Das doppelte Nein gegen die Stadtrandentwicklungsprojekte Ost und Süd bringt die Basler Wohnbaupolitik in Zugzwang. Mirjam Ballmer vom Grünen Bündnis gehört zu den Abstimmungssiegerinnen. Für sie folgt aus dem Abstimmungsresultat der Auftrag, jetzt ernsthaft über eine bessere Nutzung des inneren Potenzials nachzudenken.
Sie gehören zu den Siegerinnen der Abstimmung über die Stadtrandentwicklungsprojekte Ost und Süd. Haben Sie ausgiebig gefeiert?
Nein, ich habe nicht gefeiert, das mache ich eigentlich selten, und das Resultat zur Fusionsinitiative in Baselland hat mich nicht gerade in Feierlaune versetzt.
Das Problem bleibt aber bestehen: Mit einer Wohnungs-Leerstandsquote von nur gerade 0,2 Prozent etablieren sich preistreibende Verhältnisse wie in Zürch oder Genf. Ist es im Sinne einer vorausschauenden Wohnraumentwicklung nicht letztlich ein Pyrrhussieg?
Es wäre schön, wenn dieses Resultat nun bewirken würde, dass wir darüber diskutieren könnten, wie das innere Potenzial besser genutzt werden kann. Wäre das in der Debatte um die Stadtrandentwicklungen möglich gewesen, hätten wir heute vielleicht ein anderes Resultat.
Was muss nun geschehen?
Es wird nun darauf ankommen, ob die verantwortlichen Stadtplanerinnen und -planer bereit sind, über eine andere Strategie nachzudenken, oder ob sie den Kopf in den Sand stecken, das Problem nicht anpacken und uns dann die Schuld zuschieben. Es ist aus meiner Sicht zu einfach und würde auch in Zukunft zu kurz greifen, dieses Problem allein auf dieses Abstimmungsresultat abzuschieben. Die Grünen wollten schon in der parlamentarischen Debatte eine Diskussion darüber führen, wie man die Herausforderung der Nutzung des inneren Potenzials sozial verträglich und ökologisch angehen kann. Dies wurde von den bürgerlichen Befürwortern der Stadtrandentwicklungen verhindert. Man hat hoch gepokert, wollte alles und hat dabei in Kauf genommen, dass auch nichts herauskommen könnte. Dies ist nun eingetreten, wir haben davor immer gewarnt.
Mirjam Ballmer (Bild: Roland Schmid)
Glauben Sie, dass die bereits konkretisierten Wohnbaugebiete wie Erlenmatt, Schoren, Walkenweg und Milchsuppenareal ausreichen werden?
Das habe ich nie gesagt. Es ist ja nicht so, dass mit den hier aufgezählten Gebieten die Stadt fertig geplant und fertig gebaut wäre. Das ist sie nie. Auch Basel bleibt ständigen Veränderungen unterworfen, und es wird immer wieder neue Areale geben, die eine Entwicklung zulassen. Zu den erwähnten Projekten können bereits heute weitere angefügt werden.
Zum Beispiel?
Das Felix-Platter-Spital, das Radiostudio auf dem Bruderholz und langfristig der Hafen. Zusätzlich dazu sind wir aber überzeugt, dass es ein gewisses Potenzial innerhalb des heutigen Bestandes, etwa bei der Ausnutzung der Zonen, im Bereich von Büroumnutzungen gibt, das besser genutzt werden kann. Der Regierungsrat hat in seinem Ratschlag selber ein solches Potenzial von zirka 8000 Personen ausgewiesen, macht sich dann aber leider keine Gedanken dazu, wie man dessen Nutzung fördern könnte. Wir fordern, dass diese Arbeit – die sicherlich nicht einfach ist – nun angegangen wird.
«Das Phänomen ‹Verdichtung ist gut, aber nicht vor meiner Haustüre› ist leider nicht selten.»
Sie nennen das Hafenareal, man könnte auch noch das Lysbüchel-Gebiet hinzunehmen. Das sind aber sehr unkonkrete, überdies bereits heute höchst umstrittene Projekte und, wie Sie ja selber sagen, keine kurz- oder mittelfristige Lösungsansätze.
