Die Schweizer Landwirtschaft steht vor massiven Herausforderungen. Gibt es in 50 Jahren noch Bauern in der Schweiz? Wir wagen einen Blick in die Zukunft.
Eine Gruppe Touristen fährt auf einem Förderband durch den Stall. Eine Glasscheibe trennt sie von den Tieren und unangenehmen Kuhmist-Gerüchen. Am Rande der Szenerie steht ein Bauer, Pfeife rauchend, an die Mistgabel gelehnt. Er weiss nicht, wie man eine Mistgabel bedient, dafür hat er eine Ausbildung als professioneller Schauspieler – er mimt den Bauern aus vergangenen Jahrhunderten.
Glaubt man einigen Ökonomen und Landwirtschaftsexperten, so könnte sich die Landwirtschaft in Zukunft nur noch auf bestimmte Teilbereiche beschränken. Ein Bereich wäre der Landwirtschaftstourismus. Der Bauernhof wäre dann nur noch Schein, die Kühe im Stall Requisiten ohne produktive Funktion. Dieser Trend zeigt sich bereits heute, wenn Landwirtschaftsbetriebe auf Erlebnis-Attraktionen umsatteln. Eine Nacht im Heu schlafen wird als Erlebnis verkauft – an Stadtkinder, die den Bauernhof nur aus Facebook-Spielen wie FarmVille kennen.
Die Folgen des Freihandels
Die Schweizer Landwirtschaft steht vor massiven Herausforderungen. Wenn der globale Freihandel weiter zunimmt – so wie es momentan den Anschein macht – haben Schweizer Bauern in Zukunft noch mehr Mühe, ihre Produkte zu verkaufen. Sie müssen dann mit südamerikanischen Massenzucht-Betrieben konkurrieren, die Landwirtschaft wäre kaum mehr profitabel.
Was tun? Der Ökonom Mathias Binswanger nennt drei landwirtschaftliche Betätigungsfelder, die in Zukunft verstärkt würden: Tourismus, Massenproduktion und Kulturlandpflege. Andere Experten glauben nicht an eine solche Verlagerung, sie sind überzeugt, dass sich die Landwirtschaft in den nächsten 50 Jahren nicht fundamental verändern wird.
Wenn es dennoch so kommen sollte, dann bleiben noch eine Handvoll rentabler Modelle, die die Landwirtschaft prägen könnten. Wir wagen einen Blick in die Zukunft und zeigen vier mögliche Landwirtschaftsmodelle.
1. Roboterbauern
Computergesteuerte Mähdrescher und Traktoren, die ohne einen menschlichen Fahrer über das Feld rattern, sind bereits Realität – zumindest auf Grossflächen in Deutschland und den USA. In Zukunft könnten aber auch kleinere Landwirtschaftsroboter zum Einsatz kommen. Zukunftsforscher schwärmen von einem Gefährt, nicht grösser als ein Staubsauger, das sich seinen Weg durch Erdbeerbeete bahnt und unliebsames Kraut entfernt – ein Jät-Roboter. Auch der Erdbeer-Ernteroboter ist längst keine Utopie mehr. Die Firma Agrobot hat ein solches Modell bereits getestet und markttauglich gemacht.
Ein Bauernhof, der ohne menschliches Zutun produziert – das ist eine Vision, die auch für die Schweiz denkbar ist. Vollautomatisierte Futtertröge, die die Kühe nach Bedarf bedienen, Melkmaschinen, die den Kühen automatisch an die Euter gehen. Solche Höfe gibt es schon heute, in der Zukunft könnten weitere dazukommen.
2. Bauern als Landschaftsgärtner
Das Überleben von Bergbauern lässt sich nur über Subventionen sichern, so weit sind sich Politiker und Experten einig. Steile Berghänge können nicht effizient zur Produktion genutzt werden. Bereits heute verlassen Bewohner von Bergregionen ihr Zuhause und siedeln sich im Tal an. Wenn diese Entwicklung weitergeht oder sich gar verstärkt, könnten die Bergregionen in 50 Jahren komplett entvölkert sein. Die Natur erobert sich weite Gebiete zurück, wuchert über entlegene Bergdörfer hinweg.
Bauern gibt es dort längst nicht mehr, sie sind im Jahr 2065 noch Landschaftsgärtner, die die Wege pflegen und das ökologische Gleichgewicht im Lot halten. Ehemalige Landwirtschaftsregionen werden zu grossflächigen Naturschutzgebieten, Kuhweiden zu unberührten Wiesen, auf denen sich Gämsen, Bären und Wölfe tummeln.
Der Nebeneffekt dieser neugewonnenen Naturschutzreservate: Sie könnten ein Magnet für Touristen sein, die nicht mehr zum Skifahren in die Schweiz kommen, sondern zum Bewundern der Natur.
3. Heidiland-Tourismus
Jedes Jahr pilgern derzeit etwa 100’000 Besucher ins Heididorf im graubündnerischen Maienfeld. Die Gemeinde gilt als Schauplatz des Märchenklassikers. Nun sorgt ein neuer Heidifilm für Ärger, da er nicht dort, sondern in der Gemeinde Latsch oberhalb von Bergün gedreht wird. Mit dem Film verbunden sind neue Touristenströme, die den Ort des Geschehens überschwemmen könnten – es geht um viel Geld.
Die Episode zeigt, wie Bergregionen und insbesondere Bauern vom Ansturm von Touristenmassen in Zukunft profitieren könnten: Die Bergdörfer vermarkten sich mit einer Geschichte, verkaufen ein Image, ein Erlebnis.
Unter Politikern kursiert die Anekdote, dass asiatische Ökonomen längst vom «Themen-Park Europa» sprechen, der zur Touristenattraktion verkommt und kaum mehr Wirtschaftsleistung aufweist. Die Schweiz buhlt dabei um das Bild des verklärten Heidilandes – vielleicht wäre das auch gleich ein passender Landesname, er liesse sich besser vermarkten als das umständliche «Switzerland».
4. LED-Salate
Neben den touristischen Attraktivitäten und Naturschutzreservaten bliebe kaum Platz für Nahrungsmittelproduktion. Ein Modell, das auch in der Schweiz funktionieren könnte, zeigen experimentierfreudige Landwirte in Japan. Sie entwickeln grossflächige Indoor-Plantagen für Salate, die mit LED-Lampen statt Sonnenstrahlen gezogen werden.
Das Beste dabei: Der Anbau benötigt kaum Platz und kann auch in Grossstädten durchgeführt werden – im Keller, im Hochhaus, wo gerade Platz ist. Ob Schnee- oder Regenstürme, die LED-Lampen leuchten immer, solange Strom da ist.
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Wie innovative Bauern die Schweizer Landwirtschaft retten, lesen Sie in unserem Dossier zur «Bauernrevolution».