Die Expo Milano 2015 will neue Wege im Kampf gegen den Welthunger aufzeigen – und verpasst eine grosse Chance. Statt Ansätze zur Verbesserung der Situation zu präsentieren, konkurrieren die Teilnehmerländer mit prunkigen Bauten und protzigen Multimedia-Shows.
Sie wurde im Vorfeld heftig kritisiert und von Korruptionsskandalen überschattet: die Expo Milano. Am Eröffnungstag, am 1. Mai, kam es zu massiven Ausschreitungen in der Milaneser Innenstadt sowie zu erheblichem Sachschaden. Einige Länder, wie etwa Holland, wollten erst gar nicht partizipieren.
«Feeding the planet, energy for life». Das ist das offizielle Thema der Expo Milano 2015. Nach Schanghai («Eine bessere Stadt, ein besseres Leben») ein Motto, das platter zwar, aber weniger abstrakt daherkommt. Die Wahl des kulinarischen Themas sollte bewusst die ewig technisch fokussierten Weltausstellungen ablösen und diese in eine andere Richtung lenken. Zudem sollte das Sujet Raum bieten, um mehr auf die Identitäten der einzelnen Länder eingehen zu können.
Prestigebauten, wohin man blickt
Die grundlegenden Probleme Welthunger oder der Tausenden von Menschen verwehrte Zugang zu sauberem Trinkwasser, die überfischten Meere oder generell das immer grösser werdende Missverhältnis zwischen Ökologie und Ökonomie sollten gemeinsam diskutiert und mögliche Lösungsansätze präsentiert werden. So weit, so gut.
Mehrere Wochen nach der Eröffnung ist nun endlich quasi alles fertiggestellt. Die Mailänder Expo gleicht einem bunten Mix aus temporären Prestigebauten, der eklektischer nicht sein könnte. Eine unwirkliche Stadt, eine Strassensiedlung, die in ihrer Machart an Staffagen aus Filmproduktionen oder an Disneyland erinnert. Ein internationaler Musterhauspark der absurden Nachbarschaften und eine masslose Materialschlacht, die diametral dem Öko-Thema der Expo gegenübersteht.
Über den Dächern der Expo Milano: Viel Prunk, wenig Nachhaltigkeit.
Die Kontextualisierungen der einzelnen Pavillons erwecken den Anschein, als hätte jeglicher Masterplan gefehlt. Denn da gibt es unter anderem eine, aus Geldgründen, bis dato nicht fertiggestellte Pagode (Nepal), einen Segeltuch-Eisberg (Kuweit), einen gigantischen Vogel (Tschechien), ein grosses Fass (Ungarn), einen morgenländischen Palast (Katar), eine Art weisses U-Boot auf Stelzen (Korea), einen stählernen Bienenstock (England) und dazwischen den Pavillon von McDonald’s sowie zahllose international angehauchte Schnell-Imbiss-Restaurants und Cafés.
Auch hier fehlte eine schlüssige Idee und ein Masterplan: Tschechien mit Vogel.
Italien ist beim Thema «Essen» ganz bei sich
Das Gastland Italien präsentiert sich mit einem Monumentalbau des Mailänder Büros Nemesi & Partner und erinnert in seiner Formgebung an ein fluchtartig gepacktes Fresspaket, bestehend aus gepressten Spaghettini. Der italienische Pavillon heisst auch nicht Pavillon, sondern «Palazzo Italy».
Das bel paese ist mit dem Thema «Essen» ganz bei sich. Welthunger etc.? Weit gefehlt. Im Innern werden multimediale Spiegelwelten geboten, die zunächst sattes Grün zu einer italienischen Landschaft transferieren lassen oder die Besucher dann digital nach Venedig bringen.
Es geht offensichtlich um die Schönheit des Landes und um (Ess-)Traditionen. So werden, zwar auf durchaus ästhetische Weise, abgegriffene Klischees à gogo präsentiert. Der Palazzo wird als einziger Beitrag der Expo auf dem Neubaugelände stehen bleiben dürfen. Wozu er allerdings zukünftig dienen soll, wurde bisher von der Regierung nicht geklärt. Aber da wird sich schon etwas finden lassen, er liegt ja, verkehrsgünstig, bloss 35 Minuten vom Zentrum der Wirtschaftsmetropole entfernt.
Keine Scheu, einen Wald zu pflanzen
Endlich, etwas durchatmen in Österreich.
