1,6 Millionen hat der Grosse Rat dem Staatsarchiv Basel-Stadt zugesprochen, damit dieses den letzten Schritt ins digitale Zeitalter unternehmen kann. Was heisst das?
21 Laufkilometer Akten, gelagert in schmalen Kartonkisten in Regalen. Das muss man sich mal vorstellen, am besten in zügig zurückgelegten Schritten: Rund 42’000 wären das – von Basel bis fast nach Gelterkinden käme man damit. So weitläufig ist das Magazin des Staatsarchivs Basel-Stadt im Jahr 2016.
Bis zu 500 Laufmeter kommen jährlich dazu: analoges Material wie Akten, Fotos und Ähnliches. Zudem produziert die Basler Verwaltung täglich digitale Daten, die zwar nicht physisch greifbar sind, aber trotzdem aufbewahrt werden müssen. Dazu gehören etwa ganze Datenbanken, E-Mails, PDF-Dokumente. Das Archiv verteilt sich auf vier Standorte: den Hauptsitz an der Martinsgasse, ein Magazin im Weissen Haus in der Nähe und zwei auf dem Dreispitzareal.
Will jemand die analogen Daten nutzen – sei es aus privatem Interesse, sei es zu Forschungszwecken –, so muss heute oft ein Angestellter ins Auto steigen und sie holen. Man sei praktisch ständig unterwegs, sagt Staatsarchivarin Esther Baur: «Wir fahren hin und her.» Der Zeitaufwand ist immens – ganz abgesehen davon, dass das Staatsarchiv, das sich hinter dem Rathaus befindet, keinen Parkplatz in der Innerstadt besitzt und deshalb wie jeder Zulieferer nur bis vormittags um elf Uhr ohne Bewilligung bis vor die Tür fahren darf.
Mit diesem Zusatzaufwand soll bald Schluss sein. Ein Schritt dazu ist der für 2021 geplante Umzug in den Neubau beim Bahnhof St. Johann, der Platz für das gesamte Archiv bieten wird. Am ersten Schritt arbeitet man schon seit 1997: dem Aufbau einer digitalen Infrastruktur für das gesamte Archiv und der kontinuierlichen Digitalisierung des analogen Bestandes. Sinn dieser Übung ist nicht nur die langfristige Sicherung der Daten, sondern auch deren vereinfachte Nutzung durch die Öffentlichkeit – am besten online, so dass der Zugriff nicht nur im Lesesaal vor Ort, sondern auch von zuhause aus erfolgen kann.
Die Digitalisierung des analogen Archivbestandes ist allerdings äusserst aufwendig. Denn es reicht nicht, alle Dokumente auf einen Scanner zu legen. Das Staatsarchiv muss darauf achten, dass Darstellung und Informationsgehalt eines Dokuments unabhängig vom Trägermedium erhalten bleiben: Wasserzeichen, Unterschriften, Briefköpfe – alles muss auch in der digitalen Form lesbar sein. Und weil Langlebigkeit und Vollständigkeit zentrale Kriterien sind, muss der Digitalisierungsprozess hohen Qualitätsansprüchen genügen.
Jedes Wasserzeichen muss auch digital sichtbar sein. Keine einfache Aufgabe.
Doch was bringt der ganze Aufwand?
«Einerseits – ganz simpel – werden durch die Digitalisierung künftig die Originale geschont», sagt Esther Baur. Originale, die im Übrigen auch nach ihrer digitalen Erfassung erhalten bleiben. Denn künftige Nutzungsformen könnten erneut einen Rückgriff auf die originalen Dokumente erfordern. Und das digitale Bild einer mittelalterlichen Urkunde wird nie ein Ersatz sein für die Urkunde aus Pergament selbst.
Andererseits können dank der Archivdatenbank die Dokumente – ob analog oder digital – besser genutzt und verwaltet werden. Verbindungen zwischen Einzeldokumenten und deren Kontext werden sichtbar. Das freut nicht nur Historiker – gerade auch bei kantonalen Projekten, die in mehreren Departementen ausgearbeitet werden, ist dies hilfreich.
Onlineplattform als letztes Kernstück
Konkret heisst das, man nutzt die Möglichkeiten, die der Computer durch Verlinkung bietet: Von einem Dokument gelangt man mittels Mausklick in Sekundenschnelle zum nächsten. Deshalb braucht es nicht nur gut ausgebildete Informatiker – fast das gesamte Personal des Staatsarchivs ist am Digitalisierungsprozess beteiligt, denn alle tragen durch ihre Fachkenntnisse ihr Scherflein zum Gesamtbild bei.
