Vor 80 Jahren kam Bata nach Möhlin. In der Schweiz schlug dem Schuhproduzenten heftiger Widerstand entgegen, angeführt vom Schweizer Hersteller Bally.
Heute geschieht da, wo vor 80 Jahren die Schweizer Schuhindustrie von Grund auf neu gedacht wurde, nicht mehr viel. In der ehemaligen Fabriksiedlung in Möhlin hat sich ein Immobilien-Bewirtschafter eingerichtet. Doch in den 30er-Jahren, am Vorabend des Zweiten Weltkriegs, fand auf dem Gelände eine regelrechte industrielle Revolution statt – die in der Schweiz auf erbitterten Widerstand stiess.
Der Historiker Tobias Ehrenbold hat sie zum Jubiläum in einem akribisch recherchierten und reichhaltig bebilderten Werk nachgezeichnet. Es erzählt vom Schuhunternehmer Thomas Bata, der vom slowakischen Zlin aus die Welt eroberte – mit seinen Gummischuhen und einer neuen Unternehmensphilosophie. Bata verlangte von seinen Arbeitern brutale Effizienz und zugleich volle Loyalität zu ihm als Arbeitgeber.
Er verdankte es mit einer modernen Entlöhnung und einer Fürsorge, die jener von Novartis auf dem Campus in Basel ähnelt. Zu den Fabriken zählten Wohnhäuser, Turnhallen, Schulen, Shops. Im Fokus aber stand das neue Arbeitsmodell. Bata liess Schuhe nähen wie Ford Automobile bauen. In Möhlin errichtete der Konzern eine durchrationalisierte Fabrik, die bis 1990 Schuhe herstellte. Die Dauer jedes Arbeitsschritts wurde mit der Stoppuhr gemessen. Arbeitete eine Abteilung schneller als die Standardzeit, erhielt sie eine Gewinnbeteiligung. Blieb sie unter dem Soll, mussten die Abteilungsleiter einen Teil des Verlusts bezahlen. Den Druck gaben sie an die Arbeiter weiter, die so lange am Band stehen mussten, bis das Ziel erreicht war.
Kommunisten und Frontisten vereint gegen Bata
Der Widerstand gegen Bata war von Beginn weg gross: Kommunisten protestierten gegen die «kapitalistische Ausbeutung», Frontisten gegen den «tschechoslowakischen Eindringling». Bata hielt dagegen, liess am 1. Mai tausend Menschen durch Möhlin marschieren, die mit Transparenten für «Schweizer Gummischuhe» warben. Bata war zu diesem Zeitpunkt der einzige Produzent von Gummischuhen in der Schweiz. Noch vor dem Bau der Fabrik liessen die Behörden durchblicken, dass Bata nicht willkommen sei in der Schweiz. Als ein Schweizer Mittelsmann versuchte, Arbeitsbewilligungen zu beschaffen, beschied ihm die Fremdenpolizei in Bern, dass «kein Schwanz hereingelassen wird».
Wer ein Interesse daran hatte, Bata zu verhindern, war bald klar: der bislang unangefochtene Branchenleader Bally. Mit allen Mitteln bekämpfte Bally den Billigproduzenten, der es fertig brachte, dank seiner Effizienz ein paar Schuhe für zwei Franken zu verkaufen, was dem Preis von sechs Litern Milch entsprach – und die Konkurrenz um ein Mehrfaches unterbot.
Angst vor dem Gummischuh
Unter der Führung von Bally und unter Billigung des Bundesrats organisierte die Branche einen Boykott und verbot jede Zusammenarbeit mit Bata. 1934 erliess der Bundesrat ein Gesetz, das den Neubau und die Vergrösserung von Schuhfabriken untersagte, gewährte aber Bally Ausnahmen. Bally seinerseits bestellte bei der ETH Zürich eine Studie, in der Gummischuhe aus hygienischen Gründen «als Landesgefahr» bezeichnet wurden. Die NZZ legte publizistisch nach und befand, nur der Lederschuh habe eine «Existenzberechtigung in der Schweiz».
Erst der Krieg liess die Angriffe verebben – nicht aus Solidarität, sondern aus reiner Profitgier: Eine Grossbestellung von 800 000 Schuhen nach Nazi-Deutschland liess Bally schliesslich mit Bata zusammenarbeiten.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 19.10.12