«Heimatlos sind viele auf der Welt»

Mit «Ùzivo Frau Stirnimaa!» befassen sich Regisseur Lorenz Nufer und sein Ensemble in der Kaserne Basel auf erfrischend leichtfüssige Art mit dem heiklen Thema von Papier- und Heimatlosen in der Schweiz – leider etwas allzu leichtfüssig, so dass der Abend auf Dauer etwas an Bodenhaftung verliert.

Mit 199 Luftballons auf in eine ungewisse Zukunft (Bild: Simon Hallström/ICONIQ Studio GmbH)

«Ùzivo Frau Stirnimaa!» verpackt das problembeladene Schicksal von Asylsuchenden in der Schweiz in eine abstruse Diebeskomödie nach Hollywood-Manier.

«Heimatlos sind viele auf der Welt.» Die Jukebox in der tristen Kneipe in der Agglomeration mit den ebenso tristen Gästen scheint nur diesen einen Song zu beinhalten. Immer und immer wieder erklingt der sentimentale Schlager von Freddy Quinn, der so etwas wie das Motto des Theaterabends hergibt, der wiederum den Titel eines anderen Schlagers trägt, der 1969 zum Überraschungserfolg in den Schweizer Charts avancierte: «Grüezi wohl, Frau Stirnimaa!» des Schweizer Musikertrios Minstrels, der hier leicht abgewandelt als «Ùzivo Frau Stirnimaa!» dasteht.

Aber vielleicht ist mit der Erwähnung der Kneipe bereits etwas zu viel verraten über ein Theaterprojekt, das in erster Linie von überraschenden Brüchen und Wendungen in einer recht verwickelten Geschichte lebt. Will man den künftigen Theaterbesucherinnen und -besuchern diese Überraschungsmomente nicht nehmen, ist es nicht ganz einfach, über diesen Abend zu berichten. Aber soviel darf man nun doch noch verraten: Bei «Ùzivo Frau Stirnimaa!» geht es um Heimatlose, genauer um Asylsuchende oder noch genauer um die Klischees, die man in der Schweiz so oft mit diesen Menschen verbindet: zum Beispiel die vielbeschworene Ausländerkriminalität.

Diebeskomödie …

Regisseur und Initiant des Theaterabends, Lorenz Nufer (den man hier vor allem als Mitglied des Schauspielensembles des Theater Basel kennt) verpackt nun das schwere Schicksal von Asylsuchenden in der Schweiz in eine Diebeskomödie nach Hollywood-Manier. Eine Art «Ocean’s Eleven» im Kleinbasel, nur dass hier nicht Gentleman-Gangster ans Werk gehen, sondern eine Gruppe von Asylbewerbern und Ausländern mit Aufenthaltsbewilligung C. Das sind Oleg aus Weissrussland (Christoph Mörikofer), Gustavo, genannt Mustafa, aus Peru (Gustavo Nanez), Khaled aus Tunesien (Dominik Blumer), Arieta aus Albanien (Grazia Pergoletti) und Bogdan aus Transnistrien (David Berger).

Dieses Quintett ist zu Beginn als skurrile Musiktruppe zu erleben, die am World-Music-Festival in der Kaserne unter anderem eine schräge Multi-Kulti-Version von «Grüezi wohl, Frau Stirnimaa!» (eben: «Ùzivo Frau Stirnimaa!») zum Besten gibt. Aber eben: Der Auftritt ist nur Tarnung für den Diebes-Coup, der dem wertvollsten Diamanten der Welt gilt, der in einer nahen Juwelierwerkstatt für die Uhren- und Schmuckmesse «Baselworld» präpariert wird. Aber eigentlich gilt der Raubzug gar nicht dem Diamanten, und überhaupt ist alles nicht so, wie es vorerst zu sein scheint. Aber eben: Zuviel verraten über den Verlauf der Geschichte wollen wir hier nicht.

… und Asylantentragödie

Nufer und sein Ensemble spielen hemmungslos jegliche Klischees aus, die man von rechts bis links mit Asylsuchenden in der Schweiz in Verbindung bringt. Natürlich kommen die «Ausländer» zu spät zum Auftritt. Diesen leiten sie mit einer rasenden Einfahrt im roten Kombiwagen ein, die in eine Kollision mit dem Abfalleimer mündet, gefolgt von einem ziemlich chaotischen Auftritt, der ganz dem Klischee des südländischen oder osteuropäischen Temperaments unterworfen ist.

Zu erleben ist eine ziemlich überbordende Szenerie, die nahe, zuweilen etwas gar nahe an die Grenze zum pennälerhaften Klamauk reicht. Aber der Abend hat auch seine ernsthafteren Momente, wenn die Protagonisten aus ihrem Leben erzählen. Khaleds Schilderung seines letzten Abends vor seiner von Schleppern vorbereiteten Flucht mit dem Boot ist eine berührende Geschichte frei von jeglicher Sentimentalität. Leider gibt es nur wenige solcher Momente – zu wenige. Zu gross scheint die Angst der Theaterleute gewesen zu sein, in schwermütige Gefilde abzugleiten. So wird letztlich das, was die Qualität des Abends ausmacht, nämlich der leichtfüssige Umgang mit einem gesellschaftspolitisch brisanten Thema, gleichzeitig auch zu seinem Manko.

«Ùzivo Frau Stirnimaa!»
Von Lorenz Nufer
Text: Nicole Coulibaly und Lorenz Nufer (Prolog von Gabriel Vetter)
Regie: Lorenz Nufer, Musik: Gustavo «Mustafa» Nanez, Bühne: Chasper Bertschinger, Kostüme: Eva Butzkies
Mit: Christoph Mörikofer, Grazia Pergoletti, David Berger, Dominik Blumer, Gustavo «Mustafa» Nanez.
Kaserne Basel, nächste Vorstellungen: 5., 6., 8. und 9. April 2013.

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