Kurzfristige Projekte sind ja bereits in Umsetzung, zum Beispiel Kinderspital, Schoren, Erlenmatt. Auch für die mittelfristige Planung gibt es schon einige, die ich bereits erwähnt habe. Die Stadtrandentwicklungen Ost und Süd hätten zu den langfristig zu realisierenden Projekten gehört, so wie es etwa auch der Hafen ist. Natürlich gibt es dort noch Hürden zu überspringen. Aber die Grünen haben vor Kurzem eine Studie, die sie bei denkstatt sarl in Auftrag gegeben haben, präsentiert, die aufzeigt, wie ein solcher Entwicklungsprozess im Hafen erfolgreich durchgeführt werden kann. Mit Vorstössen im Grossen Rat bekräftigen wir, dass wir uns für die Entwicklung im Hafen einsetzen.
Sie haben im Abstimmungskampf auch immer wieder das Verdichtungspotenzial in den bereits bebauten Quartieren genannt. Wie realistisch sind solche Ideen oder Vorschläge? Am Beispiel der Ausbaupläne der Genossenschaft Wohnstadt im Wettsteinquartier zeigt sich aktuell, dass auch solche Projekte auf massiven Widerstand stossen können.
Es ist richtig, dass es auch bei Projekten im bereits bebauten Stadtgebiet immer wieder Widerstand gibt, wenn private Interessen tangiert werden. Das Phänomen ‹Verdichtung ist gut, aber nicht vor meiner Haustüre› oder ‹erneuerbare Energien sind gut, aber nicht auf meinem Dach› ist leider nicht selten. Wir müssen eine Diskussion über Lebensqualität, Wohnqualität, Einzelinteressen und die erwünschte Entwicklung dieser Stadt führen. Ich bin überzeugt, dass sich diese Interessen oft in Einklang bringen lassen, wenn man zuhört, erklärt und gemeinsam entwickelt. Es ist klar, dass es dafür aber Anreize braucht.
Wie kann die Politik beziehungsweise die Verwaltung Verdichtung beim Wohnbau in der Stadt vorantreiben?
Fertige Rezepte gibt es keine. Ich erwarte aber, dass nun eine umfassende Strategie mit Massnahmen entwickelt wird, wie es mit der Wohnraumpolitik weitergehen soll. Ich könnte mir darin zum Beispiel vorstellen, dass wie mit dem Solarkataster auch ein Baupotenzialkataster erstellt wird, das aufzeigt, wo innerhalb der bestehenden Zonen Möglichkeiten einer Verdichtung bestehen. Es braucht auch eine Strategie, wie mit Anreizen und Angeboten Mehrgenerationenhäuser geschaffen werden können. Viele ältere Leute wohnen heute allein in einem Haus und möchten ihr gewohntes Umfeld nicht verlassen. Da gibt es ein Potenzial. Eine weitere Massnahme braucht es im Bereich der Büroumnutzung. Es kann nicht sein, dass Liegenschaftsbesitzer ihre Büroflächen lieber leer stehen lassen, als sie zu Wohnraum umzubauen.
«Ich bin bereit, neue Projekte zu diskutieren, und hoffe, dass unsere Warnungen dann vielleicht ernst genommen werden.»
Sie haben jetzt ein beziehungsweise zwei Entwicklungspläne verhindert. Was wird das Grüne Bündnis konkret tun, um alternative Projekte zu ermöglichen?
Wir halten es einfach so, dass wir jedes Projekt sorgfältig einer Interessenabwägung unterziehen und dann entscheiden, ob der Beitrag, den es zur Wohnsituation leistet, die jeweiligen Opfer aufwiegt. Die Grünen haben zum Beispiel zum Claraturm ja gesagt und damit gezeigt, dass sie die Entwicklung des Standorts am Messeplatz mittragen. Mit unserer Studie zur Hafenentwicklung zeigen wir ebenfalls, dass wir an der Entwicklung des Hafens sehr interessiert sind und zu ihrem Gelingen beitragen möchten. Auch zu den beiden Stadtrandentwicklungen Walkeweg und Nordwest haben wir ja gesagt, über die spricht leider niemand mehr.
