben sehr unterschiedliche Patinnen. Manche Paare haben keine Kinder, andere haben selbst eine Familie, es hat aber auch alleinstehende junge Frauen in Ausbildung und Seniorinnen.» Diese Vielfalt zeigt auf, dass es bei dem Projekt HELP! nicht darum geht, den Kindern etwas Spezifisches zu bieten, zum Beispiel eine heile Familienwelt. «Wer Freude und Erfahrung im Umgang mit Kindern mitbringt und ihnen eine gewisse Regelmässigkeit bieten kann, ist als Götti oder Gotti sehr willkommen.»