Es schäumt

Die Basler Beizer greifen die Braugiganten wegen der Bierpreiserhöhung an. Erster Erfolg: Die Wettbewerbskommission (Weko) und der Preisüberwacher werden aktiv.

 

Die ausgelassene Stimmung kann auch ganz rasch umschlagen – ein Motiv aus der Inseratekampagne von 1971/72. (Bild: Archiv SBV, Propaganda- Werbekommission)

Die Basler Beizer greifen die Braugiganten wegen der Bierpreiserhöhung an. Erster Erfolg: Die Wettbewerbskommission (Weko) und der Preisüberwacher werden aktiv.

Es ist nur ein Werbespruch, aber für einmal ein zutreffender: «Bier passst immer und überall.» Daheim vor dem Fernseher, am Stammtisch, an kleinen Festen und grossen Feiern.

Das Gebräu lockert die Stimmung und bringt die Menschen zusammen – im ganzen Land.
So ist das Hopfen- und Malzprodukt zu einem Stück Schweizer Geschichte, einem Stück Schweiz geworden.
Und dennoch erzählt die Werbung nur die halbe Wahrheit, wenn sie das Schweizer Bier zum «Getränk heiterer Geselligkeit» verklärt. Denn die aufgeräumte Stimmung kann auch ganz schnell umschlagen, beim Bier und vor allem: beim Thema Bier. Nach der Ankündigung von Feldschlösschen, den Preis für ihre Fläschli und Fässli um über 4 Prozent zu erhöhen, war es wieder einmal so weit.
Der Stammtisch schäumte. «Schon bald kostet die Stange überall fünf Schtutz – das ist doch eine Sauerei», sagte man sich. «Stimmt: eine Sauerei! Prost!» Man spülte den Ärger runter und redete über etwas anderes, etwas Erfreulicheres. Denn: «Trost spendet – und zwar schnell: ein Bier, seis dunkel oder hell.» Eine weitere Weisheit aus der Werbung, die allerdings auch nicht bei allen funktioniert.
Maurus Ebneter, Vorstandsmitglied im Basler Wirteverband, ist jedenfalls nachhaltig erbost. Wegen des Biers. Und wegen Feldschlösschen. Aber wahrscheinlich gibt es noch einen wichtigeren Grund, warum sich Ebneter beim Treffen in der «Brötlibar» am Barfüsserplatz in Basel keine Stange, sondern eine warme Schoggi bestellt. Ebneter ist hierhergekommen, um das Biergeschäft möglichst nüchtern und möglichst genau zu erklären. Ein schwieriges Unterfangen. Denn dieses Business ist etwa so durchschaubar wie ein trübes Dunkles.

Die Wut auf die ganz Grossen

In der Schweiz gibt es heute über 300 Klein- und Kleinstbrauereien, ein paar wenige mittelgrosse Brauereien – und die beiden ganz Grossen: einerseits Carlsberg mit den Marken Feldschlösschen, Cardinal, Hürlimann, Warteck, Gurten und Valaisanne und andererseits Heineken mit Calanda, Eichhof, Haldengut und Ziegelhof.

«Diese beiden dominieren alles, im Verkauf und auch im Vertrieb», sagt Ebneter. Dann erzählt er. Und erzählt. Über die Marktmacht der beiden Grossen, die auch mal gemeinsame Sache machen, wenn es ­ihnen nützt. Und über die Knebelverträge, welche die kleinen Wirte unterschreiben müssen. Ebneter zählt eine schier endlose Reihe von Kniffs und Tricks auf, mit denen die Bierriesen die Beizer bei ihrer Stange halten oder sie dazu zu bringen. Das Arsenal der Nettigkeiten und Zuwendungen fängt an mit nicht allzu teuren Gesten, ein paar Bierdeckeln mehr, ein paar zusätzlichen Gläsern, einem Wirtshausschild – alles mit dem Logo der Bierfirma. Dann gibt es auch noch die Gegengeschäfte, bei denen teilweise sehr viel Geld fliesst. Beiträge an die neue Ausschankanlage, Rückvergütungen und nicht selten sogar Darlehen. «Auf diese Weise werden die Wirte abhängig gemacht», sagt Ebneter. «Sie unterzeichnen langfristige Verträge und haben keine andere Wahl mehr, als die ständigen Preisaufschläge hinzunehmen.»

Die Wirte sind unter Druck

Doch warum sagen die Wirte nicht einfach Nein zu den verfänglichen Angeboten? Für Ebneter eine eher müssige Frage. Seine Antwort: Viele Beizer hätten eben finanzielle Probleme. Bei den einen ist das Lokal zu klein, um es profitabel betreiben zu können, bei den anderen zu gross, um ohne teures Kader auszukommen, wieder andere sind schlicht zu wenig originell – und alle leiden unter dem harten Franken und der günstigen Konkurrenz im nahen Ausland.

