Nicole Bernegger ist «The Voice of Switzerland». Sie wurde im Final ihrer Favoritenrolle gerecht und vom TV-Publikum gewählt. Die Sängerin der Basler Band The Kitchenettes hofft, dass der Sieg nicht das Ende ihrer Band bedeutet, sondern sie diese in die vertraglich zugesicherte Plattenproduktion integrieren kann. Zudem sagt sie, dass sie ein Angebot von Rapper Stress, ihn auf Tour zu begleiten, derzeit ablehnen würde.
Wochen vor dem Final gab es da schon diesen denkwürdigen Schweizer TV-Moment, im jungen Jahr 2013, bei den Blind Auditions von «The Voice of Switzerland». Eine Stimme sang Nina Simones «Feeling Good». Eine grosse Herausforderung, grossartig gemeistert. Das Publikum jubelte euphorisch, die vier Juroren staunten. Jubelten auch. Und dann buhlten sie, Philipp Fankhauser, Stefanie Heinzmann, Stress und Marc Sway, buhlten allesamt um die Gunst dieser Frau, die sich als Nicole Bernegger vorstellte, 35, aus Birsfelden, Baselland. Mutter zweier kleiner Kinder. Mit dem dritten im Bauch.
Die Jury überschüttete sie mit Komplimenten und Philipp Fankhauser gestand bei dieser Gelegenheit, dass er im Vorfeld Bedenken geäussert habe, ob sich in der Schweiz grosse Stimmen finden würden.
Sixties-Flair der Kitchenettes
Wer in Basel vor dem Fernseher sass, war ebenfalls ergriffen und berührt und stolz. Aber nicht erstaunt über diese Ausdruckskraft. Hat diese Sängerin ihr Talent doch schon unzählige Male unter Beweis gestellt, auf den Bühnen dieser Stadt, dieses Landes – and one step beyond. Früher als Frontfrau der Ska-Band Kalles Kaviar, in der ihr Ehemann heute noch Schlagzeug spielt. Und seit 2004 auch als Frontfrau einer Soul-Formation, die sich The Basement Brothers feat. The Kitchenettes nannte, nach einigen Jahren aber zur Erkenntnis gelangte, dass eine Verkürzung auf The Kitchenettes marktkompatibler wäre. Deren handgemachte Soulmusik hat schon viele Clubs mit Sixties-Flair ausgestattet und das Parkett schwingen lassen. Die Skepsis von Philipp Fankhauser sagte somit mehr über ihn selber aus, über seine lückenhaften Kenntnisse der Schweizer Szene.
Erstaunt war man vielleicht eher darüber, dass jemand mit der Erfahrung einer Nicole Schlachter, wie man sie hier unter ihrem ledigen Namen jahrelang nannte und kannte, sich bereit erklärt hatte, bei dieser Castingshow teilzunehmen.
Dazu muss man wissen, dass die TV-Produzenten im Vorfeld auch aktiv Gesangstalente anwarben und zur Teilnahme animierten. So etwa die Basler Sängerin Lena Fennell, die an ihrem zweiten Album arbeitet und dankend ablehnte: «Ich will meinen eigenen musikalischen Weg gehen, mich nicht in ein Showformat pressen lassen», sagt Fennell auf Anfrage. «Und ich will selbst entscheiden, mit wem ich wann und wie zusammenarbeite. Bei alldem hilft mir ‹The Voice of Switzerland› nicht weiter.»
Die Bedenken vor der Bewerbung
Nicole Bernegger bewarb sich zwar auf eigenen Wunsch, aber auch sie hatte zuvor ihre Bedenken. «Mein Mann gab mir den entscheidenden Push», erzählt sie bei einem Latte macchiato in der Basler Mitte. «Ich überlegte es mir reiflich, weihte mein Umfeld ein, war – wie oft in meinem Leben – hin und her gerissen.»
Es gab befreundete Musiker, die ihr von einer Teilnahme abrieten, die fürchteten, dass ihr ein Stempel aufgedrückt würde. Sie trug den Gedanken auch in den Proberaum ihrer Band im Basler Dreispitz. Der Tenor war einheitlich: Sie soll es wagen und nie bereuen. Denn – wer ist da schon anderer Meinung? – wenn es hier um «The Voice» geht und nicht darum, schnell einen Stern aufzubauen und verglühen zu lassen, sollte sie die Chance nicht ungenutzt lassen. Auch wenn das für die Band alles bedeuten kann: einen Schub, eine Steigerung des Bekanntheitsgrads. Oder das Ende.
