Grossrat will Randständige vom Claraplatz verbannen

Pünktlich zum Sommerloch wird eine Sitzbank zum Politikum: Der Basler LDP-Grossrat André Auderset holt zum Rundumschlag gegen Randständige aus – obwohl sich kaum jemand von ihnen gestört fühlt.

Gemeinsames Trinken und Plaudern: Randständige treffen sich auf dem Claraplatz gerne beim «Sarg». (Bild: Hans-Jörg Walter)

Pünktlich zum Sommerloch wird eine Sitzbank zum Politikum: Der Basler LDP-Grossrat André Auderset holt zum Rundumschlag gegen Randständige aus – obwohl sich kaum jemand von ihnen gestört fühlt.

Leere Bierdosen sind auf dem klobigen Metallkasten ausgebreitet. Von der trinkfreudigen Gruppe wird der Schreibende zunächst skeptisch gemustert und gefragt, ob er ein Polizist sei. Schliesslich aber erzählen die Anwesenden gerne von ihrem liebsten Treffpunkt. «Bei uns nennt man diese Sitzbank einfach den Sarg», meint Andreas* schmunzelnd und nimmt einen Schluck «Prix Garantie»-Bier. Der Mann nimmt es mit Galgenhumor. «Vielleicht hat es da eine Alkoholleiche drin», fügt er an.

Begeistert ist er nicht gerade von der Sitzgelegenheit mit dem makabren Spitznamen – er findet sie zu schmutzig. Seine Kollegin Anna, eine Frau im Rollstuhl, kommt dagegen sehr gerne hierher. An anderen Orten fühle sie sich zu ausgestellt, an diesem Platz schätze sie jedoch den Schutz durch die Gruppe. «Zudem ist der Denner gleich nebenan», sagt sie, während sie Billigwein aus der Flasche trinkt; 60 Franken pro Woche müssten schliesslich reichen.

Bestens bekannte Szene

Die Randständigen, die sich täglich bei der überdachten Sitzbank auf dem Basler Claraplatz für gemeinsames Trinken und Plaudern treffen, sind in Basel bestens bekannt. Schon vor etlichen Jahren hat sich die überdachte Sitzbank als Stammplatz etablieren können. Auch nach dem Umbau des Tramhäuschens im Jahr 2009 konnte sich der Treffpunkt mit dem neu errichteten «Sarg» halten.

Erst jetzt aber wird er zu einer politischen Angelegenheit. In einer schriftlichen Anfrage an den Regierungsrat weist André Auderset auf «unerwünschte Gruppierungen» hin. Der LDP-Grossrat bemängelt, dass der Ort von «Personen aus der Alkoholiker- und Drogenszene» belegt würde. Ferner erwähnt er die immer wieder thematisierten «dealenden Schwarzafrikaner». Die Fasnachts-Cliquen «Rätz» und «Die Antygge», die gleich daneben ihre Keller haben, seien sogar gezwungen, für die übenden Jungen einen Begleitservice zur Tramhaltestelle zu organisieren, um sie vor Belästigungen durch «Drögeler und Dealer» zu schützen.

«Es erstaunt mich, dass Auderset unseren Vereinsnamen nennt.»

«Rätz»-Obmann Felix Stohler

Felix Stohler, Obmann des Rätz-Stammvereins, ist überrascht, dass seine Clique als Kronzeuge für solche Aussagen herhalten muss. «Es erstaunt mich, dass Auderset unseren Vereinsnamen nennt, obschon er noch nie mit mir Kontakt aufgenommen hat», sagt er. Den drastischen Schilderungen im politischen Vorstoss kann er nicht zustimmen: «Ein solcher Begleitservice besteht nicht», sagt Stohler.

Natürlich würden manche Eltern ihre Kinder von den Pfyffer- und Trommelstunden abholen, was aber etwas völlig Normales sei. Mit den Alkoholikern ist die Clique seines Wissens noch nie ins Gehege gekommen. «Es gibt dort Leute, die nicht gerade leise sind, doch wir wurden noch nie belästigt», sagt der Obmann. Die Cliquenanlässe finden ohnehin oft erst am Abend statt, wenn sich die Trinkenden kaum mehr dort aufhalten. Auch die erwähnten Dealer legen sich nicht mit den Fasnächtlern an: «Mittlerweile wissen die, dass sich dort ein Vereinslokal befindet, und halten Abstand», sagt Felix Stohler.

Alle in einen Topf geworfen

André Auderset erwidert, dass er sich auf einzelne Mitglieder beider Cliquen bezogen habe. Von den «Antygge» konnte niemand erreicht werden, wohl aber der besagte Zeuge der «Rätz». Auch er zeigt sich überrascht. «Ich weiss auch nicht, weshalb André Auderset darauf kommt», meint er. «Nur einmal wollte einer der Alkoholiker bei uns in der ‚Rätz-Stadt‘ etwas zum Trinken suchen, worauf ich ihn höflich zurückwies», erinnert er sich. Auch ihm ist kein Begleitservice bekannt. Allerdings weist er darauf hin, dass manche seiner Kollegen schon ein mulmiges Gefühl hätten, zu später Stunde den Claraplatz zu überqueren.

