Google in den Genen

Pharmafirmen und IT-Konzerne sammeln Gendaten für Medikamente.

Es geht aufwärts: Dank Pharma und Baugewerbe wächst die Wirtschaft im Grossraum Basel stärker als in der Restschweiz. (Bild: Foto: Jef Poskanzer (CC) Montage: TagesWoche)

Was bringt Pharmafirmen wie Roche mit IT-Konzernen wie Google zusammen? Sie brauchen viele Personendaten für die personalisierten Medikamente der Zukunft.

Die Pharmakonzerne versprechen uns eine rosige Zukunft. Massgeschneiderte, gentechnisch produzierte Heilmittel sollen den Krebs verhindern helfen und sogar den Alterungsprozess bremsen. Fast oder ganz ohne Nebenwirkungen. Allerdings verschweigen die Unternehmen, dass solche Medikamente wohl noch lange auf sich warten lassen werden und ­angesichts des grossen Forschungsaufwands wohl nur für sehr wenige Menschen auf der Welt erschwinglich sein dürften.

Ein regelrechtes Schnäppchen ­dagegen ist das Angebot der jungen amerikanischen Life-Siences-Firma 23andMe, die in den USA ein Patent für einen Gentest zur Selektion von Eigenschaften von Babys erhalten hat. Für 99 Dollar errechnet ein Algorithmus anhand von Speichelproben der zukünftigen Eltern, ob der geplante Nachwuchs blau- oder braunäugig, muskulös oder eher schwächlich sein wird. Ebenfalls bestimmen lassen sich Eigenschaften wie die Fähigkeit, Bitteres zu schmecken, wie sich die Haut nach Alkoholgenuss rötet oder von welcher Beschaffenheit der Ohrenschmalz des neuen Erdenbürgers sein wird.

Nebenbei erfahren die Eltern in spe dank dem Gentest auch, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für verschiedene Erkrankungen ihres Nachwuchses ist. Was viele aber nicht wissen: Ihre bestellten Gendaten verschwinden in ­einer riesigen, vernetzten Datenbank, wo sie für weitere Zwecke benutzt werden können. Inzwischen soll 23andMe bereits über die Daten von rund 400’000 Menschen verfügen.

Sammeln und auswerten

Das macht die kleine Firma auch spannend für grosse Pharmakonzerne. So erhebt 23andMe etwa für die Roche-Tochter Genentech Daten von Patientinnen und Patienten, die mit dem Krebsmedikament Avastin behandelt worden sind. Gegründet wurde das Kleinunternehmen vor sieben Jahren von der Ex-Frau des – finanziell beteiligten – Google-Mitbegründers Sergey Brin. Was haben Such­maschinenbetreiber mit den Life Sciences zu schaffen?

Die Antwort ist so naheliegend wie banal: Es geht um das Sammeln von Daten. Es geht um die Auswertung schier unerschöpflicher Datenmengen – auf der Suche nach Gesetzmäs­sigkeiten, die bisher im Verborgenen blieben. Riesige Server mit riesigen Rechnerleistungen sollen dort Erkenntnisse bringen, wo die Pharmaindustrie bisher bei ihren Forschungen an Grenzen stiess.

Die Verbindung von Roche und Google über führende Mitarbeiter ist nicht neu. Der prominente Molekularbiologe Arthur Levinson zum Beispiel war Mastermind der Krebsforschung bei der Roche-Tochter Genentech. Heute ist er Verwaltungsrat bei Roche und Präsident der von Google gegründeten Gesundheitsfirma Calico, an der Roche Interesse bekundet. So wurde etwa Roche-Verwaltungsratspräsident Franz Humer in einem Google-Blog mit folgenden Worten ­zitiert: «Wir sehen ein grosses Potenzial für eine Zusammenarbeit.»

Ungehinderter Zugriff

Gute Forschung ist für eine gute Gesundheitsversorgung unerlässlich. Das glaubt auch Gabriele Pichlhofer, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Basler Appells gegen Gentechnologie. Medikamente und Therapien können so direkt auf die betroffene Person zugeschnitten werden, womit sich auch Nebenwirkungen verhindern liessen.

Unbehagen bereitet dem Basler Appell aber der ungehinderte Zugriff auf Unmengen von Personendaten. «Wir beobachten eine Tendenz zum Aufbau von Riesendatenbanken», sagt Pichlhofer. Im Unispital Lausanne zum Beispiel habe man bereits mit dem Aufbau einer solchen Datenbank begonnen.

Verschiedene andere, zum Teil staatliche, zum Teil private Organisationen sind ebenfalls im Begriff, ­solche Gesundheitsdatenbanken aufzubauen. Auch das Basler Kantons­spital wollte im Rahmen eines ­Forschungsprojekts eine solche Gen­datensammlung für Neugeborene erstellen, scheiterte aber an der mangelnden Teilnahmebereitschaft der Bevölkerung.

Ein paar Klicks und man ­bekommt ein Gentest-Kit.

Doch nicht nur Gendaten sind interessant für die Industrie. Die genetische Veranlagung sei nur ein Faktor bei Erkrankungen, so Pichlhofer: Umwelteinflüsse, Erziehung, Ernährung und Stress und unzählige weitere Faktoren seien ebenso wichtig. Zu ­solchen Daten hat die Pharmaindustrie bislang grösstenteils keinen Zugang – dafür aber Internetkonzerne wie Google.

Doch mit dem Datensammeln allein ist es nicht getan. Die Informationen müssen auch nutzbringend zusammengeführt und verarbeitet werden können. Dies geschieht durch Algorithmen. Diese sind heute so komplex und produktiv, dass sie selbstlernende Computerprogramme steuern und sogar zur Vorhersage von Wetter- oder Börsenentwicklungen eingesetzt werden können. «Für so ­etwas braucht es eine enorme Rechnerleistung», sagt Pichlhofer. «Die Zusammenarbeit von Pharma und IT ist also praktisch unabdingbar.»

Die Kumulation von Daten und Rechnerleistung ist exponentiell. Rechner werden immer schneller und die Mengen verfügbarer Daten immer grösser. Heute kann man problemlos per Internet einen Gentest bestellen. Ein paar Klicks durch die Suchmaschine (in der Regel Google), die Kreditkartennummer eingeben – und man bekommt ein Gentest-Kit heimgeschickt. Dank einer Speichelprobe erfährt man in Kürze, ob man zu einer bestimmten Risikogruppe gehört. Die US-Schauspielerin Angelina Jolie hat sich aufgrund eines solchen Tests ihre Brüste amputieren lassen.

Das ist auch für die Befürworter der Gentechnologie in der Medizin eine beunruhigende Entwicklung. Bei den Ergebnissen solcher Tests handelt es sich gemäss Pichlhofer nämlich immer nur um Risikowahrscheinlichkeiten: «Die einzelnen Ergebnisse sagen meist gar nichts aus. Es gibt keine Beratung, wie man die Risiken, zum Beispiel mit weniger radikalen Methoden, mindern kann. Und kein Mensch weiss, wo seine Daten landen. Aller Wahrscheinlichkeit nach bei der Pharmaindustrie.»

 

Nützen Gendatenbanken der Bevölkerung?In der Wochendebatte diskutieren Daniel Stolz, FDP-Nationalrat BS, und Gabriele Pichlhofer, Basler Appell gegen Gentechnologie (Seite 18). Reden Sie mit auf tageswoche.ch/wochendebatte

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 11.10.13

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