In der dunklen Jahreszeit wird unser wichtigster biologischer Taktgeber rar: das Sonnenlicht. Basler Forscher erkunden, warum Licht wach und glücklich macht – und wie richtige Beleuchtung das Leben angenehmer und gesünder machen kann.
Dieser verflixte November! Er macht müde, antriebslos und manchmal regelrecht depressiv. Dunkel ist es in der Früh, wenn man aus dem Haus geht – dunkel am Abend, wenn man heimkommt. Es mangelt an Licht.
Körper und Psyche reagieren sehr empfindlich auf Veränderungen der Lichtmenge. «Licht ist der wichtigste Taktgeber für unsere Biologie», sagt Chronobiologe Christian Cajochen, der an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPKBS) den biologischen Rhythmen nachspürt. Licht ist nicht nur zum Sehen da: Es aktiviert eine ganze Batterie von Hirnregionen und Genen. Falsches Licht, aber auch Helligkeit zum falschen Zeitpunkt kann krank machen. Zum richtigen Zeitpunkt jedoch macht Licht aufmerksam, konzentriert und fröhlich.
Der Rhythmus der Natur
Der Wechsel von Tag und Nacht ist der wichtigste Rhythmus der Natur. Den 24-Stunden-Takt gibt eine genetisch programmierte innere Uhr vor, die durch das Sonnenlicht jeden Tag neu gestellt wird. Dass dies nicht nur für Pflanzen, Tiere und sogar Einzeller gilt, die morgens an die helle Meeresoberfläche, abends in sichere Tiefen migrieren, begannen Wissenschaftler in den 1970er-Jahren zu erkennen.
Einen Durchbruch bedeutete vor wenigen Jahren die Entdeckung von Sehzellen im Auge, die nicht dem Sehen dienen. Statt der Sehrinde aktivieren sie ein Hirnareal, das etwa drei Zentimeter hinter der Nasenwurzel sitzt. Im Suprachiasmatischen Nukleus befindet sich die innere Uhr, der Taktgeber für unseren 24-Stunden-Rhythmus. Von hier aus gehen die Signale weiter zu anderen Gehirnregionen und Organen – bis in jede Zelle. «Die Leber baut zum Beispiel drei Biere nachts langsamer ab als am Tag», sagt Cajochen.
Das renommierte Basler Team will nun herausfinden, welches Licht zu welchem Zeitpunkt solche tageszeitabhängigen Effekte auslöst. Freiwillige, meistens Studenten, ziehen für diese Studien stunden- bis wochenweise in eines von fünf Schlaflaboren im Untergeschoss der UPKBS ein – in fensterlose, an Spitalzimmer erinnernde «Chronosuiten», die neben Bett und Bad eine Überwachungskamera, ein Vorzimmer mit Computer sowie eine Lichtwand enthalten, die verschiedene Arten von Licht erzeugen kann.
Menschenversuche im Lichtlabor
Hier hausen die Probanden bis zu fünf Tage ohne Tageslicht, Kopf und Extremitäten mit Hunderten feiner Elektroden verkabelt. Alle 30 Minuten zapft ihnen eine Mitarbeiterin Blut zur Hormonmessung ab, misst den Blutdruck, testet Aufmerksamkeit und Reaktionszeiten und stellt Fragen zur Schläfrigkeit und Laune.
Die Versuchspersonen ertragen die Prozedur im Dienst einer Gesellschaft, die ständig neuen, künstlichen Lichtquellen ausgesetzt ist: Neonröhren, Fernsehen, Computer, Energiesparlampen. Anders als Feuer oder Glühbirnen strahlen manche davon stark im blauen Bereich. Und auf diesen reagiert unsere innere Uhr besonders sensibel, hat Cajochens Team unlängst nachgewiesen. Probanden verbrachten einige Stunden vor warm- oder kaltweissen Energiesparlampen oder vor normalen Glühbirnen. Bläuliches, kaltweisses Licht machte die Studentinnen und Studenten deutlich weniger müde. Sie hatten schnellere Reaktionszeiten und lernten Wortpaare besser auswendig.
Blaulicht macht leistungsfähig
Blaues Licht macht munter, weil es das Schlafhormon Melatonin unterdrückt. Wird es abends dunkel, steigt die Melatoninproduktion wieder an. «Wir gehen nicht schlafen, weil es dunkel ist, sondern weil unser innerer Rhythmus uns schläfrig macht», sagt Cajochen. «Ohne die Synchronisation durch Licht hätten wir grosse Mühe, im 24-Stunden-Takt zu leben.» Tatsächlich haben Blinde einen sehr chaotischen Schlaf-Wach-Rhythmus. Ihnen kann eine Dosis Melatonin am Abend helfen, den Takt anzupassen.
