Hä, AKW rentieren nicht mehr? Kann mir das mal jemand erklären? Ja, voilà

Stauseen im Ausverkauf, bettelnde AKW-Betreiber und brisante Enthüllungen: Diese Woche wurde viel Dampf um den Schweizer Strommarkt gemacht. Die wichtigsten Fragen und Antworten – plus Leserfrage.

Die Gewinne privat, die Verluste dem Staat: So hätten es die unrentablen AKW jetzt gerne.

(Bild: Nils Fisch)

Stauseen im Ausverkauf, bettelnde AKW-Betreiber und brisante Enthüllungen: Diese Woche wurde viel Dampf um den Schweizer Strommarkt gemacht. Die wichtigsten Fragen und Antworten – plus Leserfrage.

Warum machen AKW gerade jetzt überall Schlagzeilen?

Den medialen Sturm ausgelöst haben zwei gleichzeitige Ereignisse: Der Stromkonzern Alpiq wies schlechte Zahlen aus, und die «Basler Zeitung» veröffentlichte einen Artikel, der brisante Lobby-Arbeit publik machte. Bei der ganzen Sache wird allerdings viel kalter Kaffee neu aufgewärmt.

Die Alpiq veröffentlichte letzten Montag ihr miserables Geschäftsergebnis. Die präsentierten Zahlen zeigen, was man seit Jahren weiss: So günstig, wie die Preise auf dem europäischen Strommarkt sind, können die Atom- und Wasserkraftwerke ihren Strom gar nicht produzieren. Darum will die Alpiq unrentable Wasserkraft-Anteile verkaufen.

Am gleichen Tag hat die BaZ ein Papier veröffentlicht, das ein Lobbyist für die Alpiq geschrieben hat. Laut diesem Papier, das ein Insider der BaZ zuspielte, soll gezieltes Lobbying das politische Terrain ebnen, um die Alpiq als «too big to fail»-Unternehmen zu positionieren. Markteingriffe und Staatskrücken sollen in der Folge die Alpiq retten. Die Forderung: Unrentable Atomkraftwerke in eine staatliche Auffanggesellschaft ausgliedern.

Auch dieser Vorschlag ist nicht neu. Das Gleiche schlug der Basler SP-Mann und Energieexperte Ruedi Rechsteiner schon vor einem Jahr in einer Studie vor, um den Atomausstieg zu beschleunigen.

Warum rentieren die AKW denn nicht mehr?

Bis 2008 wuchs in Europa die Wirtschaft, und damit stieg auch der Stromverbrauch. Das verleitete die Stromkonzerne, ihre Produktion auszubauen. Alpiq, BKW und Axpo zum Beispiel investierten fleissig in Gas-und Kohlekraftwerke im Ausland – und setzten damit viel Geld in den Sand. Gleichzeitig förderten europäische Staaten Wind- und Solarkraftwerke, und zwar mit kostendeckenden Einspeisevergütungen (KEV). Beides zusammen erhöhte die Kapazitäten zur Stromproduktion.

Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise brach jedoch ab 2008 auch die Nachfrage ein. Die Folgen: Riesige Überkapazitäten, auch «Stromflut» genannt. Das trieb die Preise auf dem Strommarkt unter die Produktionskosten von Gaskraftwerken, und später auch von Atom- und Wasserkraftwerken. Die billige Kohle bestimmt heute den tiefen Marktpreis von Bandstrom – also den Preis von der Leistung, die im Versorgungsgebiet andauernd benötigt wird.

Ein schneller Ausstieg aus der Atom- und Kohlekraft würde die Situation sofort entschärfen. Aber solange mit den tiefen Preisen auf dem Strommarkt die Betriebskosten von Kohle- und Atomkraftwerken noch gedeckt werden können, will niemand diese unrentablen Werke vom Netz nehmen.

Wie jetzt, die Kosten können trotz tiefer Marktpreise also doch gedeckt werden? 

