Helden des belgischen Kolonialismus

Ein Denkmal in Blankenberge erinnert an den Tod zweier Offiziere und – nebenbei – an ein düsteres Kapitel belgischer Geschichte.

Guillaume Charliers verklärter Blick auf den Kolonialismus.

(Bild: Martin Stohler)

Ein Denkmal in Blankenberge erinnert an den Tod zweier Offiziere und – nebenbei – an ein düsteres Kapitel belgischer Geschichte.

Joseph Lippens und Henri De Bruyne waren Offiziere der Armee von König Leopold II. Lippens wurde 1855 in Brüssel, De Bruyne 1868 im belgischen Seebad Blankenberge geboren. Ihre Namen wären wohl längst vergessen, wenn nicht ein Denkmal an der Strandpromenande von Blankenberge an die beiden erinnern würde.

Zu einem Denkmal sind Lippens und De Bruyne gekommen, weil sie im Kongo in die Hände von arabischen Sklavenhändlern fielen und am 1. Dezember 1892 von diesen umgebracht worden waren.

Das am 9. September 1900 eingeweihte Monument ist von einem Komitee von Kongo-Veteranen gestiftet und vom Brüsseler Bildhauer Guillaume Charlier geschaffen worden.

Gummi, Elfenbein und Bodenschätze

Belgien war verglichen mit den Grossmächten Frankreich, Grossbritannien und Deutschland ein relativ kleiner Staat. Das hinderte Leopold II. nicht daran, sich an der kolonialen Aufteilung Afrikas zu beteiligen. 1885 brachte er es fertig, grosse Teile des Kongos an sich zu reissen und unter der Bezeichnung Etat indépendant du Congo / Kongo-Vrijstaat seiner direkten Verwaltung zu unterstellen.

Vorgeblich geschah dies aus philanthropischen Gründen und um die Wohlfahrt der Eingeborenen zu fördern. Tatsächlich ging es Leopold II. um die Bodenschätze und um Produkte wie Gummi und Elfenbein.

Schon bald kam es zu Interessenskonflikten mit ostafrikanischen und arabischen Sklaven- und Elfenbeinhändlern. Diese wurden schliesslich von 1892 bis 1894 mit militärischen Mitteln ausgetragen. Der Krieg endete mit einem Sieg der belgischen Kolonialherren. Einer der Anführer der geschlagenen Händler war Sultan Sefu, ein Sohn des einflussreichen Sklaven- und Elfenbeinhändlers Tippu-Tip, der zeitweise auch einer der Gouverneure des Kongo-Vrijstaats war.

Die Brutalität der andern

Der Krieg gegen die Sklaven- und Elfenbeinhändler wurde für das europäische Publikum zum Feldzug gegen die Sklaverei hochstilisiert. Diese Sicht der Dinge will auch das Denkmal in Blankenberge vermitteln. Um sie zu verdeutlichen, schuf der Bildhauer die Figur der nackten Afrikanerin, die mit ihrem Kind Schutz bei der Fahne sucht, die Lippens und De Bruyne in den Händen halten.




(Bild: Martin Stohler)

Das war künstlerisch gedacht, aber nicht im Sinne von erzkonservativen Blankenbergern. Diese wollten an der Seepromenade keinen blanken Busen sehen, und sei es auch nur der einer Statue. So verschwand – sehr zum Ärger ihres Schöpfers – die nackte Afrikanerin fürs Erste einmal im Depot.

Keinen Anstoss nahmen die Sittenwächter an den Reliefplatten am Denkmalsockel, welche die durch Sultan Setu angeordnete brutale Ermordung der beiden belgischen Offiziere zeigt.




(Bild: Martin Stohler)

Aus der Versenkung geholt

18 Jahre nach der Einweihung des Monuments wurden auch die Bildnisse von Lippens und De Bruyne Opfer jenes grauenhaften Krieges, der die zivilisierte Welt in ihren Grundfesten erschütterte und Millionen Menschen das Leben kostete. Blankenberge war damals von deutschen Truppen besetzt – um Frankreich mit einer Umgehungsbewegung angreifen zu können, hatte Deutschland im August 1914 unter Missachtung der Neutralität Belgien und Luxemburg überrollt.

Je länger der Vernichtungskrieg dauerte, desto mehr Eisen wurde benötigt. Im September 1918 holten die deutschen Besatzer Lippens und De Bruyne vom Sockel und schmolzen sie ein.

Die beiden hatten Glück im Unglück. Die Modelle der Standbilder waren aufbewahrt worden, und nach dem Krieg liess die Stadtverwaltung von Blankenberge die Statuen nochmals giessen. Guillaume Charlier war darüber umso mehr erfreut, als in der Folge auch die schutzsuchende Afrikanerin mit dem Kind aus der Versenkung geholt und damit der ursprüngliche Plan des Denkmals realisiert wurde.

Aus dem Kongo-Vrijstaat war damals bereits Belgisch-Kongo geworden. Leopold II. hatte die Bevölkerung des von ihm «verwalteten» Freistaats derart brutal ausgebeutet, dass die internationalen Proteste immer lauter wurden. Darauf entzog der belgische Staat dem König am 15. November 1908 die Verwaltung und wandelte den Vrijstaat in eine reguläre Kolonie um. Diese erlangte am 30. Juni 1960 die Unabhängigkeit.

Nächster Artikel