Es ist vollbracht

Wir blicken auf das Jahr zurück. Für den FCB ein Jahr für weitere Superlative. Am 11. April zog das Team von Murat Yakin ins Halbfinale der Europa League ein, nach einem dramatischen Sieg gegen Tottenham im Elfmeterschiessen.

Basel's players celebrate during their UEFA Europa League quarter final second leg match between FC Basel and Tottenham Hotspur at the St. Jakob Stadium in Basel, Switzerland, Thursday, April 11, 2013. (KEYSTONE/Walter Bieri ) (Bild: Keystone/WALTER BIERI)

Fabian Schär, Marco Streller, Fabian Frei und Marcelo Diaz zeigen keine Nerven im Penaltyschiessen, Yann Sommer pariert einen Elfmeter – und der FC Basel steht nach einem dramatischen Abend, der gegen Tottenham Hotspur mit 2:2 in die Verlängerung gegangen war, erstmals im einem Europacup-Halbfinal.

Soll man sagen: selbst schuld? Engländer lässt man nun mal keine Elfmeter schiessen? Das wäre natürlich hämisch und an einem solchen Abend nicht angebracht. Ein nervenzerreissender Abend, an dem der FC Basel seinem Geschichtsbuch ein Kapitel angefügt hat, von dem in den vergangenen Tagen so ausgiebig die Rede war. Basel steht zum ersten Mal im Halbfinal eines europäischen Wettbewerbs. Und das verdient.

Am Ende, die Uhr zeigte nur noch eine Viertelstunde bis Mitternacht, war es Marcelo Diaz, der seinen Versuch im Penaltyschiessen sicher verwandelte. 4:1 – der St.-Jakob-Park erbebte unter dem kollektiven Schrei von 35’000 FCB-Anhängern. Es war Tom Huddlestone, ein 26-jähriger englischer Nationalspieler, der mit dem ersten Schuss im Penaltyschiessen am grossartig reagierenden Yann Sommer gescheitert war.

Diesen letzten Vorteil in einem hin-und herwogenden, epischen Kampf in diesem Viertelfinal gegen die Hotspurs, liess sich der FCB nicht mehr nehmen. Fabian Schär, Marco Streller und Fabian Frei hatten ihre Elfmeter sicher und ohne Wackler an Torwart-Routinier Brad Friedel vorbeigebracht. Emmanuel Adebayor, der der FCB-Abwehr über 120 Minuten zugesetzt hatte, lief in überheblicher Manier zu seinem Schuss an – und schoss weit übers Tor.

Damit war das Schicksal der Nordlondoner besiegelt im ersten Elfmeterschiessen überhaupt, dass der FC Basel in seiner bis 1955 zurückreichenden Europacup-Historie bestreiten musste. Die Basler Spieler bewältigten das finale Roulette mit kaltblütiger Präzision und verblüffender Nervenstärke, und das gegen hochkarätiges Premier-League-Personal, das sich dem Schweizer Meister beugen musste.

Jetzt wird es eng im Terminplan

Für den FC Basel aber geht diese unglaubliche europäische Reise weiter. Am Freitag erfährt er um 12.00 Uhr (live in Eurosport) seinen Gegner in den Halbfinals – einer aus dem Trio Chelsea, Benfica oder Fenerbahçe wird es sein. «Fener liegt nahe», sagte Murat Yakin, gefragt nach seinem Wunschgegner. Beim türkischen Rekordmeister hat der türkisch-stämmige Münchensteiner Yakin selbst gespielt; das Duell hätte eine spezielle Note. «Chelsea», meinte Yakin augenzwinkernd, «nehmen wir gerne im Finale.»

Die Semifinals werden die Spiele Nummer 19 und 20 sein, die dem FCB am 25. April und 2. Mai ins Haus stehen. Das Mammutprogramm geht mit einer englischen Woche nach der anderen weiter. Sollte der FCB gar das Endspiel der Europa League am 15. Mai in Amsterdam erreichen – und wer wollte das dieser Mannschaft, die schon so viele ungaubliche Willensakte vollbracht hat, nicht auch noch zutrauen – müsste ein Ersatztermin für den Lausanne-Match (16. Mai) her. Zieht der FCB in den Cup-Final ein, wäre das letzte freie (Pfingst-)Wochenende belegt, bliebe nur noch ein Werktag unmittelbar danach.

Tottenham fightet zurück

Man könnte das alles schöne Sorgen nennen nach einem Abend, der dem FCB und auch seinen Fans alles abverlangte und reiche emotionale Belohnung bot. Tottenham spielte so, wie man es von einer Spitzenmannschaft aus der Premier League schon eine Woche zuvor im Heimspiel erwartet hatte: druckvoll, aggressiv im Zweikampf, gefährlich. Sie hatten, das demonstrierten sie in Basel, ihren Glauben an die Halbfinals – und auch die Qualität, dem Gastgeber zuzusetzen.