In dieser Situation sei es schwierig, standhaft zu bleiben, sagt Ebneter. Dennoch gebe es auch Wirte, die Nein sagen. Wie jener aus dem Solothurnischen, dem ein Feldschlösschen-Vertreter nach längerem Hin und Her sogar 4000 Franken bar auf die Hand versprochen haben soll für den Fall, dass sein Restaurant das Bier künftig aus Rheinfelden statt aus Appenzell bezieht, Der Wirt aus dem Niederamt hielt das Angebot für «unseriös», wie er selber sagt – und entschied sich fürs Appenzeller Bier, das für ihn ziemlich genau gleich teuer sei. «Solche Vergleiche lohnen sich immer», sagt Ebneter dazu. «Leider nehmen sich viele Wirte aber keine Zeit dafür.»
Ebneter selber ist da ganz anders. Er hat schon unzählige Tabellen, Preislisten und Kalkulationen studiert. Dabei macht er immer wieder interessante Entdeckungen. «Bei den mehrfachen Preiserhöhungen in den vergangenen Jahren war es immer so, dass die eine Grossbrauerei vorgelegt hat und die andere bald einmal nachgezogen ist», sagt Ebneter. «Offenbar gibt es da Absprachen oder zumindest ein stillschweigendes Preiskartell und das ist unzulässig.»
Für ähnlich problematisch hält Ebneter den Import von Stella Artois. Feldschlösschen hat in der Schweiz die Generalvertretung dieses belgischen Biers, das von der belgisch-brasilianischen InBev-Gruppe produziert wird, einem der härtesten Widersacher von Carlsberg, sollte man denken. «Wegen des tiefen Euros müsste dieses Importbier in der Schweiz eigentlich billiger werden. Tatsächlich erhöht Feldschlösschen aber nun den Preis», sagt Ebneter. Und nennt noch weitere Beispiele für überteuerte Importbiere, die von Feldschlösschen vertrieben werden. Zwei Weissbiere aus Deutschland zum Beispiel.
«Für diese zahlt der Deutsche im Laden einen Bruchteil von dem, was in der Schweiz nur schon die Wirte dafür bezahlen», sagt Ebneter und zieht folgenden Schluss: Die Grossbrauereien hebeln den freien Markt aus, um den Schweizern Wirten und den Schweizer Biertrinkern möglichst viel Geld abzuknöpfen.
Um diese Geldmacherei zu stoppen, nimmt es der Basler Wirteverband nun mit den Bierriesen auf – mit einer kürzlich eingereichten Anzeige bei der Wettbewerbskommission und dem Preisüberwacher.
Im Bierschloss in Rheinfelden sorgt das Vorgehen der Basler Beizer höchstens für etwas Irritation, nicht aber für grosse Beunruhigung. Dafür hat Feldschlösschen in seiner über fast 140-jährigen Geschichte schon zu viele Auseinandersetzungen erlebt. Für Auskünfte zum aktuellen Streitfall schicken die Schlossherren ihren Sprecher vor, Markus Werner, ein freundlicher Herr, der weiss, was er zu sagen hat und was besser nicht. Und vor allem auch: wie er Eindruck machen kann.
Den Besucher führt er zuerst einmal in das Sudhaus mit den vier grossen Kupfersudpfannen, den Marmorsäulen mit den Jugendstilornamenten und den blauen Tafeln an den Wänden. Am Fenster hängt eine bleiverglaste Scheibe mit einem Porträt des Firmengründers Theophil Roniger. Sein Leitspruch: Immer fleissig von früh bis spät, im Denken wie in der Tat. Der ganz Bau wirkt sakral, wie eine Kathedrale für das Bier und die Firma mit ihrem obersten Gebot, alles zu tun für den Erfolg.

Feldschlösschen meint es nur gut

Nach diesem Empfang führt einen Werner weiter in die altehrwürdige Schalander, einer Art Brauereikantine mit viel Wirtshausflair. Werner bietet Bier an und nimmt selber ein Mineral ohne Kohlensäure, auch das hat das Unternehmen im Angebot, das Jahr für Jahr 3,4 Millionen Hektoliter Bier und Wasser produziert. Werner nimmt zuerst einen kleinen Schluck, ehe er sich zu den Vorwürfen der Beizer äus­sert. Das tönt dann ziemlich ähnlich wie seine Medienmitteilungen. Geschliffen in der Form, austariert im Inhalt, kurz: professionell.