Nein, es ist so: Die Vollkosten setzen sich zusammen aus fixen und variablen Kosten. Die Fixkosten fallen immer an, ob die Anlage läuft oder stillsteht. Bei einem AKW sind das insbesondere:

  • die Amortisation der Investitionen
  • die Verzinsung des investierten Kapitals und
  • die Einzahlungen in die Fonds, mit denen der Abbruch des AKWs und die Beseitigung des Atommülls finanziert wird. 

Daneben gibt es variable Produktionskosten respektive Betriebskosten. Die fallen nur an, wenn das AKW läuft. Dazu gehören insbesondere die Kosten des Atombrennstoffes (Uran) und die Löhne des Betriebspersonals.

Wenn der Marktpreis zum Beispiel drei Rappen/kWh beträgt, die variablen Kosten nur zwei, dann lohnt es sich, das AKW zu betreiben, obwohl die Vollkosten von beispielsweise fünf Rappen nicht voll gedeckt werden.

Wie kommen die Kraftwerkbetreiber auf die Idee, dass der Staat eingreifen sollte?

Wenn die Preise steigen, fordern alle Produzenten mehr Markt. Wenn die Preise sinken, verlangen sie Staatskrücken. Damit folgen die Vertreter der Wirtschaft einem altbewährten Prinzip: Die Gewinne privat, die Verluste dem Staat.

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Die Gewinne privat, die Verluste dem Staat: So hätten es die unrentablen AKWs jetzt gerne.

Die Gewinne privat, die Verluste dem Staat: So hätten es die unrentablen AKW jetzt gerne. (Bild: Nils Fisch)

betteln um Abwrack-Subventionen

Ich dachte, nach Fukushima würden wir sowieso aus dem Atomstrom aussteigen.

Der Bundesrat und das Schweizer Parlament haben zwar verboten, neue Atomkraftwerke zu bauen. Beide lehnten es aber ab, die Laufzeit der bestehenden Atomkraftwerke zu beschränken. Die Stromfirmen wollen darum ihre alten Atomkraftwerke möglichst lange weiter melken – zumindest solange sie ihre variablen Kosten noch decken können und nicht zu neuen, teuren Reparaturen gezwungen werden.

Mit einem Ja zur grünen Atomausstiegs-Initiative könnte das Schweizer Stimmvolk die Laufzeit aller inländischen Atomkraftwerke auf 45 Jahre begrenzen. Damit müsste auch die Energiestrategie 2050 griffiger formuliert, die Energiewende beschleunigt werden.

Die Alpiq verkauft ja auch Wasserkraftwerke, weil sie «zu teuer» sind. Lohnt sich denn irgendeine Stromproduktion noch?

Atom-, Kohle- und Wasserkraftwerke können ihre variablen Kosten – wie erwähnt – noch decken, nicht aber die fixen Kosten. Bei den heutigen Überkapazitäten und tiefen Preisen auf dem – vielfältig verfälschten – Strommarkt gibt es heute tatsächlich keine Form von Stromproduktion mehr, die ohne Subventionen rentabel wäre.

Steigen unsere Strompreise nicht ständig?

Da muss man unterscheiden: Grossverbraucher und Strom-Verteilwerke profitieren von den Marktpreisen, die seit Jahren sinken. Aber Kleinverbraucher – zum Beispiel Haushalte oder Firmen, die wenig Strom brauchen – haben heute keinen Zutritt zu diesem Markt. Sie zahlen den Monopoltarif ihres Lieferanten. Weil das so ist, versuchen die Stromfirmen, ihre Marktverluste mit möglichst hohen Stromtarifen im Monopol und hohen Netztarifen zu kompensieren. Die Aufsichtsbehörde ElCom sollte allerdings dafür sorgen, dass die Stromfirmen diese Monopole nicht missbrauchen.

Die Stromtarife in der Schweiz haben schon immer sehr stark geschwankt, je nach Region und Verbrauchsmuster. Im Schnitt sind sie aber in den letzten zehn Jahren plus/minus stabil geblieben. Anders im übrigen Europa, wo alle Verbraucher Zutritt zum liberalen Markt haben: Da haben höhere Abgaben für die kostendeckende Einspeisevergütung für Solar- und Windstrom die tieferen Marktpreise kompensiert und zum Teil überkompensiert.