Ein Fehler reichte, ein verunglücktes Tackling des ansonsten bärenstarken Aleksandar Dragovic auf dem vom Dauerregen durchtränken Rasen, um den Spurs das 0:1 zu eröffnen. Ein langer Ball von Innenverteidiger Jan Vertonghen landete via Dragovic im Fuss von Clint Dempsey, Yann Sommer war viel zu weit aus seinem Tor geeilt, und der Rest war ein Kinderspiel für den US-amerikanischen Nationalspieler.

Es war das erste Gegentor, das Sommer nach 1037 ungeschlagenen Minuten im heimischen St.-Jakob-Park wieder einmal zulassen musste, das erste Gegentor in Basel, das seit Murat Yakin seit seinem Engagement Mitte Oktober mit ansehen musste.

Gegentor rüttelt FCB wach

Immerhin: Der Gegentreffer rüttelte die Basler auf. Sie legten ihre anfängliche Zurückhaltung und Vorsicht ab, und ein gelungenes Pressing, eine Balleroberung des starken Mohamed Elneny, die Übersicht Strellers mit dem Pass in den Lauf von Mohamed Salah leiteten den Ausgleich ein. Keine vier Minuten waren da nach dem Rückstand verstrichen. Und der Ägypter holte nach, was er eine Woche zuvor an der White Hart Lane bei einem ganzen Strauss bester Chancen verpasst hatte: Er traf mit seiner linken Klebe. Er kann es also doch, und dementsprechend feierte Salah seinen ersten Treffer im Wettbewerb, rannte zur Bank und fiel als erstes Alex Frei um den Hals.

Danach schaukelten sich beide Mannschaften zu einem offenen Schlagabtausch auf. Mit prickelnden Torraumszenen auf  beiden Seiten. Jedenfalls nichts für schwache Nerven in der elektrisierenden Atmosphäre des vollgepackten St.-Jakob-Park. Mit einem leichten Chancenplus ging Tottenham in die Pause, mit mehr Entschlossenheit kamen jedoch die Basler aufs Feld zurück.

Die Führung nach bekanntem Muster

Streller und Valentin Stocker im Zusammenspiel holten jenen zweiten Corner für den FCB heraus, der die Führung brachte. Nach einem Muster, das die Basler schon in London gezeigt hatten: Stockers Eckball auf den ersten Pfosten, Schär verlängerte den Ball, Friedel konnte nur abklatschen und Dragovic erbte. 2:1 – der Halbfinal war zum Greifen nah und doch so weit weg.

Denn die Engländer liessen die Schultern nicht hängen, schnürten den Gegner ein. Der FCB stand tief, zu tief, war in der zweiten Halbzeit nicht mehr in der Lage, sich mit vernünftigen Ballstafetten zu befreien, und die langen Bälle fanden die Adressaten nicht. Ein Kopfball von Dragovic, ein Schuss von Elneny – das wars an offensiven Zeichen.

Der Ausgleich der Engländer in der 82. Minute hatte sich angekündigt, und er war so simpel wie das erste Tor: ein langer Ball des eingewechselten Huddlestone von der Mittellinie, Park stand allein gegen Walker und Dempsey, und der der US-Amerikaner liess den Ball von der Brust abtropfen und düpierte Sommer mit einem harten Schuss aus kurzer Entfernung.

Rot für die Spurs – die entscheidende Wendung

Die entscheidende Wendung nahm die Partie in den letzten Sekunden der regulären Spielzeit. Mit einem tiefen Zuspiel Salahs entwischte Streller ein einziges Mal der betonharten Innenverteidigung der Spurs. Vertonghen liess Streller über die Klinge springen – und der gute portugiesische Schiedsrichter taxierte das Foul völlig zurecht als Notbremse.

Mit einem Mann weniger, das räumte Trainer Andre Villas-Boas ein, ging es den Spurs in der Verlängerung nur noch um eines: das Elfmeterschiessen zu erreichen und dort das Glück zu suchen. Der FCB dominierte die Verlängerung, er wollte die Entscheidung aus dem Spiel heraus – aber Elneny traf aus der Distanz nur den Pfosten, Diaz knapp daneben und Alex Frei – in der 111. Minute unter frenetischem Jubel für Salah eingewechselt – liess eine Riesenchance liegen und sah seinen Schuss von Spurs-Captain Michael Dawson spektakulär blockiert.

«Ein grosser Schritt für den Schweizer Fussball»

Der Rest wird Basler Fussballgeschichte werden, Schweizer Fussballgeschichte. Erstmals seit 1978 und den Grasshoppers im Uefa-Cup ist wieder ein Schweizer Club unter die letzten Vier eines europäischen Wettbewerbs vorgestossen. Villas-Boas zog den Hut: «Ein grosser Schritt für den Schweizer Fussball. Ich kann dem FC Basel nur ein Kompliment machen. Er hat es verdient. Es zahlt sich aus, was der Club an Scouting-Netzwerk und Talentförderung aufgebaut hat.»

