Blumenverkäuferin Yolande «Yoly» Leuba ist tot. Wer war die Frau, die alle sahen, aber die wenigsten kannten?
Die wenigsten kannten ihren Namen. Kaum jemand wusste, wer sie war. Aber alle sahen sie. Jetzt ist sie tot, die Blumenfrau, die fast zwanzig Jahre lang am Eingang des Steinenparkings Rosen verkaufte. An ihrem Platz steht ein Foto von ihr, Kärtchen liegen da, Blumen, Kerzen. Bloss sie fehlt.
Wer war sie, die 81-jährige Frau, die mit ihrem kleinen Hund «Chipi» auf dem Mäuerchen neben dem Ticketautomaten sass, egal, ob es bissig kalt oder drückend heiss war? Die ihre Rosen nie aufdringlich an den Mann oder die Frau bringen wollte und vertrauten Gesichtern auch mal Blumen schenkte? Die früher nachts mit dem Rosenstrauss im Arm durch Clubs und Bars tingelte und als «Blumenfrau» so bekannt wurde wie seinerzeit der «Blumenfritz»? Und die durch ihren Tod eine Lücke im Stadtbild hinterlässt?
Als Serviertochter eine Perle
Wer ihren Namen kannte, der nannte Yolande Lucie Leuba schlicht «Yoly». An ihren Nachnamen hätte sich Stadtkeller-Wirt Heinz Proschek nicht erinnert; an die Frau selber sehr wohl. Die Zusammenarbeit der beiden begann vor bald vierzig Jahren, doch Heinz Proschek weiss noch genau, wie er Yoly damals als eine von 17 Serviertöchtern im Gambrinus einstellte – und seine Wahl nie bereute, im Gegenteil.
«Sie war ein totaler Profi und hatte immer die beste Kasse.» Heute noch denke er an seine «beste Serviertochter» zurück, etwa dann, wenn ein Mitarbeiter krankheitshalber ausfällt und schnell ein Ersatz her muss. «Yoly sprang immer ein, wenn ich sie brauchte.» Eine «echte Perle» sei sie gewesen.
Verkauf von bemalten Plaketten
Etliche Gambrinus-Gäste bestanden darauf, an einem Tisch zu sitzen, der von Yoly bedient wurde. So mancher Gast verliess das Lokal mit einer Fasnachtsplakette an der Jacke, die ihm Yoly in gewohnter Manier verkauft hatte: unaufdringlich, ohne «Plakette» zu schreien, ohne die Stücke anzupreisen.
Die Serviertochter machte es anders: Sie trug die Plaketten beim Arbeiten und wartete, bis sie darauf angesprochen wurde. Die Frage lautete meistens: «Was ist das?» Denn Yolys Fasnachtsplaketten waren nicht golden oder silbern – sondern bunt. Sie bemalte sie selbst, jede anders. Und machte sie so zu kleinen Kunstwerken.
Mit Jobs im Gastgewerbe, Rosen- und Plakettenverkauf verdiente Yoly jahrelang das Geld, das sie für sich und ihre drei Töchter, die nicht bei ihr aufwuchsen, brauchte. Zeitweise war sie auch als «Glacefraueli» beim Bachgraben-Gartenbad tätig. Bis dort ein Kiosk eröffnet wurde und Yoly gehen musste.
Rosenverkauf als Rentenzustupf
Als der Tag kam, an dem sie zur AHV-Rentnerin wurde, tat sie ungeachtet der neuen Finanzquelle weiterhin, was sie immer tat: Rosen verkaufen. Mit dem Steinenparking fand sie in der Nähe ihrer Einzimmerwohung einen Platz, an dem sie sitzen konnte und nicht mehr stundenlang mit den Rosen im Arm durch die Strassen gehen musste. Die Parkhausverantwortlichen duldeten sie, obwohl es eigentlich verboten wäre, dort etwas zu verkaufen.
So manche Parkhausgäste fragten sich, warum eine alte Frau wie sie Rosen verkauft; die wenigsten trauten sich, sie zu fragen. Dabei war sie stolz auf die Antwort, wie ihr langjähriger Nachbar und Bekannter Andreas Meier sagt: «Yoly wollte nicht die hohle Hand machen und Ergänzungsleistungen beziehen, sie wollte ihren Lebensunterhalt selber bestreiten.» Mit ihrer kleinen Rente hätte sie das nur knapp geschafft, deshalb die Rosen – und weil sie unter Leuten sein wollte, sagt Meier. «Sie brauchte die Gesellschaft.» Und die Gesellschaft brauchte sie.
Leuba brach in der Nähe ihres Verkaufsplatzes zusammen. Sie wollte im Spar in der Steinenvorstadt einkaufen, schaffte es aber nicht mehr. Einige Tage darauf schlief sie im Sterbehospitz ein. Die Familie kümmert sich um den Hund. Und Andreas Meier, der Nachbar, sitzt jetzt manchmal allein auf dem Mäuerchen. Allein mit den Rosen, die an die Blumenfrau erinnern.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 27.01.12