In die Hosentasche haben wir Computer schon gelassen, nun will Google noch näher an den Menschen ran: mit einer Brille mit Bildschirm und integrierter Kamera. Andere haben bereits weiter gedacht.
Ein Chip hinter dem Ohr zeichnet alles auf, was die Augen sehen. Die Augen werden zu Kameras, die das eigene Leben als Dok-Film festhalten. Jederzeit kann man Szenen aus der Vergangenheit nochmals abspielen, direkt auf der eigenen Netzhaut oder auf einem beliebigen Bildschirm.
Diese Erfindung steht im Zentrum von Charlie Brookers Dystopie «The Entire History of You», dem dritten Teil der Mini-Serie «Black Mirror». Der Zuschauer erfährt nicht, wie weit in der Zukunft Brooker das Geschehen angesiedelt hat. Dass er nicht jahrzehnteweit in die Zukunft denkt, lässt sich aber daran ablesen, dass ansonsten alles sehr vertraut aussieht; so wie wir die Welt heute kennen.
Bestätigt wurde Brooker wenige Monate, nachdem der Film erstmals ausgestrahlt worden war. Google machte vor einem Jahr sein «Project Glass» publik: eine Brille mit integrierter Kamera, die alles sieht, was der Träger sieht und ihn direkt vor dem rechten Auge mit Informationen versorgt.
Vergangene Woche nun hat Google die Brille in einem Video vorgestellt und ersten Testern zur Verfügung gestellt (der bislang beste Bericht stammt vom Technologiejournalist Joshua Topolsky auf «The Verge»). Bis Ende Jahr soll die Brille in den freien Verkauf kommen, für rund 1500 Dollar.
Kombiniert man das, was man nun als Google Glass bereits sehen kann mit früheren Aussagen der Google-Gründer und dem jüngst zu Google gestossenen Futuristen Raymond Kurzweil, dass das Gehirn dereinst direkt mit dem Internet verbunden sein wird, so scheint Brookers Vision tatsächlich nur noch eine Frage der Zeit. Mit dem Unterschied freilich, dass Google das böse Ende von «The Entire History of You» in seinem Skript nicht vorgesehen hat.
Reise zum Mittelpunkt des Menschen
Die Idee von Google Glass besteht darin, den Menschen noch unmittelbarer als zurzeit mit dem Smartphone mit Informationen zu versorgen und mit seiner Umwelt kommunizieren zu lassen. Die technischen Hilfsmittel setzen damit ihre Reise zum Mittelpunkt des Menschen konsequent fort: Vom Schreibtisch auf den Schoss, in die Hosentasche, mitten ins Gesicht. Von da aus geht es dann nur noch nach innen weiter.
Auch Apple, das mit dem iPhone den Entwicklungsschritt hin zum Computer in der Hosentasche, ausgelöst hat, wird den nächsten Schritt machen wollen und müssen. Anders als Google wird Apple auf dem Weg ins Gesicht des Konsumenten aber möglicherweise einen Zwischenhalt einlegen. Gerüchteweise – Apple gibt traditionell nie bekannt, welche Produkte in Entwicklung sind – arbeitet Apple an einer Uhr mit Smartphone-Funktionalität.
Warum Apple anderes plant
Auch wenn es sich vorerst nur um ein Gerücht handelt: Das Vorgehen würde zu Apple passen, genauso wie die Brille zu Google passt. Google hat es sich zur Aufgabe gemacht, an vorderster Front die Grenzen der technischen Möglichkeiten auszuweiten (etwa auch mit seinen komplett computergesteuerten Autos). Apple dagegen ist bekannt dafür, Produkte genau dann zu lancieren, wenn der Massenmarkt bereit dafür ist.
Apples Annahme dürfte also sein, dass für viele Menschen eine technisch hochgerüstete Brille (noch?) zu futuristisch-beängstigend ist (wie auch Nick Bilton in der New York Times schreibt). Und dass der Weg näher an den Menschen über das Handgelenk funktionieren könnte, wo der Mensch seit Jahrzehnten ohne Bedenken Technik an seinen Körper lässt.
Der Wert des Gesehenen
Früher oder später wird aber auch Apple auf Augenhöhe mit den Konsumenten gehen wollen, um zu sehen, was sie sehen. Mit dem Blick des Menschen kommt eine mächtige neue Dimension an Information hinzu, die das Gerät verarbeiten kann. Die Brille weiss nicht nur wie ein Smartphone, wo auf der Welt sie sich befindet, sondern was sich unmittelbar vor ihr abspielt.
Google legt mit Glass sein Augenmerk vorerst auf den Moment. Die Brille zeigt Informationen in Echtzeit an, wenn sie relevant sind (siehe Beispiele im Video oben).
Der Fluch des Gesehenen
Brooker denkt einen Schritt weiter. Wenn jeder Moment erfasst wird, kann er auch gespeichert werden. «The Entire History of You» lotet sehr geschickt aus, was es mit einem Menschen macht, wenn die Vergangenheit nie ruht, sondern als Videobeweis jederzeit abrufbereit hinter dem Ohr liegt. Am Ende reisst sich der Protagonist den Chip mit einer Zange aus der Haut.