Eine spezielle Facette baslerischer Selbstquälerei

Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt. Geht es auf die Fasnacht zu, tut sich in meinem Freundeskreis plötzlich ein tiefer Graben ­auf – hier die ­«Aktiven», dort die «Zivil­isten». Da­zwischen liegen Welten. Und je näher die «drey scheenschte Dääg» rücken, desto geheimnisvoller verhalten sich die Fasnächtlerfreunde. Ein Treffen vereinbaren? Fast un­möglich. ­Spontane Gespräche über Alltäg­liches […]

Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt. Geht es auf die Fasnacht zu, tut sich in meinem Freundeskreis plötzlich ein tiefer Graben ­auf – hier die ­«Aktiven», dort die «Zivil­isten». Da­zwischen liegen Welten. Und je näher die «drey scheenschte Dääg» rücken, desto geheimnisvoller verhalten sich die Fasnächtlerfreunde. Ein Treffen vereinbaren? Fast un­möglich. ­Spontane Gespräche über Alltäg­liches und an­de­res Menschliches, Allzu­menschliches führen? Schwierig. «Keine Zeit», wird dem «Zivilisten» mit bedeutungsschwan­ge­rem Gesichtsausdruck beschieden. «Fasnacht, du weisch jo …»

Wir wissen – eigentlich gar nichts. Denn auch das ist eine typische Verhaltensweise der Ak­ti­ven: Über die Fasnacht mögen sie mit uns Unkundigen nicht wirklich sprechen.

Kürzlich wollte ich es trotzdem wissen. «Zuerst einmal», packte mein alter Freund Marcel aus, «die Fasnacht ist Arbeit.» Marcel wurde in eine altehrwürdige Basler Clique hineingeboren, ist wie seine Eltern seit jeher aktiv und hat auch «Ämtli» übernommen. Das heisst: jahrein, jahraus wöchentlich in die Trommel- und Pfeifprobe; Nachwuchs betreuen; an Sujetsitzungen teil­nehmen; Kostüme und Larven entwerfen (Grosscliquen brauchen bis zu drei Tenüs pro Mann und Frau für die drei Tage); Zeedel dichten, Laternen be­malen; Marschübungen in den Langen Erlen absolvieren; für «Drummeli», «Charivari» oder «Mimösli» & Co. üben, eine Woche lang jeden Abend an Vorfasnachtsveranstaltungen auf­treten – und nebenbei: organisieren, organisieren, ­organisieren … Vor dem Morgenstreich sei er meist «total uff dr Schnuure», sagt Marcel.

Überhaupt, der Morgenstreich. «Dass der um vier Uhr morgens stattfindet, verstösst gegen Menschenrechte», sagt Christian, ein anderer Urfasnächtler: «So beginnt die Fasnacht schon mit einem krassen Schlafmanko!» Ganz zu schweigen von all den anderen körperlichen Blessuren (Rückenweh, Blasen an den Händen), die man sich während der drei Tage auf Dutzenden von Marschkilo­­metern zuzieht …

Warum tun Fasnächtler sich das an? «Es ist der typische Basler Masochis­mus», diagnos­­tiziert Walter Schäfer, seit über 50 Jahren selber Ak­ti­ver, in seiner Abrechnung mit der Fasnacht. Doch lesen Sie selbst – ab Seite 6.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 24.02.12

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