Der Fotograf legt sich ins Zeugs: «Noch etwas näher zusammenstehen bitte, Sie kennen sich doch alle, oder?» Tun sie erstaunlicherweise nicht, obwohl ihre Leidenschaft für den Film alle drei mit dem Neuen Kino verbindet.
Lea Hofmann ist vor einem Jahr dazugestossen, sie hat das Jubiläumsprogramm für das 30-jährige Bestehen des Neuen Kinos mitgestaltet. Regula Treichler ist seit 1998 dabei, und Regisseur Thomas Isler («Die Demokratie ist los») hat die Anfänge des Neuen Kinos von seinen «Wanderjahren» bis zum Einzug an der Klybeckstrasse miterlebt.
In den bewegten Achtzigerjahren gegründet, bot und bietet das Neue Kino bis heute gesellschaftlich engagierte Seherlebnisse abseits des kommerziellen Filmangebots.
Herr Isler, bekommen Sie eigentlich noch mit, was im Neuen Kino läuft?
Thomas Isler: Ehrlich gesagt: nein. Nach meinem Umzug nach Zürich habe ich es verpasst, meine Adressänderung zu schicken, ich kriege also nicht einmal mehr das Programm. Das bedauere ich natürlich ein bisschen, aber wie sich das Kino in seiner Organisationsform so problemlos von einer Generation zur nächsten wandelt, ist schon faszinierend. Dass ich nichts von euch weiss und das Kino sich trotzdem immer wieder selber definiert, ist doch fabelhaft.
Frau Treichler, inwiefern haben Sie an das Wissen und die Werte der Gründerjahre angeknüpft?
Regula Treichler: Die Unabhängigkeit ist sicher wichtig, ebenso Raum zu bieten für politische und ungewöhnliche Filmformate. Wir diskutieren im Zusammenhang mit Kinovermietungen regelmässig, ob wir mit einem Programm einverstanden sind, und da herrscht noch derselbe Geist wie zu Anfangszeiten: die Basisdemokratie und die unentgeltliche Mitarbeit.
Isler: Wobei diese unentgeltliche Arbeit sowohl ein Vor- wie ein Nachteil ist: Das Nicht-Gebunden-Sein an eine Lohnarbeit ist zugleich Freiheit und Einschränkung. Mitte der Neunzigerjahre standen wir vor der Entscheidung, ob wir professionell werden sollten oder nicht. Diese Freiheit, auf öffentliche Töpfe zu verzichten und dafür auch keine Leistung erbringen zu müssen, macht für mich das Neue Kino aus. Was aber auch zur Folge hatte, dass das Kino klein und am Rand der Stadt blieb. Wir wären damals gerne auf das Kasernenareal gezogen, was in einem nächsten Schritt wohl auch Subventionen bedeutet hätte. Den Zuschlag haben wir nicht bekommen, trotzdem konnten wir mit dem Entscheid leben.
Wie leben die Nachfolgerinnen mit diesem Entscheid?
Treichler: Wir haben den Kanton und die Christoph Merian Stiftung natürlich trotzdem um einen Beitrag an die Betriebskosten gebeten, aber nach 1998 gab es das Stadtkino, und da blieb für uns nichts übrig. Wir haben mehrere Anfragen für Investitionskredite geschickt, für eine neue Kinobestuhlung etwa – oder auch nur für eine Heizung: Im Hinterhaus wurde früher mit Holz geheizt, da hat man mitunter bei Vorführungen vor Kälte den eigenen Atem gesehen. Aber diese Entwicklung ist eben nicht nur zwangsläufig, sondern irgendwo auch selbst gewählt. Heute würde ich sagen, dass wir diese Unabhängigkeit wirklich wollen, oder?
Lea Hofmann: Ja, das denke ich auch.
Isler: Wir hatten nie die Idee, dass wir vom Neuen Kino leben könnten…
Treichler: Auch nicht mit mehr Vorführungen?