Schnell wieder abgebaut hingegen ist der österreichische Pavillon, der den Titel «Breath Austria» trägt. Es handelt sich hierbei um eine schwarze Box, in deren Inneren ein österreichischer Bergwald angepflanzt wurde, der, für nicht mehr ganz sechs Monate, für frische Luft sorgen wird auf dem Expo-Gelände. Durch kapillarartige Mini-Düsen wird der Wald bewässert, und es ist höchst angenehm, sich bei zirka 30 Grad Celsius, die draussen herrschen, in diesem modrig-nebligen Pavillon zu bewegen.
Zudem ist es eine sehr intelligente Lösung, auf das Sujet der Expo einzugehen, und funktioniert auf mehreren Ebenen gleichzeitig. Nur mit der späteren Nutzung des Bergwaldes scheint es etwas zu hapern: Geplant war nämlich, den Nadelwald ins gebirgige Bozen umzusiedeln, doch der Transport des Waldstücks würde mit rund 1,2 Mio. Euro zu Buche schlagen.
Japan: das bessere Holz
Ebenfalls auf den Werkstoff Holz gesetzt hat, nebst Polen (fragwürdige Harassen-Konstruktion), auch Japan. Der japanische Beitrag wird von einem Holzgeflecht altjapanischer Tradition ummantelt und wartet im Inneren mit einer wunderschönen Inszenierung einer alten japanischen Sage auf. Visuell wirklich ein Erlebnis und mitunter etwas vom Besten überhaupt an der Expo.
Es geht in der Sage um das Verhältnis von Natur und Kultur, bevor dann zeitgenössische Facts der gegenwärtigen Food-Industrie Japans eingebracht werden. Ergänzt wird Japans Pavillon von einem Fast-Food-Restaurant im Japanese Style, das nebst Nudelsuppen auch Hamburger aus Reis mit Teriyaki-Rind oder Macha-Lattes in Bechern mit Strohhalmen anbietet und so gekonnt die Convenience-Food-Industrie karikiert; auf gewohnt japanische, zurückhaltende Art.
Gründlich daneben: die USA
Darf auch etwas über Nachhaltigkeit erzählen: US-Präsident Barack Obama über die Food-Visionen seines Landes.
Etwas weniger leise mit ihrem Beitrag «Food 2.0» sind die USA vertreten. Präsident Barack Obama persönlich begrüsst am Eingang des amerikanischen Länderpavillons die Gäste vom Bildschirm herunter. Dabei unterstützt ihn seine Frau Michelle, die kürzlich für den Clip eines Healthy-Food-Raps mit einer Rande vor dem Gesicht in Erscheinung getreten ist.
Und Gemüse gibts hier massenhaft, nur kommt man etwas schlecht ran: Die Fassade des US-Beitrags bildet ein hängender Gemüse- und Kräutergarten. Doch auf Anfrage erfahren wir, dass das vertikal gezogene Gemüse weder geerntet noch gegessen wird an der Weltausstellung, sondern dass der Staff nachts, wenn die Besuchermassen friedlich schlafen, die faulen und aufgestängelten Salat- und Kohlköpfe entfernt und entsorgt.
Die Amis belehren die Welt
Es ist schon dicke Post, dass ausgerechnet die Amis die Welt belehren wollen, wie, was, wo produziert werden soll. Die Inszenierung der Ausstellung ist hochtechnisiert umgesetzt worden (von einer Schweizer Firma), bringt allerdings nicht das Geringste an neuen Erkenntnissen zu Tage.
Fast noch obszöner präsentiert sich Kasachstan, das Land, das in zwei Jahren die nächste Weltausstellung mit dem Motto «Energie der Zukunft: Massnahmen für weltweite Nachhaltigkeit» austragen wird. Im Innern des «most shiny Buildings» auf der Expo befindet sich unter anderem ein 3D-Kino, das die Besucher mit der Landschaft Kasachstans vertraut machen soll und den Wüstenstaat als fest in der Nomadentradition seiner Bewohner verankertes Land darstellt.
Nahrungsmittel werden hier als Geschenk der Natur angesehen, und da ist es nur natürlich, dass man gerne alles miteinander teilt. «A land of oppurtunity…», sagt die Off-Stimme verheissungsvoll, während der Kinosessel, auf dem man sitzt, hin- und her schwingt.
