Tettamanti & Co feiern ihren Einsitz im Medienestablishment. Einer stört das Friede-Freude-Eierkuchen-Fest.
Freitagabend. Zum Feierabend hat die vor einem Jahr gegründete «Medien Vielfalt Holding AG» im noblen Zürcher Hotel Sayoy Baur en Ville zu einer Debatte über «Die Rolle der Medien in der Demokratie» geladen. Als ihren Zweck nennt die AG im Aktienregister «Unterstützung der Medienvielfalt insbesondere durch den Erwerb, dauernde Verwaltung und Veräusserung von Beteiligungen an in- und ausländischen Unternehmungen aller Art, insbesondere im Bereiche Printmedien». Vorläufig kennt man die Holding als Eigentümerin der politisch seit zwei Jahren auf rechtskonservativem Kurs geführten «Basler Zeitung» (BaZ). Bei der Namensgebung hat sich die «Medien Vielfalt Holding AG» nicht sonderlich angestrengt und hat sich ideenmässig bei der im Frühling 2011 in Basel gegründeten «Stiftung für Medienvielfalt» bedient, welche die «TagesWoche» herausgibt.
Von NZZ über Schweizer Fernsehen bis Weltwoche
Kontrollierender Hauptaktionär der «Medien Vielfalt Holding AG» ist der Tessiner Investor Tito Tettamanti. Mit dem Event im Savoy wollte die Gruppe offensichtlich ihren Anspruch demonstrieren, im Kreis der führenden Schweizer Mediengruppen Platz zu nehmen. Das ist gelungen. Zwei der drei grossen Schweizer Medienkonzerne, die ernsthafte Informationsprodukte verbreiten, sind mit Spitzenleuten vertreten: Von der NZZ Chefredaktor Markus Spillmann, von der SRG Rudolf Matter, Direktor von Schweizer Radio und TV. Diesen Chefs setzten die Event-Planer ihren befreundeten Chefredaktor der «Weltwoche», Roger Köppel, an den Cheftisch.
Der stärkste Spieler im Schweizer Geschäft mit Informatiomnsmedien, Tamedia, sitzt auffällig «nur» mit einem Journalisten des «Tages-Anzeigers», Constantin Seibt, am Tisch. Aber das hat wohl seinen Grund. Tamedia pflegt mit der BaZ seit Jahren enge Beziehungen und Abhängigkeiten. Vor zwei Monaten kam mit Rolf Bollmann ein Tamedia-Spitzenmann als neuer Unternehmensleiter zur BaZ. Was man an diesem Abend noch nicht weiss, ist, dass der als redegewandter Conferencier Tettamantis fungierende FDP-Nationalrat Filippo Leutenegger in der BaZ-Unternehmensleitung offenbar von Christoph Blocher ausgebootet worden ist. Dies schreibt «NZZ-am Sonntag» zwei Tage nach dem Anlass im Hotel Sayoy Baur en Ville.
Radikal-liberale Gedankengut-Träger
Zurück zum Freitag: Im Festsaal sitzen rund 120 geladene Gäste. Viele irgendwie durch radikalkonservative und radikal-liberal politische Gesinnung und Vereinsmitgliedschaften miteinander verbunden. Gut vertreten sind SVP-Politiker, Kommunikationsberater, Wirtschaftsanwälte. Unter vielen anderen sieht man auf den Tischen folgende Namensschilder: Konrad Hummler, Ex-Eigentümer der Bank Wegelin und Ex-Präsident des NZZ-Verwaltungsrats. Die Ex-SVP-Nationalräte Walter Frey und Ulrich Schlüer, der künftige SVP-Nationalrat Gregor Rutz, Gerhard Schwarz, Ex-Leiter der NZZ-Wirtschaftsredaktion, heute Direktor des Wirtschafts-Think Tanks Avenir Suisse, Paul Widmer, Historiker und Schweizer Botschafter beim Heiligen Stuhl. Viele ältere Männer: Ex-FDP-Nationalrat Jean-Pierre Bonny, Max Frenkel, Ex-NZZ-Redaktor, später rechtskonservativer Kolumnist unter anderem bei der «Weltwoche» und der BaZ. Auch Kommunikationsberater Raoul Stöhlker.