Erste Frage: Macht Feldschlösschen die Wirte von sich abhängig? Werners Antwort: Keineswegs. Die Firma überzeuge die Wirte mit ihrer breiten Pro­duktepalette und ihren vielen Dienstleistungen. Die durchschnittlichen Lieferverträge gelten nur noch zweieinhalb Jahre.
Zweite Frage: Warum versucht die Firma denn Wirte auch mit Barzahlungen für sich zu gewinnen? Warum mit Darlehen? Antwort: Das mit den Barzahlungen sei ein Gerücht – und keinesfalls Praxis. Und die Darlehen seien eine grosszügige Unterstützung für Restaurants, denen sonst niemand mehr helfen würde – auch die Banken nicht.
Dritte Frage: Warum diese Intransparenz bei den Verträgen mit den Wirten? Warum gibt es nicht einheitliche Preise? Antwort: Weil jeder Kunde das Recht auf ein individuelles Angebot habe, das auf ihn zugeschnitten sei.
Vierte Frage: Warum die Preiserhöhungen, auch beim Importbier? Antwort: Bei Stella Artois sei es der Produzent, der den Preis erhöhe. Feldschlösschen wiederum müsse in seine eigenen Marken und in neue Produkte investieren, was wiederum entsprechende Kosten generiere. «Vermeiden lässt sich das nicht, weil die ausländische Konkurrenz stark ist und immer mehr auf den Schweizer Markt drängt», sagt Werner – und zieht folgenden Schluss: «Der Markt spielt.» Was er nicht sagt: Das Spiel zahlt sich vor allem für die Grossen aus. Für das vergangene Jahr wies Carlsberg einen Gewinn von 837 Millionen Franken für die gesamte Gruppe aus, im Jahr zuvor waren es sogar noch sechs Prozent mehr. Detaillierte Zahlen für die Schweiz präsentiert Feldschlösschen keine mehr, seit die Firma zu dem dänischen Bierimperium gehört.
Möglicherweise muss Feldschlösschen aber bald etwas mehr über das eigene Geschäftsgebaren verraten. Nach der Anzeige der Basler Wirte haben die Wettbewerbskommission (Weko) und der Preisüberwacher nämlich entschieden, gemeinsam eine «Marktbeobachtung» vorzunehmen, wie Weko-Vizedirektor Patrik Ducrey sagt. Falls sich dabei irgendwelche Hinweise auf Absprachen, überteuerte Importe oder sonstige Wettbewerbsverzerrungen ergäben, würde in zwei bis drei Monaten eine offi­zielle Untersuchung eingeleitet. Je nach Ergebnis müssen Carlsberg und Heineken mit Bussen und Weisungen rechnen. Die Gesetzeslage ist jedenfalls eindeutig: Der Wettbewerb muss spielen, nicht nur für die Grossen, sondern für alle. Das Kartellgesetz von 1995 verbietet es ausdrücklich, eine marktbeherrschende Stellung auszunutzen.

Gemeinheiten, gegenseitige Abhängigkeiten

Ob das Gesetz eingehalten wird, ist allerdings nicht ganz einfach zu beurteilen. Gerade in diesem Geschäft. Denn die Geschichte des Schweizer Bier­handels ist eine schier endlose Abfolge der kleineren und grösseren Gemeinheiten, der immer wieder neuen Abhängigkeiten und der undurchsichtigen Gegengeschäfte. Ihren Angestellten gaben die Brauereien lange keinen Lohn, nein, sie boten ihnen etwas zu ­Essen, einen Platz zum Schlafen und vier bis sechs Liter Bier pro Tag. Eine Menge, die selbst für einen anständigen Brauer etwas gar viel ist. Ihnen blieb ­allerdings nichts anderes übrig, als das Angebot zu schlucken oder darauf zu verzichten; Geld für das überflüssige Bier gab es nicht.

Dafür zahlten die Brauereien einiges, um möglichst vielen Restaurants Bier liefern zu können. Sie spendierten den Wirten nicht einfach nur Bier, nein das wäre zu wenig schick gewesen. Mit gutem Wein liessen sich die Wirte besser gefügig machen. Und wenn sie sich auch durch das beste Tröpfchen und alle anderen Versprechungen nicht beeindrucken lies­sen, dann kauften die Brauereien um 1900 schon mal die ganze Beiz.

Für Feldschlösschen lohnten sich diese Investitionen langfristig. Im Jahr 2000 konnte die Firma ihr Immobilienportfolio für rund eine Milliarde Franken verkaufen, nachdem der Wert der Gebäude laufend gestiegen war. Kurzfristig waren die Ausgaben für die Brauereien aber eine enorme Belastung, die für einige Familienunternehmen im Ruin endeten. Die übrigen Betriebe schlossen sich zusammen, um den ruinösen Wettbewerb zu stoppen. 1935 bildeten sie das Bierkartell, das über 50 Jahre hielt. Danach entflammte wieder ein Wettwerb – und wieder gab es Firmenpleiten, Fusionen und Übernahmen. Besonders eifrig kaufte Feldschlösschen ein – bis es von Carlsberg selber geschluckt wurde. Zusammen mit den Heineken-Brauereien beherrscht die Gruppe heute zwei Drittel des Schweizer Biermarkts. Die beiden Giganten haben sich offensichtlich gut eingerichtet im Schweizer Biermarkt. Zu gut vielleicht.
Für den Fall, dass die Wettbewerbsbehörden nach ihrer Marktbeobachtung und einer allfälligen Untersuchung zu einem anderen Schluss kommen, wären die Basler Beizer wieder am Zug. Eine Idee hätten sie schon: Zusammen mit einem unabhängigen Schweizer Getränkehändler einen Parallelimport aufziehen, wie Ebneter sagt. Und selbst wenn der ganze Streit ­irgendwann doch noch vorbei sein sollte, ist jetzt schon klar, was zu tun ist: ein Bier trinken. Denn wie heisst es in der Werbung so schön? Nach heissem Kampf ein kühles Bier, das lob ich mir

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 16.03.12

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