Zynische Mega-Show: Die armen Länder der Erde sind an der Ernährungs-Expo abwesend.
Etwas am Ziel vorbeigeschossen haben auch Deutschland, Frankreich und Spanien. Es ist zwar alles gut gemeint, zudem teuer und in Stararchitektur verpackt. Nur bringt es leider nichts Denkwürdiges zum Vorschein, ausser ein paar wundersamer, meist durch Hightech ermöglichte, flüchtige Momente. Englands Bienenstock aus Stahl und Glas ist ästhetisch zwar äusserst gelungen, fällt aber leider auch dieser Kategorie zu.
Ebenfalls missraten (man könnte es als Zyniker auch als schlauen Schachzug des Expo-Managements werten) ist die Tatsache, dass die ärmsten Länder der Welt, die wirklich nichts zu essen haben, entweder erst gar nicht vertreten sind oder dann zu gemeinschaftlichen Clusters zusammengeführt wurden, zu den Themen Kaffee, Kakao und Reis. Ersteres wurde «grosszügigerweise» vom italienischen Kaffeehersteller Illy Caffè, der dann auch gleich ein grosses Bistro mit Shop ins Cluster-Konzept integriert hat, ermöglicht.
Korea ist ein Lichtblick
Welcome to Korea: Beim Eingang zu einem weissen U-Boot auf Stelzen…
Das bereits erwähnte und auf Stelzen stehende weisse U-Boot vis-à-vis ist der Pavillon Koreas. Leider auch völlig überdimensioniert und überdesignt von aussen. Allerdings verbirgt sich im Inneren eine der besten Shows der Expo: eine Ausstellung, die Arbeiten von Künstlern des Landes vereint, die sich alle mit dem Thema von Nahrung, Energie und Industrie beschäftigen.
Es sind eindrückliche mediale Inszenierungen, die es ohne Verklärung schaffen, das Thema auf poetische – und auch auf anklagende Art und Weise – zu verbildlichen. Die U-Boot-Form des Gebäudes allerdings bleibt uns auch nach der Visite ein Rätsel.
Das Absurdeste aber, was die Expo Milano 2015 zu bieten hat, ist der sogenannte Mailänder Lebensbaum: eine 37 Meter hohe Holz- und Stahlkonstruktion in Form einer Lotusblüte, die einem künstlich angelegten See entwächst. Das «Symbol der Hoffnung», so heisst es.
Die Skulptur ist bestückt mit zahllosen Lampen und LED-Stripes, die jeden Abend zwei Mal während 20 Minuten und begleitet von einer Choreografie von Wasserfontänen in allen Farben leuchten. Zu gefühlsschwangerer Musik oder zu einer verrockten Version von Vivaldis «Sommersturm». Berlusconis Einfall zur Volksunterhaltung erweckt den Anschein Russlands während des Kalten Krieges und ist im höchstem Masse fragwürdig und obsolet.
Urban Gardening als Lösung aller Probleme
Belgien präsentiert im Kellergewölbe seines Pavillons die neusten Entwicklungen von Aquaponik-Anlagen, die es ermöglichen, gleichzeitig Fische und Gemüse sowie Obst zu ziehen. Ergänzend präsentieren das Land Insekten als Zukunftsnahrung. Auch wenn die «belgische Lösung» einige Zeit und Ressourcen in Anspruch nehmen würde, ist sie um ein Vielfaches intelligenter und charmanter als die von zahllosen Ländern angelegten Urban-Gardening-Beete, die nun als Lösung allen Übels dienen sollen.
Noch ein paar «Öpfelringli» aus den Silos des Schweizer Pavillons gegen den Hunger (eine Idee, die Argentinien auch hatte), und dann ab auf den Zug. Auf der langen Strecke durch das Gotthardmassiv sich mit dem Gedanken der Leere und des gleichzeitigen Overkills anfreunden. Feststellen, dass Themen wie Ökonomie und Ökologie durchaus auch hätten aussen vor gelassen werden können angesichts dieses Multimedia-Spektakels, dass die Expo praktisch keinen einzigen Ansatz zur Verbesserung der Welternährung zu bieten hat. Sich fragen, was man denn nun eigentlich gesehen hat in Mailand – und ob das Weltausstellungs-Konzept, wie Peter Zumthor schon 2001 anmerkte, sich nicht längst überlebt hat.