Facebook frisst die Medienwelt

Die Medien stehen 2016 unter Druck, wie nie zuvor. Ein Ende der Probleme ist nicht in Sicht. Eine Bestandesaufnahme.

Traditionelle Verlage müssen ihre Inhalte so aufbereiten, dass sie die Nutzer dort erreichen, wo sie sich aufhalten.

(Bild: Nils Fisch)

Die Medien stehen 2016 unter Druck, wie nie zuvor. Ein Ende der Probleme ist nicht in Sicht. Eine Bestandesaufnahme.

Es ist kompliziert. Zu diesem Schluss muss jeder kommen, der sich im Jahr 2016 auch nur am Rande mit «den Medien» auseinandersetzt. Auflagenschwund, Vertrauensverlust, Finanzierungsprobleme, Stellenabbau – positive Nachrichten sind in der Nachrichtenbranche rar gesät. Die einstigen Wächter der Demokratie sind seismischen Erschütterungen ausgesetzt, die sich fast immer auf die internet-verursachte Digitalisierung und Vernetzung der Öffentlichkeit zurückführen lassen.

Die wichtigsten Treiber dieser Entwicklung:

Die Facebook-Explosion

Im März veröffentlichte die renommierte Medienwissenschaftlerin Emily Bell einen Aufsatz mit dem dramatischen Titel: «Facebook is eating the world». Ihre These: Unter dem Einfluss des Internets hat sich die mediale Öffentlichkeit in den letzten fünf Jahren stärker verändert, als in den 500 Jahren davor. Tatsächlich: Die Anzahl täglicher Facebook-Nutzer (1,7 Mia.), die durchschnittliche Zeit, die sie dort verbringen (50 Minuten) und der so erwirtschaftete Werbe-Umsatz ($ 18 Mia. im Jahr 2015) bewegen sich in einer derart neuartigen Grössenordnung, dass uns adäquate Metaphern fehlen, um die fantastische Macht dieser Organisation zu beschreiben.

Zum Vergleich: Das grösste Newsportal der Schweiz 20 min.ch bringt es auf gerade mal 4,6 Mio. Nutzer – pro Monat. Das hat dramatische Folgen für die wirtschaftliche Grundlage des Journalismus, der sich traditionellerweise zur Hälfte über den Verkauf von Werbung (= Aufmerksamkeit) finanziert hat.

Die neue, im Internet geborene Konkurrenz ist den traditionellen Verlagen derart überlegen, dass diese keine andere Wahl haben, als sich auf einen faustischen Pakt einzulassen, um nicht in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden: Sie müssen ihre Inhalte zunehmend so aufbereiten und ausspielen, dass sie die Nutzer dort erreichen, wo sie sich am meisten aufhalten. Auf Facebook, YouTube, Instagram, Snapchat. Und die Konkurrenzverhältnisse in den Newsfeeds zwischen Babyfotos, lustigen Bildern mit Sprüchen und Verschwörungswebseiten sind brutal.

Die Verwundbarkeit der Redaktionen

Die einst hohen Gewinne aus dem Printgeschäft erodieren seit Jahren, die Transformation der Geschäftsmodelle ins Digitale gelingt nur in begrenztem Mass. Daraus resultiert eine wirtschaftliche Schwäche, die traditionelle Medienverlage angreifbar macht. Davon zeugten hierzulande in den letzten Jahren mehr oder weniger offene Einflussnahmen bei der «Basler Zeitung», bei der «NZZ» oder bei der «Weltwoche». Aber auch im Verdeckten sind interessensgesteuerte Informationen im Aufwind. Einerseits arbeiten die verbleibenden Journalisten unter zunehmendem Zeitdruck, ihre Dossiersicherheit, die Sorgfalt der Recherche nehmen proportional zur Arbeitsbelastung ab. Gleichzeitig boomt der Markt für professionelle Kommunikatoren, die über soziale Medien unter Umgehung der Journalisten problemlos selber Öffentlichkeit herstellen können und das oft mit grossen Erfolg tun.

Die Fragmentierung der Öffentlichkeit

Vor einigen Jahren prägte der US-Autor Eli Pariser den Begriff der «Filter Bubble» und beschrieb damit ein Phänomen, wonach der digitale Blick auf die Welt zu einer Einschränkung des Blickfelds führt. Aus dem Nutzerverhalten lernende Algorithmen servieren dem Leser/Zuschauer im individuell zusammengestellten Newsfeed tendenziell mehr vom gleichen, zeigen abweichende Positionen gar nicht erst an und bestärken ihn damit in seinen ohnehin gefassten Überzeugungen und Meinungen. Als Folge davon bilden sich abgeschlossene Echokammern, deren Blick auf die Realität zunehmend auseinanderdriftet.

Wie weit diese Realitäten auseinanderliegen, hat das «Wall Streeet Journal» am Beispiel des amerikanischen Wahlkampfs eindrücklich aufgezeigt. In einem vielbeachteten Online-Experiment hat sie zwei prototypische Facebook-Newsfeeds nebeneinander gestellt, einer mit republikanischen News-Quellen, der zweite mit demokratischen. Beide zeigen Inhalte zum gleichen Stichwort, könnten in der Auslegung der Fakten aber nicht unterschiedlicher sein.

Der Vertrauensverlust klassischer Medien

Bereits vor zwei Jahren haben wir das zunehmend problematische Verhältnis breiter Teile des Publikums zum traditionellen Mediensystem ausführlich thematisiert. Diese Entwicklung hat sich seither fortgesetzt und wird zusätzlich befeuert durch politisch motivierte Einflussnahme (Stichwort Putin-Trolle), aber auch durch das Aufkommen von komplett frei erfundenen Geschichten (Stichwort Bonsai-Katzen), die sich mit rasender Geschwindigkeit in den sozialen Netzwerken verbreiten und von dort immer wieder den Weg zurück in das traditionelle Mediensystem finden. Dort nagen sie weiter an der Glaubwürdigkeit der redaktionellen Arbeit.

Die Bredouille

Die Informationswelt 2016 stellt alle Beteiligten vor Herausforderungen: Während sich die Nutzer in einer kaum zu überschauenden Vielfalt zurechtfinden müssen, kämpfen die traditionellen Redaktionen um Aufmerksamkeit, Glaubwürdigkeit, finanzielle Grundlagen und damit ihre Existenz. Fest steht: Das Konzept der medialen Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Kitt, der unterschiedliche Teile der Bevölkerung zusammenhält, ist am Bröckeln.

2009 schrieb der Medienwissenschaftler Clay Shirky in seinem visionären Aufsatz «Zeitungen und das Undenkbare denken»: «So sind echte Revolutionen. Das Alte geht schneller kaputt, als das Neue entsteht.» Wie sich das anfühlt, erleben wir 2016 in einer damals nicht für möglich gehaltenen Dramatik.

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