Die als «unerwünscht» Bezeichneten wissen dagegen sehr wohl von diesem politischen Vorstoss – so zum Beispiel Marc, der mit seinen 30 Jahren zu den jüngeren Leuten gehört. Besonders getroffen hat ihn, dass er und seine Kollegen in einem Atemzug wie die Drogenhändler genannt werden. «Wir trinken hier unser Bier, sind aber keine Dealer», betont er.

Während die mutmasslichen Dealer eher am Abend aufkreuzen, halten sich die Alkoholiker meistens tagsüber dort auf. «Manche kommen morgens, wenn sie die Notschlafstelle verlassen müssen», sagt Anna. Wie der «Stammgast» Urs erklärt, ziehen die Versammelten meistens am frühen Abend ab. Auch er will nichts mit der Drogenszene zu tun haben: «Junkies werden von uns weggeschickt.»

«Natürlich vermischt sich die Drogen- mit der Alkoholszene.»

André Auderset.

Für André Auderset ist das nicht der springende Punkt. «Natürlich vermischt sich die Drogen- mit der Alkoholszene», meint er. Der LDP-Grossrat kehrt gelegentlich beim «Schiefen Eck» ein und wirft von dort aus ein Auge auf die Gruppe beim Tramhäuschen. «Es gesellen sich dort auch Leute dazu, die ich schon beim Gassenzimmer gesehen habe», sagt er. «Den Passanten, die belästigt werden, dürfte es aber egal sein, aus welcher der beiden Szenen das nun kommt.» In seinem Vorstoss schlägt er vor, die berüchtigte Sitzbank durch Blumentröge zu ersetzen oder ein Wasserspiel aufzustellen, um den Platz für die «normale Bevölkerung» aufzuwerten.

Wenn der «Sarg» weg ist, dürfte jedoch das Problem nicht einfach verschwinden. «Dann sitzen wir halt einfach um den Brunnen herum», meint etwa Urs. Anders sieht es Anna: «Wir würden einfach woanders hingegen– etwa zum Bahnhof SBB.»

Mit der Verdrängung dürfte sich also der Treffpunkt einfach verlagern. Dennoch sieht Auderset Handlungsbedarf. Er hält es für wünschenswert, dass sich die Szene etwas mehr verteilt. Störend findet er zudem, dass sich die Randständigen immer mitten auf dem Platz versammeln müssen, gleich bei den Läden und Arztpraxen. «Auch diese Leute müssen an gewisse Regeln erinnert werden», betont der Grossrat.

Weshalb aber kommt der Vorstoss erst jetzt, wenn doch der Treffpunkt beinahe zum «Claraplatz-Inventar» gehört? Auderset ist sich dessen bewusst, findet aber, dass sich die Situation in den letzten Monaten verschlimmert habe. «Kürzlich hat mir ein Arzt, der gleich nebenan seine Praxis führt, bestätigt, dass bei diesen Leuten die Aggressivität gestiegen ist», sagt er.

Gassenarbeit will vermitteln

In diesem Punkt ist sich Marc einig mit dem Politiker: In der Tat sei es kürzlich zu einem Handgemenge gekommen. «Zwei von uns haben um ein Feuerzeug gezankt», erzählt er. Wie er erklärt, handle es sich vor allem um Auseinandersetzungen innerhalb der trinkenden Gruppe, aber nicht um Attacken gegen Passanten – es sei denn, man empfindet das gelegentliche lautstarke Grölen dort als Belästigung.

Die Kioskverkäuferin von nebenan kann das bestätigen. Seit vier Jahren arbeitet sie neben dem Treffpunkt. «Es ist eine Katastrophe», sagt sie seufzend. «Zu mir sind die Leute sehr nett und sie respektieren den Kiosk, doch untereinander haben sie oft Krach. Aber sie müssen ja irgendwo einen Platz finden.»

Auch beim Verein für Gassenarbeit Schwarzer Peter ist man sich bewusst, dass die Situation nicht einfach mit einer Verdrängung gelöst werden kann. «Es handelt sich um Leute mit unterschiedlichen Hintergründen», sagt Co-Leiter Tobias Hochstrasser. «Kollektivstrafen machen daher keinen Sinn. Man muss die Personen einzeln anschauen», hält der Gassenarbeiter fest. Keineswegs möchte er die Probleme negieren, wie das André Auderset dem Verein vorwirft. Es sei in den letzten zehn Jahren mit den Umgestaltungen wie etwa am Bahnhofsplatz, beim Theodorsgraben und in der Elisabethenanlage enger geworden für die Betroffenen, gibt Hochstrasser zu bedenken. Daher kämen sich die Leute an Orten wie dem Claraplatz vermehrt in die Quere.

Vonseiten der Gassenarbeit schlägt man deshalb den Dialog vor. Bald soll an einem Runden Tisch zusammen mit den Gewerbevertretern die Situation am belebten Platz geklärt werden.


*Alle Namen der Redaktion bekannt.

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