In der Theorie also ist bekannt, wo das Ziel liegt. Was allerdings zur Umsetzung in die Praxis noch fehlt, ist gleichzeitig der dritte Nutzen der digitalen Archivierung: Die passende Aufbereitung der digitalen und digitalisierten Bestände auf einer Onlineplattform, die auch die öffentliche Nutzung des Archivs erleichtern wird. Unter anderem dafür hat der Grosse Rat vergangenen Mittwoch einen Kredit von 1,6 Millionen Franken gesprochen.
«Digitales Archiv 2.0» heisst das Gesamtprojekt. Es stellt den Abschluss der Aufbauarbeiten dar, die zwischen 1997 und 2011 in vier Projektstufen geleistet wurden. Grundlegende Werkzeuge und erste Schritte in der Digitalisierung wurden in dieser Zeit geschaffen – was nun noch fehlt, ist die Infrastruktur für eine datenschutzkonforme und sichere Nutzung des digitalen und digitalisierten Archivguts. Zudem muss dessen Bestand dauerhaft erhalten bleiben. Diese Lücken sollen mit dem neu gesprochenen Geld geschlossen werden. Zum Gesamtprojekt gehört der sogenannte digitale Lesesaal, dessen Konzept gemeinsam mit dem Staatsarchiv St. Gallen erarbeitet wird.
Datenschutz als besondere Herausforderung
Die aufwendige Digitalisierung analoger Daten wirft technische Fragen auf, zum Beispiel nach den am besten geeigneten und möglichst international standardisierten Dateiformaten oder nach der Konzipierung einer einfach zu handhabenden Benutzeroberfläche. Daneben ist es vor allem der Datenschutz, der die Verantwortlichen beim Staatsarchiv beschäftigt: «Gerade die geplante öffentliche Online-Nutzung stellt uns hier vor eine grosse Herausforderung», sagt Staatsarchivarin Esther Baur.
Notwendig ist ein System, das beispielsweise Schutzfristen erkennt und entsprechend den Zugriff auf die Daten regelt. Für den «digitalen Lesesaal» müssen verschiedene Nutzerprofile mit unterschiedlichen Berechtigungen und Sicherheitsstufen erstellt werden. Vier Nutzerprofile von ganz offen bis ganz abgeschottet schweben den Verantwortlichen vor. Die Nutzer sollen zum Beispiel auf Dokumente mit einer hohen Sicherheitsstufe nur von bestimmten Computern im Lesesaal Zugriff erhalten, ohne Schnittstellen zu Internet, USB-Sticks oder Drucker.
Erste Computer im Staatsarchiv. (Bild: ©Staatsarchiv BS)
Derzeit können nur ursprünglich analoge und eigens fürs Archiv digitalisierte Daten online und ungehindert genutzt werden. Was bereits als digitales Dokument ins Archiv gelangt, steht wegen der fehlenden Infrastruktur noch nicht zur Verfügung. «Unser Anliegen ist deshalb dringlich», erklärt Baur. Idealerweise soll das Gesamtprojekt vor dem Umzug 2021 abgeschlossen sein.
Eine unendliche Geschichte
Schluss mit der Herausforderung der digitalen Archivierung ist damit nicht, denn auch in Zukunft werden noch Dokumente digitalisiert. Dies betrifft vor allem Unterlagen, die für die staatliche Überlieferung relevant sind. «Für die Übernahme privater Bestände benötigen wir sowieso Drittmittel», sagt Baur. Sie spricht hier von privaten Nachlässen – von denen das Staatsarchiv nur jene archiviert, die den staatlichen Hauptbestand sinnvoll ergänzen – ebenso wie von Nachlässen von Institutionen wie dem Zolli oder der Muba. «Oft wird hier ein Entscheid für eine Teildigitalisierung gefällt.»
Die kontinuierliche Digitalisierung – mit dem Ziel der Sicherung und Nutzbarmachung – wird die Arbeit des Staatsarchivs in Zukunft wesentlich prägen. Der Berg an Daten wird nicht schrumpfen. Und auch die Herausforderung wird nicht kleiner, selbst wenn nach der Umsetzung des papierlosen Büros immer weniger Dokumente auf Papier ins Archiv gelangen sollten. Denn von vornherein digitale Daten müssen zwar nicht mehr eingescannt werden – doch es braucht eine fortlaufende Bewirtschaftung. Die Daten müssen in neue Formate überführt werden, es gilt ganze Datenbanken zu migrieren. Und auch die langfristige Sicherung muss gewährleistet sein. Angesichts des steten digitalen Wandels bedeutet dies zwar weniger Laufkilometer Zuwachs, aber kaum weniger Arbeit fürs Staatsarchiv.