Eine Villa zwischen Edgar Allen Poe, Kreativer-WG und Neu-Entdeckung

Die prächtige Hammervilla direkt am Wettsteinplatz stand sechs Jahre leer, nun haben Herzog & de Meuron das Haus gekauft und ein Jahr für eine Zwischennutzung freigegeben. Wir waren bei der Eröffnung am Donnerstag und trafen auf Dämonen, Polsterer und stumme Architekten.

Im Wintergarten der alten Villa kann man sich von nun an klassisch massieren lassen. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Die prächtige Hammervilla direkt am Wettsteinplatz stand sechs Jahre leer, nun haben Herzog & de Meuron das Haus gekauft und ein Jahr für eine Zwischennutzung freigegeben. Wir waren bei der Eröffnung und trafen auf Dämonen, Polsterer und stumme Architekten.

Kurz nach 18 Uhr am Donnerstagabend reihen sich schon Dutzende Rennvelos an den herrschaftlichen Gartenzaun der Hammerstrasse 10 beim Wettsteinplatz. Hinter dem Gartenzaun erhebt sich nicht weniger herrschaftlich ein Haus. Es ist eine Jugendstil-Villa, wie sie im Buche steht. Reich verzierte Fensterbögen ragen aus der weissen Fassade, der grosszügige Hof ist von den Bäumen an der Strasse zu einer Laube eingefasst, und ein Wintergarten und Anbau zeugt von der Dekadenz des Fin de Siècle.



Die Eingangshalle der Hammervilla von 1880 ist noch so erhalten, wie sie einst der Basler Architekt Heinrich Flügel gebaut hat.

Die Eingangshalle der Hammervilla von 1880 ist noch so erhalten, wie sie einst der Basler Architekt Heinrich Flügel gebaut hat. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Gebaut wurde das Haus 1880 vom Basler Architekten Heinrich Flügel, der auch ein Dutzend Häuser in der Innenstadt und einige im Zoo entwarf. In Basel scheint man ein Auge für seine Architektur zu haben: 90 Prozent der Bauten von Flügel stehen noch. In der flimmernden Abenddämmerung fühlt man sich ein bisschen an Edgar Allen Poes gespenstischen Haus von Usher erinnert, doch von den dämonischen Gestalten aus Poes Buch ist drinnen nichts zu finden. Es tummeln sich meist junge Leute, denen man ihr Stilbewusstsein ansieht und die das auch zu wissen scheinen, es wird angeregt diskutiert, und vereinzelt rennen Kinder über das Fischgrätenparkett.




(Bild: Alexander Preobrajenski)

Die Wände sind allesamt mit mintgrüner, gemusterter Tapete überzogen, von den Decken strahlen Leuchten wie aus einen Coiffeur-Salon, und aus der Eingangshalle erhebt sich eine schwere Holztreppe, die in den ersten und zweiten Stock führt. Der Letztere wurde in den 80er-Jahren als einziger Teil des Hauses umgebaut, ansonsten ist die Bausubstanz in der Hammervilla noch, wie sie Flügel sich erdachte. Wirklich gewohnt wurde hier nie, von Anfang an nutzte das Gewerbe die Villa. Folglich gibt es im ganzen Haus auch nur eine Dusche. In die hohen Zimmer des zweiten Stocks hat man schwere, lachsfarbene Eisenkonstruktionen eingebaut, auf denen sich meist Bürotische und Computer finden, die Fläche unten dient den Kreativen als Atelier.

Die Architekten bleiben stumm

Zwei von diesen sind Alexandra Bugmann und Men Cadosch von «Besessen & Erleuchtet» (nachfolgend im Bild). Die beiden verzieren Möbel und Wohnaccessoires mit Punktmustern. Begonnen hat alles mit alten Stühlen aus dem Brockenhaus, deren Polster kaputt war. Bugmann und Cadosch druckten ihre Punktmuster auf Stoffe und polsterten die Stühle neu. Inzwischen verkaufen sie die Design-Stücke bis nach Japan.




(Bild: Alexander Preobrajenski)

Ihren ehemaligen Laden am Bläsiring mussten sie wegen einer Mietzinserhöhung aufgeben. Da kam die Ausschreibung der Zwischennutzung des Basler Zwischennutzungsmonopolisten Unterdessen gerade richtig: Mit einem Dutzend anderen Kreativen teilen sie sich hier ein wunderschönes Haus, für einen nicht günstigen, aber fairen Mietpreis mitten in der Stadt. Eine Masseuse, ein Grafikbüro, Modedesigner, Messeplaner, Fotografen, Innenraum-Designer, Theatermenschen, Musiker und eine Eltern-Kind-Beraterin arbeiten nun in der Hammervilla.




