Mit Gesichtserkennungssoftware könnte der Detailhandel sein Geschäft weiter personalisieren. Doch Datenschützer warnen.
Man stelle sich vor, man geht in einer fremden Stadt in einem Geschäft einkaufen, in dem uns ein unbekannter Verkäufer mit Namen anspricht. Wenn man nicht gerade David Beckham oder Woody Allen heisst, die solch eine VIP-Behandlung gewohnt sind, klingt das zunächst einmal komisch. Und auch irgendwie unheimlich. Doch in naher Zukunft könnte das Szenario Realität werden.
Der japanische Technologieriese NEC und die kalifornische Firma FaceFirst entwickeln Gesichtserkennungssysteme (zu den FAQ des Systems), bei denen Kameras die Kunden am Eingang identifizieren. FaceFirsts Software erfasst die biometrischen Erkennungsmerkmale und gleicht sie mit Fotos aus dem Internet ab. Auf der Seite von FaceFirst heisst es: «Die öffentlichen Datenbanken enthalten 1,3 Milliarden Fotos von Individuen.»
Was mit öffentlicher Datenbank gemeint ist, ist klar: das soziale Netzwerk Facebook. 1,3 Milliarden Menschen sind dort angemeldet, die meisten mit Klarnamen und Profilbild. Wenn ein Geschäft zum Beispiel 10’000 Likes auf Facebook verzeichnet, kann die Software einen Abgleich mit den dort gespeicherten Profilfotos machen und so feststellen, ob sich darunter ein Kunde im Laden befindet. Das Personal bekommt dann einen Hinweis. «Guten Tag, Herr XY, schön, dass Sie bei uns sind! Sie bekommen heute 20 Prozent auf alles!» Psychologisch ist das clever: Der Kunde fühlt sich persönlich angesprochen – und ein bisschen VIP.
«Guten Tag, Herr XY, schön, dass Sie bei uns sind! Sie bekommen heute 20 Prozent auf alles!»
Gesichtserkennung kann auch dazu dienen, das Geschlecht und Alter der Kunden zu bestimmen. Der Lebensmittelhersteller Mondelez International arbeitet an intelligenten Regalen («smart shelves»), die Kunden zielgruppengerechte Nachrichten anzeigen. Die Regale, die 2015 erstmals im Kassenbereich von US-Supermärkten aufgestellt werden sollen, verfügen über Sensoren, die demografische Informationen wie etwa das Alter des Käufers erkennen.
Die Technologie könnte zum Beispiel eine Frau mittleren Alters erkennen und ihr Werbung für Lippenstift unterbreiten. Das System könnte zudem anzeigen, wie viele Kalorien die anvisierte Limonade hat. «Zu wissen, dass ein Konsument Interesse an einem Produkt hat, gibt uns die Möglichkeit, auf ihn in Echtzeit einzugehen», sagte Mondelez-Chef Mark Dajani dem Wall Street Journal. «Wenn die Leute vorbeilaufen, ist das eine vertane Chance. Wir müssen wissen, wie sich der Kunde im Geschäft verhält.»
Die Verschmelzung von Online- und Offline-Shopping
Der britische Einzelhandelskonzern Tesco setzt an seinen Tankstellen eine Software namens OptimEye ein, die die Augen der wartenden Kunden nach Alter und Geschlecht analysiert und dann auf einem Bildschirm an der Kasse massgeschneiderte Werbung anzeigt. Zum Beispiel an Männer die Erinnerung «Morgen ist Valentinstag», um sie zum Kauf von Last-Minute-Geschenken zu animieren.
Die Beispiele zeigen einen Trend: Die Verschmelzung von Online-und Offline-Shopping. In amerikanischen Kaufhäusern werden reihenweise Beacons installiert, Minisender, die Smartphones orten und dem Nutzer Rabatte anbieten. In Zürich-Wiedikon («Wiedikon Valley») wird die Beacon-Technologie in einem Pilotprojekt bereits getestet (bis März 2015).
Der Passant erhält auf sein Handy Informationen zum Geschäft, an dem er gerade vorbei geht. Das Online-Auktionshaus Ebay hat kürzlich ein Konzept für «smart stores» präsentiert, in denen der Kunde an einem interaktiven Spiegel verschiedene Kleidungsstücke kombinieren und so virtuell das passende Outfit zusammenstellen kann. Die Geschäfte sollen die Kunden über eine mobile App erkennen, sodass die Mitarbeiter wissen, wer gerade den Laden betritt.
Echtzeit-Analyse vom Kaufverhaltenw
Die smarten Stores sollen zudem mit Kameras ausgestattet werden, die das Kaufverhalten der Kunden in Echtzeit analysieren können – anonym, wie Ebay betont. Brian E. Mennecke, Professor für Management-Informationssysteme an der Iowa State University, sagt im Gespräch mit der TagesWoche: «Die meisten Unternehmen sind an Big Data-Lösungen interessiert, weil sie individuelles Verhalten mit der Identität verknüpfen wollen.»
«Das Gesicht kann man nicht verdecken.»
Die Technik wirft privatrechtliche Probleme auf. «Das Gesicht ist für die soziale Interaktion so bedeutsam, dass man es im Gegensatz zu anderen biometrischen Daten wie Fingerabdrücken nicht einfach verdecken kann», sagt Mennecke. «Sobald jemand auf Grundlage des Gesichts genügend Daten zur Identifizierung hat, gibt es keinen Ausweg.» Fakt ist: Das Einkaufserlebnis wird personalisierter. Gut möglich, dass uns der Verkaufsberater in Zukunft mit dem Namen anspricht. Ob das allerdings verkaufsfördernd ist, bleibt fraglich.