Isler: Nein, das war kein Thema, zumindest nicht in meiner Erinnerung. Indem wir alle immer noch mit anderem beschäftigt waren, hatten wir mit den angekündigten Vorführungen sowieso mehr als genug zu tun. Mir gefällt ganz einfach die Vorstellung, dass es immer wieder neue Leute gibt, die diese Erfahrung mit dem selbstorganisierten Kino machen können. Wäre die Stadtgärtnerei damals nicht geräumt worden, hätte sich das Neue Kino vielleicht als ein Teil davon weiterentwickelt und institutionalisiert. Doch Ende 1992 löste sich die Bewegung auf, weil die inneren Widersprüche zu gross wurden.
Welche Rolle hatte das Neue Kino damals?
Isler: Wir haben sehr auf Politaktivismus gesetzt, das war damals die Zeit dafür. Ausserdem haben wir Filme gezeigt, die sonst nigends in der Stadt zu sehen waren. Ich weiss nicht, ob das heute noch möglich ist, mit dem Stadtkino und anderen Angeboten. Könnt ihr Sachen vorstellen, die sonst nicht gezeigt werden?
Treichler: Doch, das gibt es schon noch. Vielleicht keine schweizweiten Exklusivitäten, aber Basler Premieren auf jeden Fall.
Hofmann: Das gilt auch für unsere Retrospektiven, die so sonst in Basel nicht gezeigt werden. Wir haben jetzt zum Beispiel die Reihe «ciné sonderbar», die von einem Vereinsmitglied angeregt wurde. «ciné sonderbar» präsentiert jeweils einmal im Monat einen Film passend zum Thema des jeweiligen Programms, der mit seiner Filmsprache Grenzen auslotet.
Was für eine Rolle spielt die Politik bei der Programmierung?
Hofmann: Die war früher sicher präsenter, hatte aber auch viel mit der Raumfrage zu tun, die uns nicht mehr im gleichen Mass beschäftigt. Wir haben jetzt vielleicht noch ein bis zwei politische Programme im Jahr. Sehr oft kommt es zu Zusammenarbeiten mit anderen Organisationen und politisch Aktiven: So zum Beispiel mit dem Luststreifen / Queer Film Festival Basel oder – wie erst kürzlich – mit den Wachstumskritikern von Décroissance Basel.
Treichler: Was sich auch stark verändert hat: Von eurer Gruppe, Thomas, haben sich Ende der Neunzigerjahre die meisten zurückgezogen. Als ich neu dazukam, ging es praktisch in jeder zweiten Sitzung darum, dass für den Folgemonat noch kein Programm stand. Wir haben viele Cartes blanches vergeben, das hat sich bis in die Nullerjahre so hingezogen. Mittlerweile hat sich das stark verändert, die Programme sind bis auf ein halbes Jahr im Voraus geplant.
Wie viele Mitglieder hat das Neue Kino heute?
Treichler: Eingetragen sind 36 Aktive…
Isler: Was, so viele?
Treichler: Schon, aber von denen arbeiten natürlich nur etwa 25 im Kino.
Hofmann: Das Schöne bei uns ist ja, dass man flexibel sein kann. Jemand kann sich für ein, zwei Monate komplett ausklinken und dann aber sofort wieder weitermachen. Niemand muss sich zuerst in irgendeiner Form zuerst bewähren oder Bitti-Bätti machen, es gibt keinen institutionellen Rahmen. Alles was es braucht, ist ein Slot und eine Idee.
Wie sehen Sie die Zukunft des Neuen Kinos?
Isler: Ich wünsche mir, dass sich diese Gruppe in immer wechselnder Besetzung weiterentwickelt und darauf achtet, dass sie ein Stachel in der Medien- und Kulturlandschaft bleibt. In einer Welt, in der das bewegte Bild durch das Internet eine so grosse Streuung und Dominanz erfährt, ist gerade das Lokalisierte die grosse Stärke des Neuen Kino: Man geht in ein Industriequartier und steigt in einen Innenhof, und da ist es. Vielleicht entwickelt sich daraus eine – und ich meine das ganz unpathetisch – neue, guerillamässige Verwendung des Mediums Film. Auch um daran zu erinnern, dass das Schauen von Filmen eine gemeinsame Form darstellen kann, über die Welt nachzudenken.