(Bild: Alexander Preobrajenski)

Die Elsässer Besitzerin liess das Haus sechs Jahre lang leer stehen. Schliesslich wurde es von den Basler Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron gekauft. Die Villa steht in einer Reihe von Gebäuden, die das Architekturbüro in den vergangenen Jahren im Kleinbasel erworben hat. Die Zwischennutzung der Hammervilla scheinen die Architekten nicht an die grosse Glocke hängen zu wollen: Die Presse wurde zur Eröffnung nicht informiert oder gar «nicht gewünscht», wie man hört.

Die Zwischennutzung des Vereins Unterdessen ist auf ein Jahr begrenzt. Danach soll die Hammervilla renoviert werden. Die Kreativen hoffen jedoch auf Einsprachen, damit sie länger bleiben können. Was Herzog & de Meuron in der Villa planen, beantworteten die Verantwortlichen der TagesWoche bisher nicht.



Der Blick aus dem zweiten Stock der Villa fällt hinunter in die Eingangshalle.

Der Blick aus dem zweiten Stock der Villa fällt hinunter in die Eingangshalle. (Bild: Alexander Preobrajenski)

In der «Cave of Soul»

Grobe, steinerne Mauern bilden die Wände im Keller. In einem Zimmer liegen überall Gitarren herum, eine davon ist mit Farbe bekleckert und schwer mitgenommen, und auf dem Boden liegt ein selbstgebasteltes Saiten-Instrument aus Holz. Dies ist der Raum von Jakob Läser und Jari Antti. «Wir können hier unten ohne Druck spielen», erzählt Antti, der hier die Songs für das kommende Album seiner Band Navel schreibt. Er erzählt, wie er mit seinen Mitmusikern einen Song erst im Proberaum und dann hier spielten – in der Hammervilla klang er völlig anders. «Irgendwie ist der Raum ehrlicher, er hat mehr Soul.»



In der «Cave of Soul» von Jari Antti und Jakob Läser spielen sie eigene Musik und Antti schreibt Songs für das neue Album von Navel.

In der «Cave of Soul» von Jari Antti und Jakob Läser spielen sie eigene Musik und Antti schreibt Songs für das neue Album von Navel. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Seine Atmosphäre trägt der Raum nun auch im Namen: «Cave of Soul» nennen sie ihn. Neben der Musik bastelt Antti hier auch aus alten Zigarrenschachteln kleine 9-Volt-Verstärker für elektrische Gitarren. «Jump», nennt er die Dinger. Läser schwärmt von den Vorteilen des Raumes: «Hier haben wir Licht, es ist geheizt, und wir müssen nicht ständig das Zeug von anderen Musikern wegräumen, bevor wir spielen können.» In den meisten Proberäumen sei das genau umgekehrt. «Ausserdem sind wir nicht irgendwo am Arsch der Welt, sondern mitten in der Stadt.»



Die beiden Musiker Jakob Läser und Jari Antti (von links) nutzen die Zwischennutzung der Hammervilla für ihr neues Perfomance-Noise-Projekt.

Die beiden Musiker Jakob Läser und Jari Antti (von links) nutzen die Zwischennutzung der Hammervilla für ihr neues Perfomance-Noise-Projekt. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Zusammen arbeiten die beiden an einem neuen Performance-Projekt aus Noise-Klängen und Videoinstallation. Zwei Stunden später haben Läser und Antti ihr Mutantentum aus Gitarren und Verstärkern in der Eingangshalle der Villa aufgebaut. Aus den Instrumenten der Musiker erhebt sich nun für eine Dreiviertelstunde eine Wand des Schreckens.

Die Visuals hinter ihnen sind gut gewählt: Ein Mann klettert darin im Innern eines Raumes der Wand entlang. Es sieht fast so aus, als hänge er an der Tapete der Hammervilla. Aus den Verstärkern scheinen nun doch so etwas wie die Dämonen aus Poes Buch aufzusteigen, doch bald scheuchen Jari Antti und Jakob Läser ihren gespenstischen Sound zurück in die «Cave Of Soul». Mit einer mehrstündigen Zugabe wollen sie dort unten die einjährige Zwischennutzung der Hammervilla endgültig einläuten.




Grafiker, Modedesigner, Planer, Fotografen – die Villa ist eine grosse Kreativ-WG. (Bild: Alexander Preobrajenski)

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