Allgemein gilt: Wenn man bedenkt, welches Naturkapital die heutige Energieversorgung mit Erdöl, Erdgas, Atom- und Kohlestrom aufwendet, welche Risiken eingegangen und Umweltschäden verursacht werden, dann sind unsere Energiepreise nicht zu hoch. Sie sind zu tief. Ökologisch bewusste Ökonomen fordern deshalb seit Jahrzehnten eine griffige Energie-Lenkungsabgabe. Bisher allerdings vergeblich.

Leser fragen – Energieexperte Guggenbühl antwortet

Guten Tag Herr Guggenbühl

Ich kann nicht verstehen, wieso die Wasserkraft nicht konkurrenzfähig sein soll. Diese Kraftwerke sind doch schon längst abgeschrieben, und einen Energierohstoff brauchen sie für den Betrieb auch nicht. Sind denn die Wasserzinsen an die Standortgemeinden zu hoch?

Mit freundlichen Grüssen P. Gass

Sehr geehrter Herr Gass,

Die – ausgewiesenen – Gestehungskosten der Schweizer Wasserkraftwerke schwanken stark, im Extremfall zwischen ca. 3,0 bis schätzungsweise 12,0 Rappen/kWh, je nach Kraftwerk und Kalenderjahr. Das zeigen Geschäftsberichte der vielen Partnerwerke in der Schweiz. Die mittleren Gestehungskosten (Betriebskosten plus Fixkosten) der Schweizer Wasserkraftwerke schätze ich heute auf 6 Rappen/kWh. Davon entfallen im Mittel 1,2 Rappen auf die Wasserzinsen, also das Entgelt für die Primärenergie namens Wasserkraft. Diese Entschädigung rechtfertigt sich, denn Betreiber von Kohle- oder Gaskraftwerken erhalten die Primärenergie Kohle und Gas auch nicht gratis.

Nun zu Ihrer Frage: Die Baukosten vieler alter Wasserkraftwerke sind tatsächlich weitgehend abgeschrieben, jene von neueren Kraftwerken aber noch nicht. Zudem fallen auch bei alten Wasserkraftwerken immer mal wieder Ausbauten und Reparaturen an, die dann wieder amortisiert werden müssen, zum Teil auch aus gesetzlichen Gründen (Naturschutz). Während solcher Reparaturzeiten wird zudem oft der Betrieb stillgelegt. Und wenn bei Ausbau- oder Unterhaltsarbeiten der Betrieb eingeschränkt oder eingestellt werden muss, sinkt der Ertrag. Beispiel: Wenn ein Kraftwerk in einem Jahr nur die Hälfte der üblichen Strommenge erzeugt, verdoppeln sich die Gestehungskosten pro kWh.

Aus all diesen Gründen scheinen mir Produktionskosten von durchschnittlich 6 Rappen/kWh (Wasserzinsen plus Personal- und Betriebskosten plus Amortisation und Verzinsung von Investitionen) nachvollziehbar. Und diese Gestehungskosten liegen eben meist über den aktuellen Preisen auf dem europäischen Strommarkt (3 bis 4 Rappen/kWh) oder den in der Schweiz erzielbaren Marktpreisen (4 bis 6 Rappen/kWh). Langfristig aber können Wasserkraftwerke, die eine sehr langfristige Lebensdauer haben, durchaus rentieren, zumal wenn sie dank Stauseen Strom gezielt für den Spitzenbedarf produzieren können. Von 2003 bis 2010 waren Wasserkraftwerke Goldesel, und sie können es mittelfristig auch wieder werden, wenn die alten Atom- und Kohlekraftwerke abgeschaltet werden und die Marktpreise wieder steigen (siehe dazu mein Kommentar auf Infosperber).

Freundlich grüsst
Hanspeter Guggenbühl

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