Basel braucht zwar die Spielgruppen für die obligatorische Sprachförderung von Kleinkindern. Sie dafür bezahlen will die Stadt jedoch nicht.
Der Basler Erziehungsdirektor Christoph Eymann – seit nunmehr elf Jahren in der Regierung – weiss, wie man sich im politischen Geschäft vermarktet. Wie jetzt für die kommende Legislatur stellte er sich auch im Herbst 2008 zur Wiederwahl. Damals, im Februar, brillierte er mit einem Projekt, das schweizweit für Schlagzeilen sorgte. Der Erziehungsdirektor präsentierte nichts weniger als den möglichen «Schlüssel zur Chancengleichheit».
Konkret ging es um den Plan, die «obligatorische Sprachförderung für Dreijährige» einzuführen. Diesem Plan zufolge sollen künftig Kinder, die kaum oder gar nicht Deutsch sprechen, ein Jahr vor Eintritt in den Kindergarten zum Besuch in einer Sprachspielgruppe verpflichtet werden. Die Betonung auf «Pflicht», auf «obligatorisch» kam an.
Das sei zwar ein Eingriff in die Elternrechte, sagte Eymann damals vor den Medien, doch das Bildungsrecht der Kinder sei höher zu gewichten. Was die NZZ als bemerkenswerte Aussage für einen überzeugten Liberalen bezeichnete. Christoph Eymann wurde vom Volk wiedergewählt, das Projekt vom Grossen Rat abgesegnet.
Enttäuschung ist gross
Seither sind die Projektarbeiten im Gang. Das Erziehungsdepartement (ED) erstellte Qualitätsvorgaben für die Spielgruppen, organisierte entsprechende Weiterbildungen für die Leiterinnen, und im kommenden Schuljahr soll das «Projekt mit Pioniercharakter» nun, wenn nichts mehr dazwischenkommt, umgesetzt werden.
Doch je näher die Realisierung rückt, desto mehr Frustration macht sich unter den Spielgruppenleiterinnen breit – unter denen, die die eigentliche Leistung erbringen sollen. Anfänglich noch begeistert, weil ihrer Arbeit durch diesen Bildungsauftrag von offizieller Stelle endlich mehr Anerkennung zukommt, stellen sie zunehmend fest, dass das aber auch schon alles ist. Denn finanziell müssen sie genauso unten durch wie bisher. Sie sollen weder räumliche noch finanzielle Unterstützung vom Kanton erhalten.
Vorgesehen und vom Grossrat bewilligt sind für das Sprachförderungsprojekt gerade mal 1,9 Millionen Franken pro Jahr. Davon fällt ein beträchtlicher Teil weg für die Kostenübernahme der Spielgruppenbesuche der Kinder, die unter das Obligatorium fallen, sowie für die Zuschüsse an die Eltern, deren Einkommen tief ist.
Als Richtlinie dafür gelten die Krankenkassenreduktionen, die sie aufgrund ihrer Steuererklärung erhalten. In der Regel kostet eine Stunde in der Spielgruppe 10 Franken, ein Halbtag dauert zwischen 2,5 und 3 Stunden. Vorgesehen sind insgesamt fünf Abstufungen von subventionierten Elternbeiträgen, von 3 bis maximal 15 Franken pro Halbtag.
Die Rechnung geht nicht auf
Was so umständlich tönt, ist es auch. Jedenfalls für die Spielgruppenleiterinnen. Denn sie sind es, die die Eltern auf die möglichen Vergünstigungen ansprechen müssen; sie sind es auch, die dann dafür sorgen müssen, dass der Zuschuss des Erziehungs-departements in ihrer Kasse landet.
«Das ist doch eine unmögliche Abrechnerei für uns», sagt eine Spielgruppenleiterin. Statt mit Eltern Themen wie Ablösungsprozess oder Entwicklungsstand ihres Kindes zu besprechen, müsse sie sie nun beim ersten Besuch auf deren Einkommensverhältnisse ansprechen.
Das war nur einer der Kritikpunkte, die an der Podiumsdiskussion am vergangenen Montagabend, die der Dachverband der Basler Spielgruppen organisiert hatte, zur Sprache kamen. Fasst man alle zusammen, wurde klar: Die Rechnung geht für die Frauen – es gibt wahrscheinlich keinen männlichen Spielgruppenleiter – schlicht nicht auf. Der Kanton braucht zwar für die Umsetzung des Projekts die Spielgruppen und stellt auch Qualitätsanforderungen an sie, ist aber nicht bereit, sie für diese Arbeit zu entschädigen.
Kein existenzsicherndes Einkommen
Sie hätten ihren Teil der Aufgaben gemacht, sagte Ulrike Sturm, Präsidentin des Dachverbands: eine Fachgruppe als Ansprechpartner für das ED gegründet, bei der Entwicklung der Qualitätsstandards mitgearbeitet, den geforderten Lehrgang absolviert, und sie seien bereit, die Mehrarbeit zu leisten. Sie stünden auch voll zum Projekt, betonte Sturm, aber die Enttäuschung darüber, dass die Spielgruppenleiterinnen das unternehmerische Risiko weiterhin alleine tragen müssen, sei gross.
«Eine zweite Betreuungsperson, wie das ED sie für eine Kindergruppe ab dem siebten Kind fordert, können wir uns in der jetzigen Realität nicht leisten.» Und diese Realität sieht so aus: Eine Spielgruppenleiterin, würde sie mit einem 100-Prozent-Pensum arbeiten, kommt gemäss Berechnungen auf ein Einkommen, das ganz knapp über dem Existenzminimum in Basel-Stadt von 26 400 Franken pro Jahr liegt.
Die wenigsten jedoch arbeiten mit einem Vollzeitpensum. Das heisst, leben kann eine Spielgruppenleiterin nicht von ihrer Arbeit. «Sobald sich für sie die Situation verändert, zum Beispiel durch eine Scheidung», so Sturm, «dann muss sie aufgeben und sich einen existenzsichernden Job suchen.»
Auf die Wartebank geschoben
ED-Vertreter Pierre Felder, Leiter Volksschulen und somit zuständig für das Frühförderungsprogramm, versucht zu beschwichtigen. Er habe zwar Verständnis für den Unmut, meinte er, aber politisch wäre es zum jetzigen Zeitpunkt unklug, mehr Geld zu fordern. Felder empfiehlt den Frauen, abzuwarten, bis das Obligatorium eingeführt ist, und dann könne man bilanzieren.
Auf die Wartebank geschoben wurde auch ein Anzug der SP-Grossrätin und Podiumsteilnehmerin Doris Gysin: Sie hatte Mitte Oktober 2010 einen Vorstoss zum Sprachförderungs-Projekt eingereicht, in dem sie forderte, die «unbefriedigenden Rahmenbedingungen für die Spielgruppen» zu prüfen und möglichst zu verbessern. Die Frist zur Beantwortung des Vorstosses läuft am 16. Dezember ab. Dann hat Basel gewählt.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 26.10.12