Herr Kessler, fühlen Sie sich noch wohl in Basel?

Als Drogen- und Integrationsbeauftragter feierte Thomas Kessler Erfolge – als Chef der Stadtentwicklung ist er zur Reizfigur geworden. Was läuft für ihn schief in Basel?

Thomas Kessler, Leiter der Basler Stadtentwicklung. (Bild: Helmut Wachter)

Als Drogen- und Integrationsbeauftragter feierte Thomas Kessler Erfolge – als Chef der Stadtentwicklung ist er zur Reizfigur geworden. Was läuft für ihn schief in Basel?

Es ist kein gemütlicher Ort, den Thomas Kessler für das Gespräch vorschlägt, ein Ort für Reisende: das Restaurant «Train Bleu» am Basler Bahnhof. Wir treffen uns am frühen Abend, wenn andere allmählich in den Feierabend aufbrechen. Der Basler Stadt­entwickler kommt gerade aus Bern, von einer Sitzung der Eidge­nössischen Expertenkommission für Drogenfragen. Danach gehts weiter zum nächsten Termin. Und tags darauf wird er bereits wieder im Zug sitzen: nach Zürich, wo er vor Gemeinde­präsidenten zu Sicherheitsfragen referieren wird.

Kessler ist viel unterwegs. Sein Büro dient seinen Mitarbeitern als Sitzungszimmer. Er selber sei gerne bei den Leuten vor Ort, für die er als Staats­angestellter im Dienst sei. Als Leiter der Abteilung Kantons- und Stadtentwicklung koordiniert der 53-Jährige fünf Fachstellen mit zwölf Schwerpunktthemen und 21 Mitarbeitern. ­

Daneben engagiert er sich in der Eid­genössischen Kommission für ­Kin­­der- und Jugendfragen und im Bil­dungs­forum Schweiz und als Folge ­seiner früheren Tätigkeit in der Entwicklungshilfe leitet er auch Exper­ten­gremien zur Nachhaltigkeit.

 Wie bekommen Sie das alles unter einen Hut, Herr Kessler?

Ich habe mit 14 Jahren meine Bauernlehre begonnen und bin ­seither an lange Arbeitstage gewohnt. In allen Tätigkeiten geht es um spannende Systemfragen und Projekte, ich fühle mich durch diese Arbeit ­privilegiert. Das kann aber zu Irrita­tionen führen.

Wie meinen Sie das?

Einzelne vermuten hinter dem En­gagement weitergehende Ambitionen. Die gibt es aber nicht. Mich interessiert die konkrete Umsetzung von ­Entwicklungsaufgaben. Basel kann mit seiner Offenheit und Innovationskraft viel zum Erfolgsmodell Schweiz beitragen.

Die Anfeindungen und Angriffe, denen Kessler im Wahljahr ausgesetzt ist, sind heftig, und sie gehen ihm unter die Haut: die Attacke von Rheinhattan-Gegnern am Klybeckfest, die mediale Lawine, die Anfang Jahr auf ihn niederging, nachdem er in einem Interview den ­Begriff «Abenteuermigranten» verwendet hatte; die Kritik von links und rechts am Präsidialdepartement im Allgemeinen und an der Stadtentwicklung im Speziellen.

Dies habe auch mit Veränderungsängsten zu tun, glaubt Kessler. Mit der Schaffung dieser Stelle sei ja beabsichtigt worden, der Stadtentwicklung ein Gesicht zu geben. «Was aber zum Beispiel die militanten Stadtaufwertungsgegner nicht wissen: Für die Test­planung der Hafenprojekte engagierten wir auch den Urbanisten Philippe Caba­ne und weitere Vertreter der Kulturraum­bewegung. Keine Spur also von technokratischer Stadtplanung von oben. Die Behörden sind mit der neuen Kantonsverfassung zum Einbezug der Bevölkerung in wichtige Projekte verpflichtet, das wird geleistet.»

Die aggressive Aktion der Rhein­hattan-Geg­ner am Klybeckfest sei «völlig untypisch für Basel», sagt Kessler, und er erinnert sich an die jugendbewegten 1980er-Jahre zurück, wo er «fast an jeder Demo» dabeige­wesen sei. Einmal habe der damalige Basler Ständerat Carl ­Miville die Betreiber einer illegalen Bar auf der Kasernenwiese be­sucht, um zu erfahren, was diese beschäftige: «Er wurde zu einem Bier eingeladen, nicht vertrieben.»