Ganz wenige Frauen sitzen im Saal. Zum Beispiel NZZ-Verwaltungsrätin Carolina Müller-Möhl, Nathalie Wappler, Kulturchefin von Schweizer Radio und TV. Nicht anwesend ist mit Christoph Blocher der Mann, der bei der BaZ hinter dem Vorhang seit fast zwei Jahren eine entscheidende Rolle gespielt hat.
Relativiertes Lob
Die Debatte beginnt sanft: NZZ-Chefredaktor Markus Spillmann erklärte sich besorgt über die Entwicklung der journalistischen Qualität. Verpackung gelte immer mehr als Inhalt. Journalisten fehle es oft professioneller Fertigkeit und Fähigkeit zur Selbstkritik. Spillmann sagt, grundsätzlich teile er die negativen Befunde in Professor Imhofs neuem «Jahrbuch Qualität der Schweizer Medien». Aber er relativiert sein Lob für den bei Verlegern und Chefredaktoren chronisch unbeliebten Professor mit der Bemerkung: Für diese Schlüsse hätte es ja keine Studie gebraucht.
SRF-Direktor Matter bleibt so unverbindlich, dass er im NZZ-Bericht am nächsten Tag keine Erwähnung findet. Roger Köppel lässt sich die Gelegenheit nicht entgehen, sich und seine «Weltwoche» wieder einmal als Retter der Demokratie und alle anderen Journalisten als faule, dumme, linke Synchronschwimmer zu beschreiben. Er decke als engagierter «Neinsager» Missstände auf und ermögliche so die demokratische Debatte. In seiner Arbeit gehe es ihm um «das Wohlergehen der Schweiz».
«Aggressive Polemik»
Während die Debatte im schon oft Gehörten dümpelt, erledigen im Saal viele Gäste auf ihren iPhones E-Mailkontakte. Das ändert sich beim letzten Referenten Constantin Seibt. Der Haupttrick von Köppel und seinem Blatt bestehe darin, immer das Gegenteil vom Mainstream zu produzieren, sagt der «Tages-Anzeiger»-Journalist. Permanent radikaler Anti-Mainstream: Fukushima existiere nicht, Widmer Schlumpf sei eine Landesverräterin undsoweiter. Meinungen seien der billigste Stoff im Journalismus, sagte Seibt. «Die wachsen einem wie die Haare.» Das beste und wichtigste am Journalismus sei die Reportage, «wenn einer oder eine beschreibt, was er oder sie gesehen oder gehört hat». Köppel in der «Weltwoche» und Markus Somm bei der BaZ zelebrierten aggressive Polemik. Bewusst werde die Welt gespalten: Auf der einen Seite die Erhellten, die ihre Sicht der Dinge teilen, alle anderen auf der anderen Seite. Somm, sagte Seibt, sei kein Journalist, sondern ein Prediger. Als besonders schlimm bezeichnete Seibt das Versteckspiel um das Eigentum an der «Basler Zeitung». So verhielten sich russische Oligarchen.
Was sie von Seibt zu hören bekamen, hat die Mehrzahl der Gäste im Saal wohl gar nicht gefreut. Aber Eindruck hat es schon gemacht, wie da einer, gewissermassen an der Jahresfeier der Medien-Auns keine Kreide schluckt, sondern loslegt und sagt, was er seit langem sieht und denkt. Eine bekannte, politisch und wirtschaftlich gutfreisinnig vernetzte Frau flüsterte ihrem fremdem Tischbachbar mitten in Seibts Vortrag ins Ohr: «Der ist aber wahnsinnig mutig.»