Glück lässt sich nicht im Reagenzglas testen

Mit technischen Mitteln werden angehende Eltern immer mehr dazu gedrängt, behinderte Kinder zu verhindern. Die Präimplantationsdiagnostik ist deswegen ein Schritt in die falsche Richtung.

«Sarah und Sheela sind der beste Beweis dafür, dass Glück nicht von einem überzähligen Chromosom abhängt», sagen die Eltern der Zwillings-Mädchen, wovon eines mit Trisomie 21 lebt. (Bild: DADST)

Mit technischen Mitteln werden angehende Eltern immer mehr dazu gedrängt, behinderte Kinder zu verhindern. Die Präimplantationsdiagnostik ist deswegen ein Schritt in die falsche Richtung.

Im Mai 2014 ratifizierte die Schweiz die UNO-Behindertenrechtskonvention. Sie ist ein unmissverständliches Bekenntnis für die Vielfalt – auch die genetische – und eine inklusive Gesellschaft.

Die vorgeburtliche Diagnostik läuft diesem Bekenntnis diametral entgegen. Immer früher, immer lückenloser soll eine mögliche Behinderung (insbesondere Trisomie 21) diagnostiziert werden, um danach die Konsequenzen zu ziehen. Die Zeichen von Politik und Wissenschaft an alle werdenden Eltern sind unmissverständlich: Unternehmen Sie alles technisch Machbare, um ein Kind mit Behinderung zu verhindern. 

Eine gezielte Auswahl der «Besten»

Die Präimplantationsdiagnostik (PID), über die wir am 14. Juni abstimmen, ist ein weiterer Schritt in diese Richtung. Vorgeburtliche Untersuchungen im Mutterleib (Pränataldiagnostik) sind bereits heute erlaubt. Der entscheidende Unterschied ist jedoch, dass bei der PID künstlich eine Auswahl an Embryonen erzeugt wird, um den «Besten» daraus im Labor zu selektionieren. Bei der PID geschieht die Aussortierung automatisch. Erfolgen Untersuchungen im Mutterleib, entscheidet die Frau nach gründlicher Abwägung, ob sie das Kind austragen wird. Es geht hier nicht um die gezielte Auswahl des «Besten».

Bei der PID besteht die Gefahr, den ausgewählten Embryo zu verletzen, was wiederum zu einer Behinderung führen kann. Deshalb plädieren Fortpflanzungsmediziner bereits dafür, nach einer PID zusätzlich eine Pränataldiagnostik anzuwenden, um bei einem auffälligen Befund die weiteren Schritte – also eine Abtreibung – zu überlegen. Bei diesen Paaren handelt es sich wohlgemerkt um Paare mit lange gehegtem, unerfülltem Kinderwunsch.

Die Mutter hätte ja dank vorgeburtlicher Diagnostik abtreiben können, diesen Vorwurf bekommen Paare mit behinderten Kindern häufig zu spüren.

Haben unter diesen Vorzeichen Menschen mit Behinderung überhaupt noch einen Platz in unserer Gesellschaft?

Durch die Dynamik der vorgeburtlichen Untersuchungen geraten alle werdenden Eltern unter Druck. Wenn sie sich für ihr Kind mit genetischer Besonderheit entscheiden, können sie dann in Zukunft noch auf die Solidarität der Gesellschaft zählen? Oder sehen Bekannte, Freunde und Verwandte ein behindertes Kind als «vermeidbare Last»? Die Mutter hätte ja dank vorgeburtlicher Diagnostik abtreiben können, so der Vorwurf, den Paare mit behinderten Kindern häufig zu spüren bekommen.

Da bei der Präimplantationsdiagnostik eine Auswahl an Embryonen zur Verfügung steht, zwingt sie automatisch zu einer vorgefassten Unterscheidung in lebenswertes und nicht lebenswertes Leben. Ob das Kind, zum Beispiel mit einer Trisomie 21, aber dereinst ein glückliches Leben führen wird, lässt sich nicht im Reagenzglas testen.

_
Die Autorin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Insieme Schweiz. Die Behindertenorganisation empfiehlt ein Nein für die Verfassungsänderung, über die die Stimmbevölkerung am 14. Juni abstimmt.

Nächster Artikel