«Wenig anfangen» kann Kessler auch mit dem Angriff des SVP-Regierungsratskandidaten Lorenz Nägelin, der ihn zum Wahlkampfauftakt als «Dienststellenkönig» titulierte, der «nach Lust und Laune» agiere. Die ­Loyalität zur Re­gie­rung sei für ihn ein zentraler Teil des Staatsdienstes, sagt Kessler. Und: «Die verbes­serte Planung und Zusammenarbeit sowie die Wirkungsüberprüfung durch das Präsidialdepartement verhindern ja ­genau Fehlent­wicklungen und Bürokratie.»

 

Nägelin ist aber nicht der Einzige, der das Präsidialdepartement ­kritisiert. Skepsis an der Not­wen­digkeit des Departe­ments wird von verschiedener Seite geäussert.

Das war nach der Verwaltungsreform vereinzelt der Fall. Interessant ist: ­Sobald ich Kritiker nach konkreten ­Beispielen fragte, konnten sie mir keine nennen. Es waren lokal­poli­tische Motive, das haben die Kritiker in den Aussprachen auch offen zugegeben.

Was verstehen Sie unter «lokal­politischen Motiven»?

Es gab Leute, die vor unserem Fitnessauftrag Angst hatten. Viele der einstigen Kritiker sind inzwischen gute Partner unserer Abteilung. Das Präsidialdepartement hat von seiner Bestimmung her Querschnitts- und Unterstützungsaufgaben, vor allem die Kantons- und Stadtentwicklung. Hier hat man Fachstellen aus fünf Departementen zusammengezogen, um Doppelspurigkeiten abzubauen. Es ist eigentlich eine Innovationsstelle, wie sie jedes moderne Unternehmen hat. ­Dafür beneiden uns viele Kantone.

Vielleicht ist es Ihnen und Regierungspräsident Guy Morin nicht gelungen, die Vorteile dieser Innova­tionsstelle zu vermitteln. Es ist von Leerläufen ­zwischen dem ­Präsidialdepartement und anderen Departementen, etwa dem Baudepartement, die Rede.

Es war das Baudepartement selber, das die neue Struktur stark unterstützte, insbesondere Kantonsbaumeister Fritz Schumacher. Man hatte vor der Verwaltungsreform Schwächen in der Koordination und Kommunikation festgestellt. Als Dienstleister mit Querschnittsauf­gaben haben wir diese Arbeit übernommen.

Was heisst das konkret?

Wir sorgen auch dafür, dass die Quartierbevölkerung und Interessierte in die Stadtentwicklung einbezogen werden und aktiv mitwirken können. Nehmen Sie zum Beispiel das Kasernenareal: Mit der neuen Fachstelle Stadtteilentwicklung ist nach Jahrzehnten der Stagnation Dynamik in die Umgestaltungsdiskussion gekommen. Jetzt liegt ein ausgereifter Ratschlag bereit zum Entscheid im Gros­sen Rat. Schub erhalten hat auch die Wohnraumförderung.

 

Kessler spitzt gerne zu und polarisiert – das gefällt nicht allen. «Ich bin immer wieder wegen meiner Ideen kritisiert worden, das macht mir nichts aus, solange die Kritik sachlich ist.» Dem sei aber nicht immer so. Schon in seiner Zürcher Zeit als Kantonsrat der ­Grünen und Mitglied der Justiz­verwal­tungskommission sei er von Reaktio­nären angefeindet worden. Vor allem der Verein für Psycholo­gische Menschenkenntnis habe keine Möglichkeit ausgelassen, ihn zu verklagen – «bis vor Bundesgericht, weil meine aufklärerischen Ansätze in der Drogenpolitik diesem Verein nicht passten».