Denn wer gewinnt, der verpflichtet sich auch. Man weiss aus der Vergangenheit: Die Anbindung an die Plattenfirma Universal und an die Zürcher Hitmill-Produzenten (Roman Camenzind, Fred Herrmann) ist bei solchen Schweizer TV-Shows vertraglich festgehalten. Bernegger äussert sich nicht dazu, auch das hat sie vertraglich vereinbart. «Aber sollte ich tatsächlich gewinnen, so bin ich zuversichtlich, dass ich die Band mitziehen könnte», erzählt sie.
«Ich bin zuversichtlich, dass ich die Band mitziehen könnte»
So kraftvoll eine Grossformation klingen kann – neun Leute, manche mit Familie, andere mit Jobs, sind nicht immer einfach auf dieselbe Linie zu bringen, schon nur Terminpläne zu koordinieren ist eine kleine Kunst. Und Besetzungswechsel haben die Kitchenettes auch einige hinter sich.
«Wir sind aber ein eingespieltes Team, ambitioniert und verfolgen die gleichen Ziele. Ich hoffe, dass diese Sendung uns weiteren Schwung verleiht», sagt die Frontfrau.
Stress als Kapellmeister
Heisst das also, dass sie eine Anfrage von Stress, ob sie mit ihm auf Tour gehen würde als Background-Sängerin, ablehnen würde? «Ich bin doch keine Background-Sängerin», antwortet sie kokett und beginnt dann zu lachen. Nein, für Stress als Mentor entschied sie sich, weil sie ihn mal auf der Bühne sah und von seiner Performance und seiner Professionalität sehr beeindruckt war. «Ich suchte ja keinen Gesangslehrer, sondern einen Kapellmeister.» Ein weiser Entscheid, wie man unterdessen weiss, hatte Stress – «nur» ein Rapper, mag man anfänglich gedacht haben – doch das schillerndste, auffälligste Ensemble rekrutiert. Und schickt nun die Kronfavoritin ins Finale der TV-Show.
«Er hat ein wahnsinniges Gehör», schwärmt die Sängerin, «hat mir geholfen Einfälle zu bündeln und mich herausgefordert – wie ich mir das erhofft hatte.» So gab er ihr etwa mit Justin Timberlakes «Cry Me a River» eine Aufgabe, die sie im Retrostil lösen sollte, was ihr bravourös gelang.
Fremden Songs eine eigene Note zu verleihen, das ist eine weitere Qualität von Nicole Bernegger – nebst ihrem Range, ihrer Kraft, ihrem Vibrato und der Klangfarbe.
Wie alles begann
Tatsächlich kann man sagen, dass sie sich treu blieb in allem, was sie vor der Kamera bot. Schon als Teenager coverte sie Songs, stand 1991 erstmals auf einer Bühne und sang den «Shoop Shoop Song» von Cher, im Fricktaler Jugendchor TenSing Möhlin. «Ich erinnere mich genau, wie nervös ich war auf dem Weg zum Vorsingen. Meine Freundin Leila und ich trauten uns kaum hinzugehen», erzählt sie. Heute ist Leila Pfister klassisch ausgebildete Sängerin. Auch Bernegger nahm damals Unterricht bei einer Opernsängerin, trainierte ihre Technik. «Sie lehrte mich, mit meiner Stimme zu tanzen, mit ihr zu spielen.»
Aus dem Chor ging die erste Band hervor, Sovgipø (auch eher marktuntauglich, der Name), man spielte an Gymfeiern und dergleichen, adaptierte Klassiker von Joe Cocker, Aretha Franklin oder James Brown – und wagte sich sogar an «I Will Always Love You» heran, an jenes Stück von Whitney Houston, an dem sich viele Sängerinnen versuchen. Und noch mehr scheitern. Sie aber brillierte. «Wir sind ein gutes Team», sagt sie lächelnd, auf ihre Stimme angesprochen. In den zwanzig Jahren auf der Bühne habe sie gelernt, ein Gefühl anzunehmen, in sich versinken und gleichzeitig loslassen zu können, wenn sie singe. «Das erfordert grosses Vertrauen zur eigenen Stimme. Denn erzwingen lässt es sich nicht.»
Erzwingen liess sich auch der Sieg nicht. Das TV-Publikum hat darüber entscheiden. Es wäre nicht erstaunlich, wenn Nicole Bernegger und ihre Kitchenettes die Konzerte bald nicht mehr selber buchen müssen.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 15.03.13