Eingeflogen, um auszufliegen

1950 waren Störche in der Schweiz total verschwunden. Eine einzigartige Aktion brachte sie wieder zurück.

Erste Ausflüge vom Nest. (Bild: Kurt Wyss)

1950 waren Störche in der Schweiz total verschwunden. Eine einzigartige Aktion brachte sie wieder zurück.

Die grossen Leute sind entschieden sehr, sehr verwunderlich», hätte der kleine Prinz mit Sicherheit ein weiteres Mal gesagt, wenn sein Poet Antoine de Saint-Exupéry ihn auch die späten Fünfzigerjahre in den helvetischen Landen noch hätte erleben lassen können. «Erst sorgen sie mit dem Entzug der natürlichen Lebensgrundlagen dafür, dass kein Einziger der hier heimischen Störche jemals wiederkommt, und dann scheuen sie weder Aufwand noch Mittel, sie wieder hier anzusiedeln.»

Der kleine Prinz hatte bekanntlich etwas andere, aber nicht minder wichtige Probleme. Ganz bestimmt aber hätte der liebenswerte Goldschopf seine helle Freude daran gehabt, wenn er am 13. Juni 1959 dabei gewesen wäre, als in einer DC-4-Kursmaschine der Air France eine stattliche Anzahl junger Störche von Algier nach Basel geflogen wurde, um hier dank der Unterstützung ganzer Schulklassen, Gönner und nimmermüder Vogelschützer eine jahrhundertealte Tradition zu erhalten.

Die Rückkehr der Störche in die Schweiz ist in erster Linie dem Turnlehrer und Ornithologen Max Bloesch zu verdanken, der es sich zur Aufgabe machte, den gravitätischen Schreitvogel hierzulande wieder anzusiedeln und den Bestand durch die Einrichtung einer Storchensiedlung im solothurnischen Altreu auf Dauer zu sichern. In Algerien erhielt er 1958 die behördliche Erlaubnis, in einer ersten Aktion 50, ein Jahr darauf noch einmal 106 Jungstörche einzufangen und mitzunehmen. Die Air France verzichtete auf die Frachtkosten, die Betreuungsarbeit wurde ehrenamtlich geleistet.

Doktorehren für den «Storchenvater»

Nach der Landung auf dem heutigen EuroAirport wurden die tollkühnen Vögel aus ihren fliegenden (Gemüse-)Kisten befreit, von Hostessen mit Fisch gefüttert und anschliessend offiziell mit Champagner (nur für die Paten, versteht sich) getauft, beringt und auf die in verschiedenen Gemeinden neu eingerichteten oder restaurierten Horste verteilt. Taufpaten – so zum Beispiel auch in Riehen – waren meist ganze Schulklassen, die laufend über den Verbleib ihrer Schützlinge informiert wurden.

Nach ein paar Fehlversuchen gelang es so, den Weissstorch wieder dauerhaft anzusiedeln. Insgesamt gibt es in der Schweiz inzwischen 22 Aussenstationen. 1983 wurde Max Bloesch für seine Verdienste mit dem Ehrendoktortitel ausgezeichnet. Als der «Storchenvater» 1997 starb, wurden landesweit bereits wieder 170 Brutpaare gezählt.

Wahrscheinlich lohnte es sich, das Buch «Der kleine Prinz» zur Pflicht- und Dauerlektüre ­aller grossen Könige dieser Welt zu erklären. Es würde sie lehren, zu unserem Miniplaneten zumindest dort Sorge zu tragen, wo noch Hoffnung besteht.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 01.06.12

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