Basel dagegen habe er immer als «Ort des Diskurses» und des «gegenseitigen Respekts» empfunden, sagt er. Eine Kultur, die es überhaupt möglich gemacht habe, Anfang der 1990er-Jahre eine neue Drogenpolitik zu entwickeln, die als Vier-Säulen-Modell Schule machte.
Es war die Zeit, in der Thomas Kessler seinen ersten grossen Erfolg feierte. Unter dem Polizeidirektor Jörg Schild (FDP), der sich als Leiter des Basler Betäubungsmitteldezernats und später als Chef der Bundespolizei den Ruf eines Hardliners erworben hatte, sei der linke Kessler zur Hochform aufgelaufen, sagen Zeitzeugen. Einen weiteren Coup landete Kessler wenige Jahre später als Inte­gra­tions­beauftragter. Unter ­seiner Leitung wurde das Basler Integra­tions­modell entwickelt, dessen Formel «Fördern und Fordern» sich schweizweit etabliert hat.

Doch Kesslers Ruf als führender ­Politberater der Schweiz («Das Magazin») und als mediale Lichtfigur wurde in diesem Jahr abrupt getrübt. Für ­Verärgerung sorgten ­seine im ­Ja­nuar im ­«Tages-Anzeiger» geäus­ser­ten Aussagen über asylsuchende junge Männer aus Nord­afrika, die zu über 90 ­Prozent Wirt­­schafts- und «Abenteuer­migran­ten» seien. Basels Linke reagierte ­empört, Lokalmedien breiteten den Streit genüsslich aus, und mäs­si­gende Stimmen wie etwa jene des Aargauer Bezirksrichters Luca Ciri­g­liano (SP) oder des einstigen Basler Strafgerichtspräsidenten Christoph Meier (FDP) gingen in der emotional geführten Debatte unter. Seither sind die lokalen Medien auf ­Distanz zu Kessler gegangen und berichten tendenziell negativ über ihn. Oder wie er sagt: «Jedes Wort von mir löst unmittelbar eine Debatte aus.»

 

Mussten Sie nicht damit rechnen, dass der pointierte und ver­ein­fachende Begriff «Abenteuer­migranten» politisch pola­risieren und medial ausgeschlachtet werden würde?

Ich habe den Begriff in Verbindung mit der Bezeichnung Wirtschafts­migranten gebraucht, es war schon 2011 absehbar, dass beide Gruppen kommen würden. Ich kenne die Ver­hält­nisse in Tunesien und auf der Transitinsel Sizilien gut; ich arbeitete dort und habe noch immer enge Kon­takte. Der Begriff erfasst die ­jungen Männer präziser als der all­gemeine Überbegriff «Wirtschaftsflüchtling». Interessant war, dass die meisten ­Kritiker das «Tages-Anzeiger»-Interview gar nicht gelesen hatten. Sie hätten bei der ­Lektüre gemerkt, dass ich mich für Kooperationen mit den Herkunfts­ländern, faire und ­zügige Verfahren und eine neue Migrations­politik unter Führung von SP-Bundesrätin Simonetta Somma­ruga und Amtsleiter ­Mario Gattiker stark machte.

Ihre Aussagen führten auch im Bundesamt für Migration und in der Basler Regierung zu Irrita­tionen. Es heisst, Sie hätten danach von der Basler Regierung ein Redeverbot erhalten.

Das hat ein Basler Medium kolportiert, in Wirklichkeit tagte an diesem ominösen Tag, an dem mir ein angeblicher Maulkorb verpasst worden sein soll, die gesamte Spitze des Bundesamts für Migration, achtzig Kader­leute, im Hotel Merian. Sie liessen sich von mir über Integrationsfragen ­informieren. Der Basler Beitrag zu ­einer differenzierten Wahrnehmung der Migration und zur Unterstützung des Bundes wurde vom Kader ausdrücklich als vorbildlich bezeichnet.

Herr Kessler, fühlen Sie sich noch wohl in Basel?

Ja, sehr sogar. Der Kanton entwickelt sich prächtig. Ich habe einen tollen Job, und Kollegen aus der ganzen Schweiz profitieren von unseren In­no­vationen. Wichtig ist aber, dass ­Basel die Stärken der Humanisten- und Industriestadt pflegt und sich also auch wieder die Leistungsträger, Uniprofessoren, ­Forscher und Kulturleute in ­Politik und Gesellschaft einbringen. Basel hat ein riesiges, noch nicht vollständig genutztes Potenzial.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 14.09.12

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