Im Basler Palliativzentrum Hildegard versucht Silvia Furrer Häusler, die Schmerzen ihrer Patienten zu lindern, und begleitet die Sterbenden in den Tod.
Die Szene will nicht so richtig zum Thema passen. Nochmals hat sich der Sommer herausgetraut, die Sonne lacht über dem Bahnhofsplatz in Basel, allseits sieht man lächelnde Gesichter in Feierabendlaune. Und wir sitzen in einem Gartenrestaurant und reden über Palliative Care.
Die diplomierte Pflegefachfrau Silvia Furrer Häusler arbeitet im Palliativzentrum Hildegard am St. Alban-Ring. Dort finden Menschen mit komplexen, chronisch fortschreitenden und unheilbaren Krankheiten Hilfe. Konkret heisst das, dass die Patienten das Zentrum in der Regel nicht lebend verlassen.
«Es geht bei uns darum, den Patienten bis zuletzt die bestmögliche Lebensqualität zu erhalten und dabei auch respektvoll die Angehörigen miteinzubeziehen.» Oder wie Cicerly Sunders, die Gründerin der internationalen Hospizbewegung in den 1960er-Jahren die Palliativpflege beschrieb: «Alles tun, damit der Patient nicht nur in Frieden sterben, sondern auch bis zuletzt leben kann.»
«Die Patienten leiden körperlich, sozial und spirituell.»
Kein einfacher Job. «Die Patienten, die zu uns kommen, leiden an Schmerzen, Angst, Depressionen, Atemnot, Übelkeit, Erschöpfung und Juckreiz», sagt Furrer Häusler. «Sie leiden körperlich, sozial und spirituell.» Die Patienten sind in der Regel «austherapiert» – ein Zustand, in dem die Massnahmen der klassischen Medizin abgeschlossen sind.
Im Palliativzentrum wird nicht versucht, das Leben um jeden Preis noch ein paar Tage zu verlängern. «Wir tun nicht das medizinisch Mögliche, sondern das menschlich Nötige, um die Leiden der Patienten zu lindern und sie würdevoll, selbstbestimmt und möglichst in Frieden sterben zu lassen.»
Ausserdem gehe es darum, die Angehörigen einzubeziehen und zu begleiten, sagt Furrer Häusler «Das Palliativzentrum arbeitet interdisziplinär. Wir haben Ärzte aus verschiedenen Fachgebieten, bieten die verschiedensten Therapien an und natürlich einen Sozialdienst und die Seelsorge.»
Belastender Beruf
Für das Pflegepersonal kann Palliative Care auch belastend sein. Dies hat Sylvia Furrer Häusler aber bewusst und freiwillig auf sich genommen.
Für sie war Krankenschwester der erste und selbstverständliche Berufswunsch. Sie hat in verschiedenen Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen gearbeitet. Vom Grossspital bis zum Alterszentrum. Dank verschiedener Weiterbildungen war sie in den letzten elf Jahren in einer Leitungsfunktion. «Doch dann habe ich vor vier Jahren bewusst den Schritt zurück in die Pflege und ans Bett gemacht.»
Die Pflege schwer kranker Menschen ist ihr eine Herzensangelegenheit, für die sie auch finanzielle Einbussen in Kauf nimmt. «Ich kann den Job nur professionell gut machen, wenn ich nicht mehr als 60 Prozent arbeite», sagt Furrer Häusler. Sonst wäre die Belastung für sie zu gross.
«Ich muss ja auch noch meinem eigenen Umfeld gerecht werden. Meinem Partner, Kindern, Freunden zum Beispiel. Bei einer Vollzeitstelle hätte ich nicht die Zeit für die nötige Psychohygiene.» Angesichts der seelischen Belastung, der Dienstzeiten, der Wochenend- und Nachtarbeit hält sie die Arbeit im Pflegeberuf grundsätzlich für unterbezahlt, «und man erfährt auch zu wenig Wertschätzung».
«Man gibt sehr viel, aber man bekommt auch viel.»
Aber Sylvia Furrer Häusler weigert sich, ihren Beruf nur als Broterwerb anzusehen. «Man gibt sehr viel, aber man bekommt auch viel.» Ein grosser Teil der Palliativpflege laufe über die Beziehung und Zuwendung zum Patienten. «Und Zuwendung kann man nicht gut abrechnen.»
Die Zuwendung schliesst für Furrer Häusler auch körperliche Berührung mit ein. «Als Aromatherapeutin macht sie bei den Patienten oft Einreibungen mit ätherischen Ölen. «Neben den Düften ist natürlich auch der Körperkontakt für die Menschen eine Wohltat. Viele Patienten in diesem Stadium sind schon lange nicht mehr von einem anderen Menschen berührt worden.»
Bei all dem Leid, das sie miterleben muss, wundert man sich über die offene, fröhliche Art und die Begeisterung der 56-jährigen Mutter von drei erwachsenen Söhnen. «Ich habe im Palliativzentrum meinen Platz und auch eine Herausforderung gefunden.»
Die Wertschätzung ihrer Arbeit findet sie, wenn schon nicht finanziell, im Team und in der Institution. Und natürlich bei den Patienten. «Wenn ein Mensch Ihnen ein schlichtes Merci ausspricht, ein letztes Lächeln schenkt, einen herzlichen Händedruck oder auch nur einen dankbaren Blick, dann sind das im normalen Leben der Gesunden nur kleine Gesten. Im Palliativzentrum erreichen diese Gesten eine ganz andere, viel höhere Ebene.»
Die Palliativmedizin ist eine vergleichsweise neue Disziplin. In den 1960er-Jahren gründete die englische Ärztin und Sozialarbeiterin Cicerly Sunders die internationale Hospizbewegung und war damit neben der Psychologin Elisabeth Kübler Ross Mitbegründerin der speziellen medizinischen Versorgung für Sterbende und schwer chronisch Kranke.
Gemäss Weltgesundheitsorganisation ist Palliativmedizin «die aktive, ganzheitliche Behandlung von Patienten mit einer voranschreitenden, weit fortgeschrittenen Erkrankung und einer begrenzten Lebenserwartung und zu der Zeit, in der die Beherrschung von Schmerzen, anderen Krankheitsbeschwerden, psychologischen, sozialen und spirituellen Problemen höchste Priorität besitzt». Die Prinzipien der Palliativmedizin sind (unter anderem):
- Behandlung des Patienten am Ort seiner Wahl.
- Physische, psychische, soziale und spirituelle Bedürfnisse der Patienten, Angehörigen und der Behandelnden werden beachtet.
- Die Betreuung des Patienten und seiner Angehörigen dauert an bis zum Tod und in die Trauerzeit.
- Der Tod wird weder beschleunigt noch hinausgezögert.