Beleuchtung ist somit nicht nur Geschmackssache. «Die Wahl der Leuchte kann die kognitive Leistung zu Hause und am Arbeitsplatz wesentlich beeinflussen», schreiben die Autoren im Fachblatt «Plos One». Computerbildschirme mit Leuchtdioden (LED), die ebenfalls blauer leuchten, haben eine ähnliche Wirkung: Nach fünf Stunden am LED-Bildschirm waren die Probanden wacher, leistungsfähiger und hatten bessere Laune als bei Bildschirmen mit Leuchtröhren, befand eine weitere Studie der Basler.
Den Einfluss von Licht aufs Gemüt wird niemand leugnen, der je einen sonnenarmen Winter erlebt hat. Das Gehirnareal namens Amygdala, das Emotionen steuert, ist mit dem Taktgeber der inneren Uhr verbunden. Jeder zehnte Schweizer leidet in der kalten Jahreszeit unter Stimmungstiefs; zwei von hundert an einer ernsthaften Winterdepression. Laut Anna Wirz-Justice, ehemalige Professorin für Chronobiologie an den UPKBS, hilft Lichttherapie bei 60 bis 80 Prozent aller Patienten mit saisonaler Depression – offenbar ebenso gut wie Antidepressiva.
Auch bei gesunden Testpersonen im Schlaflabor steigert blaues Licht verlässlich das Wohlbefinden. Es wäre ein verlockender Gedanke, mit einer Extradosis Blaulicht vor der Nachtschicht die Wachheit, die Denkleistung und sogar die Laune aufzuputschen. Tatsächlich könnten Nachtarbeiter bei korrekter Beleuchtung konzentrierter und rascher arbeiten, sagt Cajochen. «Blaues Licht wirkt wie eine Tasse Kaffee.»
Doch gibt es keine Wirkung ohne Nebenwirkung: Kommt der Lichtimpuls längerfristig zum falschen Zeitpunkt, gerät der Rhythmus durcheinander. Es kommt zur chronischen Taktstörung mit Schlafproblemen, Depressionen und Herz-/Kreislaufproblemen, wie sie etwa von Schichtarbeitern bekannt ist.
Die Nacht zum Tag gemacht
Seit rund 150 Jahren machen wir mit elektrischem Licht die Nacht zum Tag. Allmählich wird klar, was es bedeutet, die innere Uhr ständig durcheinanderzubringen. In Japans 24-Stunden-Gesellschaft etwa grassieren chronische Schlafstörungen. In industrialisierten Ländern hat die Schlafdauer in den letzten 100 Jahren kontinuierlich abgenommen. Schichtarbeiter werden krank; bei einstigen Nachtarbeiterinnen wurde sogar ein erhöhtes Brustkrebsrisiko festgestellt. Das Schlafhormon Melatonin dagegen soll einen krebshemmenden Effekt haben.
Die Formel für einen gesunden Lebensrhythmus lautet also: viel Licht am Tag und wenig in der Nacht. «Dazu werden Lichtinstallationen in Zukunft sehr wichtig sein», glaubt Cajochen. In Altersheimen konnte mit einem Lichtregime, das den Tagesverlauf nachahmt, der Verlust von kognitiven Fähigkeiten bei Demenzpatienten ebenso stark verlangsamt werden wie mit Demenzmedikamenten. Und Wirz-Justice und ihre Kollegen wiesen nach, dass in sonnigen Spitalzimmern die Heilungszeit verkürzt wird und der Schmerzmittelbedarf tiefer ist. Der Lampenhersteller Phillips bietet bereits entsprechende Beleuchtungssysteme für Spitäler an.
Cajochen plädiert aber auch dafür, die natürlichen Rhythmen wieder mehr zu respektieren. Für unsere Vorfahren war die dunkle Jahreszeit eine Zeit der Regeneration; sie gingen früher zu Bett und arbeiteten wegen Lichtmangels weniger. Vielleicht ist unsere innere Uhr im November auf eine Art Winterruhe geeicht? Chronobiologe Cajochen macht sich jedenfalls für den Winterschlaf stark – zumindest am frühen Morgen: «Im Winter sollte es allen erlaubt sein, eine Stunde später mit der Arbeit zu beginnen.»
Lichtraum: Kostenlos für alle
Die Rheumaliga beider Basel hat deshalb vor einem Jahr gemeinsam mit dem Zentrum für Chronobiologie der Psychiatrischen Universitätskliniken Basel den «Lichtraum» entwickelt. Die Besucherinnen und Besucher können kostenlos Lichtlampen benutzen und werden beraten. Der Lichtraum ist auch ein Ort der Begegnung, wo man Gedanken austauschen, Kaffee trinken und Zeitung lesen kann.
Lichtraum der Rheumaliga beider Basel
Jeden Mittwoch bis 29. März 2012: 9 bis 12 und 14 bis 16 Uhr; Mittlere Strasse 35, 4056 Basel. Der Besuch ist kostenlos, eine Anmeldung ist nicht notwendig.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 25/11/11