Aus der Familie Seewer aus Arlesheim wurde erst eine Grossfamilie und dann ein Heim mit kantonalem Leistungsauftrag. Die «Therapeutische Wohn- und Lebensgemeinschaft» feiert dieses Jahr ihr 25-jähriges Bestehen. Eine Geschichte von Hingabe und Glück, die dank mitternächtlicher Explosionen auch über einen gewissen Actionfaktor verfügt.
Andrea posiert im Garten des «Wydehöfli» vor dem grossen Wohnhaus.
(Bild: Eleni Kougionis)Jörg gibt sich bei der Gartenarbeit grosse Mühe und erledigt sie sorgfältig.
(Bild: Eleni Kougionis)Petra hat den Grill so gut geputzt, dass ihre Schürze am Schluss ganz dreckig war.
(Bild: Eleni Kougionis)Im Garten stehen auch Instrumente, an denen man gemeinsam musizieren kann.
(Bild: Eleni Kougionis)Die Heimleiterin Christina Seewer präsentiert das «Wydehöfli»-Lädeli.
(Bild: Eleni Kougionis)Sämtliche Garten- und Bäckereiprodukte haben Bio-Qualität. Diejenigen aus den Werkstätten sind schöne und ausgefallene Geschenkideen.
(Bild: Eleni Kougionis)Verkauft wird eine Auswahl von Produkten aus der Hausbäckerei, wie auch die Sirupe, Konfitüren und weitere Spezialitäten aus dem Garten.
(Bild: Eleni Kougionis)Joy hat wie alle Bewohnerinnen und Bewohner ein Einzelzimmer.
(Bild: Eleni Kougionis)Andrea hält ihr Zimmer immer schön aufgeräumt.
(Bild: Eleni Kougionis)Eine der Hauskatzen.
(Bild: Eleni Kougionis)Alles begann vor 25 Jahren, als die Familie Seewer noch überschaubar war. Therapeut Julian und Heilpädagogin Christina entschieden sich, ihre Familie um eine 18-jährige Frau mit geistiger Behinderung zu erweitern. Ihr erster Sohn Tobias war damals gerade zwei Jahre alt. Die Integration der jungen Frau in die Familie liess die Gemeinschaft aufblühen und so fiel im Hause Seewer der Entscheid, weiter zu wachsen.
Schleichend wuchs die Gemeinschaft während sieben Jahren, bis unter dem Dach des Ehepaars Seewer sechs eigene Kinder und sechs Kinder und Erwachsene mit geistiger und mehrfacher Behinderung lebten. Das Wachstum der Gemeinschaft zog die erste Professionalisierung nach sich. Um alle Aufgaben bewältigen zu können, bedurfte es nebst freiwilligen Helfern auch erster Mitarbeiter auf Teilzeitbasis sowie einer offiziellen Geschäftsform als Verein.
Verantwortung übernehmen
Das wohl grösste Verdienst der Familie Seewer ist, dass die Gemeinschaft in ihrer heutigen Form immer noch auf einem familiären Gerüst fusst und so alle in diesem Konstrukt im Rahmen ihrer individuellen Möglichkeiten Verantwortung übernehmen. Als wir das «Wydehöfli» Anfang August besuchen, merken wir, dass die Bewohner und Bewohnerinnen und die beschäftigten Fachleute das Verständnis dieser Gemeinschaft wie selbstverständlich in sich tragen. Das Verantwortungsgefühl ist nicht aufgezwungen, es wächst aus freien Stücken.
Die Bewohnerinnen und Bewohner des «Wydehöfli» posieren im Garten fürs Familienfoto.
Das widerspiegelt sich im Treiben in und ums Haus: Im grossen Garten spriesst und blüht es, wo man hinschaut, alles ist sauber aufgeräumt, überall wird gewerkelt. Die Bewohnerinnen und Bewohner präsentieren uns selbstbewusst und stolz ihre Arbeit. Wir sind entzückt vom Zusammenhalt dieser Gemeinschaft, hegen aber auch den Verdacht, etwas zu sehr eingelullt zu sein vom goldenen Licht, in das die Abendsonne den eindrucksvollen Garten taucht, der zu allem paradiesischen Überfluss noch über sein eigenes Birsufer verfügt.
