Für Kleinbasler, die sich immer stärker benachteiligt fühlen, hatte das Kleinbasler Urgestein Werner Blatter in seiner «Liebesklärung ans Kleinbasel» wenig Verständnis. Diesen etwas verklärten Bick kann André Auderset (LDP) nicht verstehen, der sich im Grossen Rat vor allem der Probleme dieser Stadthälfte annimmt. Eine Replik.
Lieber Werni
Man kennt und schätzt an Dir, dass Du bei allem und allen vor allem das Gute siehst. Dies ist ein sehr schöner Zug, eine beneidenswerte Einstellung – aber halt doch etwas sehr blauäugig. Oder hast Du über Deine Brillengläser noch eine rosarote Folie gezogen? Denn sonst wäre Dir auf Deinem virtuellen Spaziergang «äne am Rhy» doch das eine oder andere aufgefallen, dass nicht derart perfekt in das heile Weltbild passt.
In den Langen Erlen fängt Dein Spaziergang an – und dies ist tatsächlich eine wundervolle Erholungs-Oase, wenn man Dobermann und Co («Er will ja nur spielen!») erfolgreich aus dem Weg gegangen ist. Aber wir wollen nicht an allem herummäkeln. Danach kommst Du zum Dreiländereck und zum Rheinhafen – und landest direkt vis-à-vis vom Novartis Campus. Kleinhüningen unterschlägst (oder überfliegst) Du dabei leider. Sonst hättest Du vielleicht entdeckt, dass dieser Stadtteil mit gravierenden Verkehrs- und Lärmproblemen kämpft, an verschiedenen Ecken an einer regelrechten Verslumung leidet und die verbliebenen Kleinhüninger die Schattenseiten Deines geliebten Multikulti schmerzhaft am eigenen Leib erleben müssen. Ein Stadtteil, der sich von den offiziellen Stellen mehr denn je nicht ernst genommen fühlt. Was nicht zuletzt der Grund dafür ist, dass sich eine Minderheit radikalisiert, sich dem demokratischen Prozess verweigert und jegliche Aufwertung boykottieren will.
Wo bleibt die versprochene Aufwertung?
Wir wollen uns nun aber sputen, um Dich in der tatsächlich heimeligen Dreirosen-Buvette einzuholen. Leider nimmst Du von dort wieder den «Schoggi-Weg» entlang des Rheins zur Kaserne (und die soll bleiben, da sind wir uns einig). Wärst Du links abgebogen, hättest Du über die Klybeckstrasse schreiben müssen, die von der versprochenen Aufwertung nicht das Geringste spürt. Ich habe mal eine Informationsveranstaltung zum Thema «Sicherheit» in einem Fasnachtskeller an der Klybeckstrasse organisiert. Trotz des brennenden Themas waren nur wenig ältere Leute da. Aber nicht, weil es sie nicht interessiert hätte, wie mir viele später verrieten – sondern sie trauten sich nicht dahin mit der Begründung: «Wie kömme mir denn noochhär wider hai?» Als Mitarbeiter beim Basel Tattoo weisst Du, Werni, es selbst: Nur gerade in dieser Zeit können sich alle Leute nachts sorgenfrei zwischen Feldbergstrasse und Claraplatz bewegen, weil es dann sehr belebt ist.
Und wenn Du – statt am schönen Rhein Richtung Tinguely-Museum – an der Claramatte vorbeigekommen wärst, hättest Du von Anwohnerinnen erfahren müssen, dass sie oft ein ungutes Gefühl haben, wenn ihre Kinder dort spielen, weil es nie ausgeschlossen ist, dass eine gebrauchte Drogenspritze zum Vorschein kommt. Ganz abgesehen davon, dass sie schon ab dem Vormittag ihren Kindern erklären müssen, was eigentlich die knapp bekleideten Damen an den Parkeingängen wollen.
Ein gnadenloser Verdrängungskampf
Weitere solcher Damen hättest Du dann in überreichem Masse in der Ochsen- und Webergasse angetroffen. Es sind nicht mehr die paar «Drottwaar-Amsle», die das von Dir zu Recht verehrte Ruthli damals so sympathisch betreut hatte. Es sind Schwarzafrikanerinnen und Osteuropäerinnen, die sich, angetrieben von einer durchorganisierten Zuhälter-Mafia, einen gnadenlosen Verdrängungskampf um jeden Quadratmeter liefern.
Und wenn Du dann noch über den Claraplatz geschlendert wärst, so hätten Dir vielleicht die jungen Pfeiferinnen und Tambouren der dort ansässigen Fasnachtscliquen schildern können, wie sie sich für ihre Übungsstunden durch die Horden von afrikanischen Drogendealern den Weg zum Eingang in die «Rätz-Stadt» oder den Keller der «Antygge» bahnen müssen.
Es gibt viele schöne Seiten
Lieber Werni, ich stimme Dir zu, dass es auch viele schöne Seiten im Kleinbasel gibt – deswegen liebe ich es nicht weniger als Du. Auch ich durfte diese zupackende Hilfsbereitschaft kennenlernen, etwa, als ich vor Jahren in die Offenburgerstrasse zog und nach zehn Uhr abends schüchtern in der – notabene türkisch geführten – «Baiz am Egge» nachfragte, ob es wenigstens noch ein Sandwich gebe. Ich erhielt ein vollwertiges Menu und einen Schnaps als Willkommenstrunk obendrein – in manchem Grossbasler Restaurant wäre mir barsch «d Kuchi isch zue» beschieden worden.
Und ja, die echten «Baize» mit den entsprechenden Originalen hinter der Theke gibt es immer noch, vom «Torstübli» Nähe Wettsteinplatz über den «Schiefe» und den «Schluuch» an der Greifengasse bis hin zum «Concordia» nahe der Johanniterbrücke (Aufzählung aus Platzgründen unvollständig!). Während diese aber von der Anwohnerschaft in den allermeisten Fällen als Bereicherung angesehen werden, haben sich dazwischen, etwa in der Feldbergstrasse, «Event-Lokale» eingenistet, in denen – und vor allem: vor denen – es bis in die Morgenstunden zugeht «wie im Himmel voruss», – was für die Anwohnerschaft wiederum die reine Hölle bedeutet.
Du siehst, lieber Werni, es gibt eben (und das weisst Du doch) neben den unbestrittenen herrlichen Seiten des Kleinbasels ebenso unbestreitbare Schattenseiten – und die Schatten sind in jüngster Zeit länger und länger geworden. Diejenigen, die dies nun auch laut aussprechen, statt die Faust im Sack zu machen oder einfach wegzuziehen, darf man nicht als Stänkerer oder Ewiggestrige abtun, die sich nicht an Veränderungen gewöhnen wollen. Sie wollen nur eines: Im geliebten Kleinbasel leben zu dürfen – ohne Angst, ohne übermässigen Dreck auf den Strassen und an den Wänden – und ab und zu auch mit etwas Ruhe …