Aus der Not zur Kunst gefunden

Niki de Saint Phalle schuf ihre Werke nicht aus Freude, sondern aus Zorn auf die Männerwelt.

Die «Nanas», pummelige, meist überdimensionierte Frauenskulpturen in unmöglichen Stellungen, waren ihr Markenzeichen: Niki de Saint Phalle im Mai 1985 an einer Ausstellung in der Galerie Littmann. (Bild: Kurt Wyss)

Niki de Saint Phalle schuf ihre Werke nicht aus Freude, sondern aus Zorn auf die Männerwelt.

Auf den ersten Blick mögen die pummeligen «Nanas», die so gar nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen, in ihren bunten Kostümen zwar etwas tollpatschig, zumindest aber lebensfroh und irgendwie rührend wirken. Doch der Schein trügt: Für ihre Schöpferin, die 1930 in einem Pariser Vorort geborene Niki de Saint Phalle, waren die seltsamen Puppen mit ihren kleinen, ausdruckslosen Köpfen Teil eines flammenden Protests gegen eine von patriarchalischen Strukturen beherrschte Welt.

Ihre Kindheit zwischen kleinlichem Grossbürgergehabe im Elternhaus und freudloser Erziehung in einer New Yorker Klosterschule empfand Niki als reine Hölle. Die traumatischen Erlebnisse führten die rebellische junge Frau im Rahmen einer Therapie zur Kunst. Sie wurde Künstlerin, «weil es», wie sie sagte, «für mich keine Alternative gab».

Ihre Beziehung sprengte alle bürgerlichen Normen und hielt dennoch, bis dass der Tod sie schied.

Nachdem sie eine Zeit lang erfolgreich als Fotomodell gearbeitet hatte, entstanden 1950 ihre ersten Bilder. Im gleichen Jahr heiratete sie den Schriftsteller Harry Mathews, mit dem Niki zwei Kinder hatte. Die junge Familie zügelte nach Paris, wo die vielseitig begabte Künstlerin sich endlich nach eigenem Willen frei entfalten konnte. Sie nahm Schauspielunterricht, schrieb fürs Theater, entwarf Schmuck und Kostüme, betätigte sich auch als Filme­macherin und schuf sogenannte Schiess­bilder, Gipsreliefs mit eingearbeiteten Farbbeuteln, auf die an den Vernissagen geschossen wurde, damit sich deren Inhalt über die Werke ergiessen konnte. Niki sah sich selbst als «Terroristin der Kunst».

Auch ihre ersten «Nanas» waren reine Provokation, besonders jene gigantische, 29 Meter lange Megaskulptur «Hon – en Katedral» (Sie – eine Kathedrale), die 1966 im Stockholmer Kunstmuseum Moderna Museet den Zuschauern mit gespreizten Beinen Zugang zu den von Jean Tinguely gestalteten Innenräumen bot – zu einem Liebesnest im Bein, einer Milchbar in der Brust, einer mechanischen Gebärmutter im Bauch. Obszöne Entgleisung nannten es die einen, geniale Symbolik die andern.

Niki & Jeannot

Beides kümmerte weder Niki de Saint Phalle noch Jeannot Tinguely, die sich 1955 in Paris kennen, kongenial bereichern, streiten und lieben gelernt hatten, bis sie 1971 dann auch noch «ganz normal» heirateten. Es war eine Beziehung, die alle bürgerlichen Normen sprengte und dennoch hielt, bis dass der Tod sie schied. Er starb 1991 in Bern, sie elf Jahre später in San Diego.

Im Giardino dei Tarocchi, einem ab 1979 von Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely gemeinsam realisierten Fantasiegarten in der toskanischen Hügellandschaft bei Capalbio (Provinz Grosseto), bleiben ihr Wesen und Genie der Nachwelt beeindruckend erhalten.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 15.03.13

Nächster Artikel