Freigiebige Ratsherren und geizige Bürger

Der Basler Historiker Christian Keller hat 100 Jahre Steuergeschichte der beiden Basel analysiert und stellt fest: Im 19. Jahrhundert wollte die städtische Elite von sich aus höhere Steuern zahlen, im Baselbiet dagegen scheiterte eine progressive Steuer jahrzehntelang am Volkswillen.

Auch wenn der Kanton sein eigenes Geld prägte, finanzieren mussten ihn doch die Bürger.

Der Basler Historiker Christian Keller hat 100 Jahre Steuergeschichte der beiden Basel analysiert und stellt fest: Im 19. Jahrhundert wollte die städtische Elite von sich aus höhere Steuern zahlen, im Baselbiet dagegen scheiterte eine progressive Steuer jahrzehntelang am Volkswillen.

Die Geschichte der Steuern ist nicht zuletzt eine Geschichte der Herrschaftsakzeptanz. Wann immer unzufriedene Untertanen sich zu Rebellion oder Revolution entschlossen, gehörten als ungerecht empfundene Steuererhöhungen zu den Beschwerdepunkten. Kein Wunder also, dass der Kanton Basel-Stadt mit seiner elitären Herrschaftsform sich schon früh ein modernes Steuergesetz verpasste, während im direktdemokratischen Baselbiet die Steuergegner fast hundert Jahre lang ein solches verhinderten.

Der Basler Historiker Christian Keller erkundet Neuland in seiner flott geschriebenen Dissertation, die nun in Buchform erscheint: Zum ersten Mal nämlich werden hier die «Steuerregimes» der beiden Basler Halbkantone von 1833 bis 1928 systematisch miteinander verglichen. 

Die Erkenntnisse sind interessant: Während die konservativen, eher elitär denkenden Kaufleute und Honoratioren der Stadt schon sehr früh eine regelmässige progressive Besteuerung eingeführt hatten, scheiterte im direktdemokratisch verfassten Baselland ein entsprechendes Projekt lange Jahrzehnte am Widerstand des «Volkes». Grund also, über mögliche Zusammenhänge zwischen Steuerwiderstand und direkter Demokratie nachzudenken.

Basel-Stadt legt wegweisendes Steuergesetz vor

Der Grosse Rat des Stadtkantons debattierte bereits im Jahr 1839, nur sechs Jahre nach der gewaltsamen Abtrennung des ehemaligen Untertanengebiets, über die Gestaltung einer progressiven Steuer. Der Ratsherr und Präsident des Finanzkollegiums, Bernhard Socin, war ein leidenschaftlicher Befürworter des neuen Konzepts. Socin wurde im Ratssaal von Gegnern zwar als «Räuberhauptmann» tituliert, setzte sich mit seinen Anhängern aber durch.

Dass sich die betuchten Stadtbasler Handelsherren sozusagen ins eigene Fleisch schnitten und dazu bereit waren, den Löwenanteil der Staatsausgaben zu bestreiten, mag erstaunen. Für Historiker Keller ist das Milieu des «frommen Basel» dafür verantwortlich, die christliche Überzeugung also, sich durch eigenes Engagement für das Wohl der Allgemeinheit einzusetzen. Das Steuergesetz sorgte für Aufsehen im In- und Ausland. Es soll beispielsweise der britischen Regierung als Vorbild gedient haben.

Die langsamen Mühlen der direkten Demokratie

Anders war die Lage im Kanton Baselland. Wer dort für direkte Steuern eintrat, erinnerte das «Volk» an die «dunkle Zeit» der Landvögte, die ja auch «Steuervögte» waren. Jedenfalls spielte die Propaganda der Steuergegner immer wieder diese historische Karte aus. Dabei war der junge Halbkanton bald hoch verschuldet. Zudem standen Modernisierungsinvestitionen an, beispielsweise im Eisenbahn- und Strassenbau, aber auch im Schul- und Gesundheitswesen.

Die Baselbieter Männer (Frauen waren noch lange nicht stimmberechtigt) bewilligten zwar befristete, projektgebundene Steuern wie etwa für den Ausbau des Kantonsspitals, wehrten sich aber mit dem «Veto» gegen eine jährliche direkte Steuer. Sie waren für eine «wohlfeile» Regierung und kritisierten mit Lesebriefen die vermeintlich allzu hohen Löhne der kantonalen Beamten, die mit «Federspitzern» verglichen wurden:

«Weich zu sitzen, Federn spitzen / dafür dürftet ihr schon schwitzen.» («Der Baselbieter» vom 5. April 1850, S. 1)

Steuerbetrug war hier wie da verbreitet

Die Gemeinde war für die meisten «Landschäftler» der Bezugspunkt im Alltag. Was interessierte einen da der Kanton? Liestal war weit, der Himmel hoch. Kaum jemand wollte allzu viel von seinen Vermögensverhältnissen preisgeben. Medial unterstützt wurden die Steuergegner von manchen Zeitungen. Die Debatten wurden erbittert geführt.

Dass beim Fehlen effizienter Kontrollinstanzen und beim System der «Selbsttaxation» in beiden Halbkantonen Steuerbetrug bis mindestens 1920 ein «Volkssport» war, verblüfft nach der Lektüre des Buches nicht mehr. Und auch nicht, dass die Baselbieter sich erst 1928 ein allgemeines Steuergesetz gaben. Als letzter eidgenössischer Stand.

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Christian Keller (geb. 1982 in Basel) studierte Politikwissenschaften und Geschichte an der Universität Zürich. 2015 schloss er an der Universität Basel seine Doktorarbeit zur Entstehung des modernen Steuerstaates ab. Er arbeitet als Leiter Region bei der «Basler Zeitung».

Christian Keller: «Visionen, Volkshetze, Betrügereien. Der Weg zum modernen Steuerstaat am Beispiel der Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft (1833–1928)». Chronos. 2017.

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