Lego ist viel mehr als ein Kinderspielzeug. Beim Spielen mit den bunten Steinen werden ganze Karrieren angebahnt.
Wenn ich als Junge ein Geschenk bekam, schüttelte ich als Erstes das Paket. Mein Talent an der Blockflöte mag überschaubar gewesen sein, doch mein Ohr war geschult. Lego-Schachteln konnte ich innert Sekundenbruchteilen von allen anderen Geschenken unterscheiden. Ich war Lego-Fanatiker, nicht nur nachts träumte ich von einem Dagobertschen Geldspeicher voller bunter Steine. Höchstwahrscheinlich litt ich durch das lange Sitzen mit untergeschlagenen Beinen an einem – harmlos – verformten «Lego-Fuss».
Auch wenn ich mich mit meinen Kreationen nicht zu verstecken brauchte, liess mich mein Kindheitsfreund Milian alt aussehen. Mir waren Äusserlichkeiten wichtig. Ich wollte schöne, eindrückliche Lego-Dinge bauen. Raumschiffe, Polizeistationen, Kinderkram. Milian war von einer grösseren Idee beseelt. Ihm ging es um die Funktion. Stunden- und tagelang tüftelte er an seinen Projekten, erfand Maschinen und Roboter.
Diese Maschinen waren keineswegs Spielereien ohne Zweck, Milians Erfindungen erleichterten uns das Leben. Am Sonntagmorgen verbrachten wir jeweils zwei Stunden vor dem Fernseher (Disney Club!), in der Hand eine Schoggimilch. Bei der Zubereitung dieses besten aller Kindheitsgetränke ging uns ein Roboter zur Hand, die Ovo-Dosierungsmaschine. Tasse drunter, Knopf gedrückt, und die exakt richtige Portion des süssen Pulvers rieselte in den Becher.
Heute enthalten manche Legosteine programmierbare Computerchips, früher waren Ingenieurgeist und mechanisches Wissen gefragt. (Bild: Bubbers13)
Milians Talent lag im Konstruieren und Problemelösen, meins eher im Bereich Betatesting und Schwachstellen finden. Er war der Ingenieur, ich der Crash-Test-Dummy. Wir ergänzten uns. Mir reichten wenige Handgriffe, um seine aufwendigen Konstruktionen in Einzelteile zu zerlegen. Er sah darin die Gelegenheit, seine Maschinen zu verbessern. Heute baut er Flugzeuge und ich bin Journalist. Viel hat sich nicht verändert.
Vor einigen Jahren habe ich ein Verbrechen an meiner Kindheit begangen. Für läppische 70 Stutz habe ich die Kiste voller Lego-Steine auf dem Flohmarkt verhökert. Die Kiste, über die sich meine Schwester und ich beugten, um nach dem roten Achter zu wühlen. Immer dieser rote Achter. Wir besassen genau drei davon, diese Knappheit machte ihn wertvoll.
Knapp war damals auch mein Budget, und weil zwischen dem Griechenland-Urlaub mit den Kumpels und mir diese Lego-Kiste stand, tauschte ich meinen Kindertraum vom Lego-Geldspeicher eben gegen ein Hawaiihemd in Übergrösse, Surfershorts und eine Kiste Mythos ein. Es ist eine Erinnerung, so schmerzhaft wie der Kater nach zu viel Retsina.
Apropos schmerzhaft.
Doch Linderung ist in Sicht. Am Freitag beginnt die «Bricklive», eine Messe für Lego-Fans. Dort kann die neueste Generation von programmierbaren Lego-Steinen bestaunt werden. Und vor allem dürfen die Afol (Adult Fans of Lego) dem Publikum ihre Kreationen präsentieren. Afol sind oft etwas angejahrte Herren mit zu viel Geld und/oder Zeit, die ihre Freizeit zum Beispiel damit verbringen, einen Flugzeugträger im Massstab 1:40 nachzubauen oder einen Roboter zu entwickeln, der den Rubik’s Cube in unter vier Sekunden löst.
Therapeutische Wirkung erhoffe ich mir jedoch von den Brickpits, riesigen, mit Lego-Steinen gefüllten Becken. Nicht nur sind die Brickpits die bestmögliche Annäherung an meinen Kindheitstraum vom Lego-Geldspeicher. Es sind darin sicher auch ein paar rote Achter versteckt.
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«Bricklive», die «weltweit grösste Show für Lego-Fans», findet statt vom 12. bis zum 21. Mai in Halle 1 der Messe Basel.
Supersach ist die TagesWoche-Rubrik für Dinge, die die Welt nicht braucht, und Sachen, die man haben muss.