Es regiert der Filz

Als das Baselbieter Kantonsgericht der Birsfelder SP-Frau Regula Meschberger ein Doppelmandat untersagt hat, war die Befangenheit von Politikern wieder ein Thema. Aber nur kurz – leider. 

Staatsangestellte im Parlament stimmen halt auch mal für ihre eigenen Interessen. (Bild: Illustration: Jürg Lindenberger)

Als das Baselbieter Kantonsgericht der Birsfelder SP-Frau Regula Meschberger ein Doppelmandat untersagt hat, war die Befangenheit von Politikern wieder ein Thema. Aber nur kurz – leider. 

Politiker reden über alles gerne. Ausser über ihre eigenen Abhängigkeiten und Interessenkonflikte. Totschweigen lässt sich das Problem aber nicht. Auch in der Region kam es vor wenigen Tagen wieder auf: Das Baselbieter Kantonsgericht entschied, dass Regula Meschberger (SP) nicht gleichzeitig Birsfelder Schulleiterin und Gemeinderätin sein darf. Das Gesetz lasse eine solche Doppelfunktion nicht zu.

Die Konsternation war danach gross – in Birsfelden, wo Meschberger mit einem sehr guten Resultat in den Gemeinderat gewählt worden war. Und ebenso in Arlesheim, wo «Gmeinipresi» Karl-Heinz Zeller auch in der Schule der Boss ist. Gestört hat das bis jetzt niemanden. Im Gegenteil: Der doppelte Zeller ist allseits beliebt. Auch bei der «Basler Zeitung». «Alle wollen ihn, nur das Gesetz nicht», stellte das Blatt vor Kurzem traurig fest. Das Problem ist in dieser Logik nicht der Interessenkonflikt, sondern der Paragraf, der Ämterkumulation und Machtmissbrauch verhindern soll.

Bei diesem Thema ist eben vieles speziell. Auch die Haltung der SVP. Gemeinhin ist ihr Volkes Wille heilig und der Gerichtsweg zuwider. In Birsfelden war es aber ausgerechnet diese Partei, die Meschbergers Wahl anfocht. In Birsfelden muss sich die an der Urne geschlagene SVP darum den Vorwurf anhören, eine schlechte Verliererin zu sein. Doch das ist ihr spätestens nach dem juristischen Sieg egal. «Aus demokratischer Sicht zu begrüssen ist, dass sich das Gericht für eine klare Verteilung der Kompetenzen (…) ausgesprochen hat», teilt die Birsfelder SVP zufrieden mit.

Regierung sorgt für sich

Nun, rein inhaltlich ist der SVP nur schwer zu widersprechen – auch wenn die Realität häufig eine andere ist. Aktuelles Beispiel aus der kantonalen Politik: die Sanierung der Baselbieter Pensionskasse, bei der es um zwei bis drei Milliarden Franken geht, und die heikle Frage, wer wie viel zahlen soll. Vorbereitet wurde das Geschäft vom Regierungsrat, der im ganzen Staatshaushalt viele Millionen spart, in eigener Sache aber grosszügiger ist. Gemäss Entwurf der neuen Ruhegehaltsordnung ist vorgesehen, dass die «Leistungen und Ansprüche zu Gunsten ehemaliger und amtierender Mitglieder des Regierungsrates prinzipiell unverändert bleiben». Für die Betroffenen eine vorteilhafte Regelung, wie das Personalamt bestätigt.

Der Entscheid über die PK-Sanierung liegt nun beim Landrat, der ebenfalls längst nicht so unbefangen ist, wie er im Idealfall sein sollte. Im Parlament geht man davon aus, dass rund ein Drittel der Mitglieder bei der Baselbieter PK versichert sind. Und wenn man in diese Überlegung auch die Partnerinnen und Partner der Landräte sowie deren PK miteinbezieht, steht eine erste Mehrheit schon vor der Parlamentsdebatte fest: Es ist jene der Abhängigen und der an Eigeninteressen Gebundenen.

Ein Spezialfall? Keineswegs. Im Landrat ist es seit Jahren üblich, dass Pädagogen in der Bildungskommission Schulreformen vorspuren, Richter und Anwälte ihren Einfluss in der Justizkommission geltend machen und Bauunternehmer in der Baukommission für Grossprojekte werben.

Vom Ideal weit entfernt

Mindestens so eng sind die Verflechtungen in den Gemeinden, die in ihren vielen Gremien auf Sachverständige angewiesen sind. Diese bringen in der Regel aber nicht nur ihr Fachwissen mit, sondern auch ihre Kontakte. Das hat in einzelnen Gemeinden zum Beispiel im Baubereich zur Folge, dass Auswärtige nur schwer oder gar nicht an Aufträge herankommen, auch wenn sie besser sind als die Einheimischen. Ein Bschiss, über den aber niemand offen reden will, weil die einen profitieren und die anderen es sich nicht vollständig mit den Dorfgewaltigen verderben wollen.

Dabei liessen sich Interessenkonflikte simpel lösen, könnte man meinen: mit einer konsequenten Anwendung der Ausstandspflicht. Das ist allerdings alles andere als simpel, wie ein Urteil des Bundesgerichts von 1999 zeigt.

Die Richter hielten damals fest, dass staatlich besoldete Parlamentarier von Abstimmungen über Lohn-, Pensions- und Ferienfragen nicht ausgeschlossen werden dürfen. Begründung: Auch ihre Ratskollegen würden bestimmte Interessen verfolgen. Genau das ist es, was nach Ansicht des Bundesgerichts das Wesen der Demokratie ausmacht: dass alle Bevölkerungsgruppen ihre Interessen einbringen und sich in der Ausein­andersetzung auf gute Kompromisse einigen.

Das Problem ist, dass die real existierenden Parlamente diesem Ideal nie ganz entsprochen haben. Und dass sie sich nun immer weiter davon entfernen – mit dem sinkenden Interesse der Wirtschaft an der Politik und dem steigenden Anteil an Staatsangestellten und Verbandsvertretern in den Räten.

Vollständig lösen lässt sich dieses Problem kaum. Einzelne Auswüchse könnte man aber wohl schon stoppen. Dafür müsste man zuerst einmal über das Thema reden.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 13.07.12

Nächster Artikel