Murat Yakin liess es sich nach einem grossen Abend nicht nehmen, einen Makel zu finden: «Spielerisch ist es nicht nach meinem Wunsch gelaufen.» Der Gegner habe seiner Mannschaft alles abverlangt, einer Mannschaft allerdings, «die an sich glaubt, die zwar jung ist, aber dennoch Erfahrung besitzt», so Yakin, «die nicht viel zugelassen hat und jederzeit Herr der Lage war».

Sich jeglichen Anflug von Euphorie verkneifend erinnerte der FCB-Trainer an das dichte Programm, das seinem Team in drei Wettbewerben bevorsteht. «Wir haben noch nichts in der Hand», sagte er, als es schon auf ein Uhr nachts zuging, «aber wir sind hungrig. Die Mannschaft hat gesehen, wie schön es ist, diese Europa League zu spielen – und wir wollten dabei bleiben.» Die Fortsetzung folgt, in 14 Tagen schon.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Europa League, Viertelfinal, Rückspiel
FC Basel–Tottenham Hotspur 2:2 (1:1) n.V. – 4:1 n.P.
Hinspiel 2:2

St.-Jakob-Park. – 36’500 Zuschauer (ausverkauft). – SR Benquerença (Portugal).

Penaltyschiessen:
Schär – 1:0
Huddlestone – Sommer hält
Streller – 2:0
Sigurdsson – 2:1
Fabian Frei – 3:1
Adebayor – schiesst über das Tor
Diaz – 4:1

Tore:
23. Dempsey 0:1 (umkurvt den weit aus seinem Tor geeilten Sommer und schiebt aus halblinker Position aus 10 Metern ins leere Tor ein; Dragovic grätscht zuvor an einem langen Ball Vertonghens vorbei und fälscht den Ball in den Lauf von Dempsey ab).
27. Salah 1:1 (nach Balleroberung Elneny gegen Dembélé spielt Streller in den Lauf des ungedeckten Salah, der von der Strafraumgrenze mit links flach in die linke Torwartecke trifft).
49. Dragovic 2:1 (Abstauber aus fünf Metern nachdem Friedel einen von Schär mit dem Kopf verlängerten Stocker-Eckball nur abklatschen kann).
82. Dempsey 2:2 (nimmt einen langen Ball von Huddlestone mit der Brust mit und trifft mit links gegen Sommer, der noch mit der Hand am Ball ist).

Verwarnungen: 39. Naughton (Foul, Salah), 45.+1 Dembélé (Foul, Stocker), 52. Dempsey (Reklamieren), 58. Serey Die (Foul), 93. Dawson (Reklamieren), 93. Walker (Unsportlichkeit), 103. Elneny (Foul).
Rote Karte: 90. Vertonghen (Notbremse gegen Streller auf Pass Salah).

FCB (4-1-4-1): Sommer; P. Degen, Schär, Dragovic, Park; F. Frei; Salah (111. A. Frei), Serey Die (59. Diaz), Elneny, Stocker (70. Steinhöfer); Streller. – Reserve: Vailati (T), Sauro, Cabral, D. Degen.
Tottenham (4-2-3-1): Friedel; Walker, Dawson, Vertonghen, Naughton (79. Assou-Ekotto); Parker (77. Huddlestone), Dembélé (59. Carroll); Holtby, Dempsey, Sigurdsson; Adebayor. – Reserve: Lloris (T), Livermore, Caulker, Coulthirst.

Bemerkungen: Basel ohne Bobadilla (nicht spielberechtigt); Tottenham ohne Bale, Defoe, Gallas, Lennon (verletzt), Kaboul (Aufbau). – Schiedsrichter Olegário Benquerença (43) leitet in Basel sein 79. Europacup-Spiel, worunter am 16.3.2006 Strasbourg-FCB (2:2) war; Tottenham hat er zuvor noch nie gepfiffen. – 98. Pfostenschuss Elneny.

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Auslosung Halbfinals: 12. April in Nyon (12.00 Uhr, Eurosport)
Halbfinals: 25. April/2. Mai
Final: 15. Mai in der Amsterdam ArenA
Europa League, Viertelfinals
Donnerstag, 11. April Rückspiel Hinspiel
FC BASEL Tottenham Hotspur 4:1 i.P.
2:2 n.V.
2:2
Rubin Kasan Chelsea FC 3:2 1:3
Lazio Rom Fenerbahçe Istanbul 1:1 0:2
Newcastle United Benfica Lissabon 1:1 1:3

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