Wie werden Sie sich verhalten, wenn sich zeigen sollte, dass die Ausschöpfung des bestehenden Potenzials oder möglicher Alternativen, die Sie jetzt genannt haben, nicht ausreichen sollte?
Diese Frage kann so nicht beantwortet werden. Es gibt keinen entscheidenden Moment mit einem Vorher und Nachher. Die ganze Stadtentwicklung ist in einer ständigen Entwicklung. Wir müssen nun schauen, dass wir eine Strategie entwickeln, um die sich abzeichnenden Tendenzen der Wohnungsknappheit abzufedern und fit sind für Herausforderungen, die wir vielleicht noch gar nicht kennen. Ich bin bereit, neue Projekte zu diskutieren, und hoffe, dass unsere Warnungen dann vielleicht ernst genommen werden. Es zeigt sich, dass es der Baulobby nicht gut bekommt, Diskussionen zu früh abzuwürgen und die eigenen Interessen durchboxen zu wollen.
Das Interview wurde schriftlich geführt.
Mit vier neuen Bauzonen wollten Regierung und Grosser Rat den Neubau von Wohnungen für 3400 Menschen am Stadtrand Basels ermöglichen. Zwei dieser Zonen, die Stadtraumentwicklungsgebiete Ost und Süd, erlitten am Wochenende an den Abstimmungsurnen Schiffbruch. Dadurch kann Wohnraum für 2250 bis 2400 Menschen nicht realisiert werden.
Der zuständige Basler Regierungsrat Hans-Peter Wessels hebt den Mahnfinger: «Die Wohnungsnot, eines der grössten Probleme, denen sich Basel gegenübersieht, wird verschärft», sagte er nach Bekanntgabe des Abstimmungsresultats. Basel verzeichnet einen stetige Bevölkerungszuwachs. Die Regierung beruft sich dabei auf eine Bevölkerungsprognose des Bundesamts für Statistik, die in ihrer Maximalvariante einen Anstieg um 14’000 Personen bis ins Jahr 2023 voraussagt.
Diese Zahl wird zwar von politischen Kreisen, die das Referendum gegen die Bauzonen unterstützt haben, bestritten. Tatsache aber ist, dass es heute bereits sehr eng ist in Basel. Die aktuelle Wohnungs-Leerstandsquote von 0,2 Prozent belegt diese auf alarmierende Weise.
Nun gibt es aber noch weitere konkrete und potenzielle Entwicklungsgebiete in der Stadt:
• Mit den bereits konkreten Projekten Erlenmatt West und Ost, der zweiten Etappe des Schoren-Areals, dem genossenschaftlicher Wohnbau an der Belforterstrasse, dem Claraturm, dem Neubaugebiet Volta Ost sowie den Alterswohnungen auf dem Areal des Bethesda-Spitals können laut Einschätzung der Regierung in den nächsten Jahren Wohnungen für rund 2000 Menschen geschaffen werden.
• Durch kleinteilige Nachverdichtungen in den Stadtquartieren kann laut Regierung in einem kaum voraussehbaren Zeitraum Wohnraum für maximal weitere 2000 Personen geschaffen werden.
• Als nicht sonderlich ergiebig erachtet die Regierung das Potenzial durch Umnutzung von Büro- und Gewerbeflächen. Auf diese Weise könnte in den nächsten 15 Jahren Wohnraum für rund 400 Menschen geschaffen werden, wie eine von der Kantons- und Stadtentwicklung in Auftrag gegebene Studie errechnet hat.
• Mittel- bis langfristig ist mit einer teilweisen Neunutzung des Areals des Felix-Platter-Spitals, der Hafen- und Stadtentwicklung Kleinhüningen-Klybeck und mit dem Areal Lysbüchel/Volta Nord die Neuerschliessung von weiteren neuen Wohnraumgebieten möglich. Deren Potenzial lässt sich heute aber noch kaum abschätzen.
Es ist aber klar, dass dieses Potenzial nicht ausreichen wird, um im Falle eines gleichbleibenden Wachstums der Basler Bevölkerung ausreichend Wohnraum zu schaffen. Es sind also neue Ideen gefragt. Die TagesWoche fragt bei verschiedenen Exponentinnen und Exponenten nach, wohin der Weg führen könnte oder sollte.