Treichler: Ich sehe das genauso. Als angehende Medienwissenschaftlerin sitze ich immer wieder in Filmseminarien, wo es totale Filmfreaks gibt, die ihr ganzes Seherlebnis aber nur am Computer hatten. Die staunen dann, weil sie noch nicht einmal vom Stadtkino gehört haben. Für mich ist das Neue Kino ein Ort, wo man Filme schaut und danacht auch darüber an der Bar redet. Ich habe dort schon Filme gesehen, die ich mir allein nie zugemutet hätte.
Hofmann: So erlebe ich das Neue Kino auch: Es kommt zu einem ungezwungenen Austausch, weil man gemeinsam dort ist. Das wird dadurch verstärkt, dass wir die Vorführung abfilmen und in der Bar übertragen. Jeder kann den Film so gratis mitschauen, wenn auch in qualitativ schlechterer Form. Und weil alle, die im Film sitzen, auch einmal herauskommen, um zu rauchen oder was auch immer, werden Diskussionen initiiert. Da ist dieser Raum, in dem ich während eines Films reden kann, und das ermöglicht ein ganz neues Kinoerlebnis in immer neuen Konstellationen.
Bewegte Bilder, bewegte Geschichte
Michel Piccoli rastet aus: Mit dem Vorschlaghammer
bricht er die Wände seiner Mietwohnung heraus, wirft das Mobiliar auf
die Strasse, hat Sex mit seiner Schwester und brät sich einen
Polizisten. Zuletzt grunzt eine ganze Stadt kollektiv auf.
«Themroc» hiess der erste Spielfilm, den das 1986 gegründete Neue Kino zeigte,
und ähnlich anarchisch wie auf der Leinwand gestalteten sich auch die
Anfangsjahre des Filmvereins: Nach dem Ende der Alten Stadtgärtnerei,
wo man kurzzeitig untergekommen war, ging der Verein fünf Jahre lang
auf Wanderschaft – zwischen Stückfärberei, Petersplatz und Kino Union.
Mit dem Einzug in die Klybeckstrasse 247 und dem Erhalt einer offiziellen
Betriebsbewilligung wurde es ruhiger um das Neue Kino: «Wir sind jetzt
sesshaft, die Strukturen funktionieren», erklärt Vereinsmitglied Lea
Hofmann.
Aus der Zeit der Stadtgärtnerei ist kaum noch jemand
aktiv, doch der Kollektivgedanke und das Prinzip der Eigeninitiative
werden bis heute hochgehalten: Jedes Monatsprogramm wird auf
freiwilliger Basis gestaltet, die Preise werden auch ohne Subventionen
niedrig gehalten, der Schwerpunkt liegt auf «politisch unbequemen,
ästhetisch innovativen oder regional brisanten Werken», wie es auf der
Website heisst.
Zum Programm gehören auch Kooperationen, etwa mit
dem Queer Film Festival Basel oder mit Culturescapes. Finanziell steht
das nicht-profitorientierte Kino mit 500 Passivmitgliedern auf sicheren
Beinen, jährlich nutzen im Schnitt an die 3000 Besucherinnen und
Besucher das Angebot, wobei das ganze Altersspektrum vertreten ist.
Vor zwei Jahren hat sich das Neue Kino für die Zukunft gerüstet und ein
digitales Vorführsystem eingebaut. Dadurch bieten sich mehr
Möglichkeiten bei der Programmgestaltung, allerdings setzt man auch
weiterhin auf «echten», analogen Film: Da dieser an immer weniger Orten
gezeigt werde, unterstreiche das die Bedeutung des Neuen Kinos für Basel
zusätzlich, sagt Hofmann.