Um die journalistische Integrität zu wahren, bringen wir mit kritischer Haltung in Erfahrung, ob es hier immer so harmonisch und motiviert zu und her geht, oder ob das am Besuch mit Notizblock und Kamera liegt. Christina Seewer schmunzelt und sagt: «Nein, natürlich haben nicht immer alle Lust zu arbeiten. Aber das gehört eben dazu, wie es auch bei Ihnen und mir der Fall sein kann.» Aber zurück zur Geschichte, schliesslich wurden noch Explosionen versprochen.
«Zeusli»-Passion und Umzug
Nicht nur die Ansprüche an Personal und an Organisation des «Wydehöfli» sind während eines Vierteljahrhunderts gewachsen, sondern auch die Infrastruktur. Neben dem Einfamilienhaus der Seewers bezog die Gemeinschaft in einem ersten Schritt ein zweites Haus. Jedoch haben die Vermieter des Einfamilienhauses Eigenbedarf angekündigt und so musste sich die Grossfamilie ein neues Zuhause suchen.
Im Jahr 2003 wurde sie fündig und bezog das grosse Mehrfamilienhaus an der Birseckstrasse in Arlesheim. Es wies eine gute Basis für den Umbau zum Wohnheim auf, da es als ehemaliges Arbeiterhaus der Textilfabrik Schappe über genügend Zimmer und Wasseranschlüsse verfügte.
Schon in den Anfangszeiten wuchs die Familie Seewer schnell.
Auch beim Umzug agierte man als Gemeinschaft. Alle Bewohner und Bewohnerinnen halfen mit. Einer fasste die Aufgabe, im alten Haus den Keller auszuräumen, wobei er auf dort vergessenes 1.-August-Feuerwerk stiess. Und wie jeder Spitzbube, der über die prüfenden Augen familiärer Autoritäten weiss, spielte er – trotz seiner grossen «Zeusli»-Passion – ganz cool und räumte die explosive Kiste mit allen anderen weg, ganz genau so, wie es von ihm erwartet wurde.
Sonderbarerweise freute er sich an diesem Abend über die Bettzeit, was aber das einzige Indiz für seine geheimen Pläne blieb. Frau Seewer erinnert sich, wie sie mitternachts jäh von Böllern und Raketen aus dem Schlaf gerissen wurde. Der Bewohner hatte zu ihrem und dem Ärger der Nachbarn seine Passion in vollen Zügen im Garten ausgelebt.
Das «Wydehöfli» wird zur Institution
Am neuen Standort an der Birs hat Christina Seewer die Heimleitung übernommen, während Julian Seewer sich auf therapeutische und andere Aufgaben innerhalb der Institution konzentriert. Nach dem aufwändigen Umbau und dem gutgeheissenen Antrag auf einen kantonalen Leistungsauftrag konnte das «Wydehöfli» das volle Potenzial aus dem Mix von familiär-fundierter Gemeinschaft und Heim schöpfen.
Mittlerweile wohnen nur die beiden Töchter und ein Pflegesohn noch in der elterlichen Wohnung im «Wydehöfli». Jedoch pflegen alle Kinder weiterhin Beziehungen zu den Bewohnerinnen und Bewohnern. «Unsere Kinder unterstützen uns in unterschiedlichster Weise, wenn wir ihre Hilfe brauchen», sagt Christina Seewer. So seien sie oft an den vielen öffentlichen Veranstaltungen wie dem Open-Air-Kino oder dem Theaterprojekt des «Wydehöfli» anzutreffen. Wie es bei diesen Anlässen im grossen Garten zu und her geht, zeigt ein Bericht von «RegioTVPlus»:
Diese Veranstaltungen seien im Verlauf der Zeit immer bedeutender geworden für das Konzept des Heims, sagt Christina Seewer: «Wir wollen uns nach aussen öffnen, Begegnung stattfinden lassen und so Integration leben.» Diese Öffnung und das Verständnis, auch als Institution noch eine Art Grossfamilie zu bleiben, in der alle ihre Verantwortungen für die Gemeinschaft wahrnehmen, kreiert im «Wydehöfli» ein Klima der Normalität, wie es sonst nur selten in Heimen zu spüren ist.
Das «Wydehöfli» hat ein buntes Veranstaltungsprogramm, das vom wöchentlichen Café am Mittwochnachmittag bis zu nordischen Sommerfesten reicht. Das Programm findet sich wie auch die Festschrift zum Jubiläum auf der Website. Ein grosses Ziel bleibt eine gemeinsame Reise ans Meer. Das «Wydehöfli» freut sich daher über Spenden, aber auch über tatkräftige Unterstützung.