Mit «Ganesh Versus the Third Reich» präsentieren der Australier Bruce Gladwin und sein Back to Back Theatre am Theaterfestival Basel ein tieftrauriges, rasend komisches und brutal ernstes Lehrstück über die Menschlichkeit in einer Welt, die Typen wie Adolf Hitler hervorbringt.
Es ist eine groteske Clownnummer und eine brutale Demonstration von Menschenverachtung zugleich: Der Regisseur im Kostüm des SS-Schergen probt mit dem Darsteller eine Erschiessungsszene. Nur dass der Hingerichtete, wie es physikalisch bei einem Schuss in den Hinterkopf richtig wäre, nicht nach vorne fällt, sondern sich in einer absurden Drehung auf den Rücken plumpsen lässt.
Der Regisseur wiederholt die Szene wieder und wieder, mit wachsendem Unmut. Der Fall aber bleibt gleich verkehrt. Das Publikum lässt sich von der absurden Situationskomik einnehmen, lacht herzhaft. Bis sich der Regisseur in einen ungestümen Wutrausch hineinsteigert, bis er seinem – behinderten – Darsteller tatsächlich ans Lebendige gehen möchte und von den Mitspielern nur mit Mühe von einem tätlichen Übergriff abgebracht werden kann.
Vielschichtiges schwarzes Märchen
Es ist ein vielschichtiges, düster-komisches Stück Theater, das der australische Theatermacher Bruce Gladwin und sein Back to Back Theatre präsentieren. «Ganesh Versus the Third Reich» heisst das Projekt, das im Rahmen des Theaterfestivals Basel über die Bühne der Reithalle ging (und am Mittwochabend noch einmal geht).
Da gibt es etwa das Stück im Stück: In einem hintersinnigen Holocaust-Märchen wird die Geschichte erzählt, wie der elefantenköpfige Hindu-Gott Ganesh nach Berlin reist, um von Hitler das pervertierte Swastika-Symbol oder eben Hakenkreuz zurückzuholen. Auch um damit zu verhindern, dass sein Vater, Gott Shiva, die gesamte Menschheit auslöscht.
Poetisches Zaubertheater
Gespielt wird dieses Märchen von behinderten Schauspielern, die von ihrem nicht behinderten Regisseur in der Rolle des KZ-Arztes Mengele sekundiert werden. Zu erleben sind hinreissend poetische Zaubertheater-Szenerien. Mithilfe von bedruckten transparenten Plastikfolien entstehen auf der weiten Bühne der Reithalle wunderbare Bilder von einnehmender Ausdruckskraft.
Diese Spielebene allein ist bereits ausgesprochen mehrschichtig: Schauspieler mit einer Behinderung, die in Nazi-Deutschland der «Rassenhygiene» zum Opfer gefallen wären, spielen Nazis und deren Opfer. So zum Beispiel der spindeldürre Simon Laherty, der mit seinem steif-schlaksigen Gang sowohl der Darstellung des aus Auschwitz befreiten Juden als auch später der Darstellung des Führers Adolf Hitler gerade durch seine Handicaps eine erschütternde Intensität verleiht.
Stück hinter dem Stück
Regisseur Bruce Gladwin belässt es aber nicht dabei. Er präsentiert als weitere Ebene das Making-of des eigentlichen Stücks. Er zeigt, wie der Regisseur (Luke Ryan) in den Proben des Stücks seinen Schauspielern eine höchstmögliche Authentizität in der Darstellung der nationalsozialistischen Herrenmenschen einzuhämmern versucht («Denk an Bruno Ganz») und ihnen die tragische Rolle der Juden schmackhaft zu machen versucht.
Er stösst damit bei seinem Ensemble, das halt nicht so funktioniert wie eine Crew aus routinierten Profischauspielern, natürlich auf Hindernisse. «Ich wünschte, die Aufführung wäre nicht Scheisse», sagt der Darsteller des polnischen KZ-Wächters Scott Price, dem immer wieder mehr oder weniger unflätige Bemerkungen entfahren. Und der Regisseur selber, der sich mit der zynischen Bemerkung ans Publikum wendet, «Ihr seid gekommen, um euch einen Freakporno reinzuziehen», steigert sich in eine wachsende Verzweiflung und Wut hinein, die in einen tyrannischen Umgang mit seinen Darstellern mündet.
Grosses Theater
«Ganesh Versus the Third Reich» ist grosses Theater, das zugleich vergnügt und erschüttert. Es ist ein Lehrstück, das nicht nur eine wunderbar hintersinnige Geschichte erzählt, sondern sich auf intelligente Weise tief unter die Oberfläche gräbt und auf eindringliche Weise Rollenmuster hinterfragt. Rollenmuster, die vor über 75 Jahren den fatalen Aufstieg der Nationalsozialisten geebnet haben, die aber auf subtile Weise noch heute präsent sind.
Am Schluss bleibt Mark Deans, der Schauspieler mit dem Down-Syndrom, der den ganzen Abend scheinbar gar nicht begriffen hat, um was es geht, alleine auf der Bühne zurück. Alle anderen sind abgetreten. Und auch der Regisseur befreit sich aus der Umarmung seines «Lieblings-Behinderten», der ihn und das Stück als Einziger niemals offen hinterfragt, und nutzt ein Versteckspiel, um sich aus dem Staub zu machen. «Du warst der beste Hitler», sagt er zum Abschied. Und: «Deine Mutter holt dich in drei Stunden ab.»
Theaterfestival Basel: «Ganesh Versus the Third Reich» von Bruce Gladwin und dem Back to Back Theatre. Zweite Vorstellung am Mittwoch, 3. September, 21 Uhr in der Reithalle der Kaserne Basel.