Nachdem die BLT keine Schwulen-Plakate zeigen wollte, ergoss sich ein Shitstorm, nicht nur gegen die BLT, sondern auch gegen homosexuelle Menschen. Homophobie scheint wieder salonfähig – zumindest im Internet.
Die Aufregung um die Werbekampagne des Jugendtreffs Anyway und die BLT hat sich beruhigt. Auf öffentlichen Druck hin veröffentlichte die BLT eine Medienmitteilung mit einer Entschuldigung, die eigentlich keine richtige war und entschied sich schliesslich doch dazu, die gesamte Plakatkampagne des Jugendtreffs zu ermöglichen. Ein Erfolg, könnte man meinen. Doch ein Blick in die Leserkommentare von Onlinemedien fällt ernüchternd aus.
Das Problem beim öffentlichen Diskurs fängt schon bei der Medienmitteilung der BLT von letzter Woche an. Dort macht BLT-Direktor Andreas Büttiker noch einmal klar, dass der Entscheid, die Plakate zu zensieren, selbstverständlich keinen diskriminierenden Hintergrund gehabt habe. Der Entscheid sei lediglich «falsch verstanden» worden.
Die Mehrheit der Leserkommentar-Schreiber sehen sich als falsch verstandene, tolerante Menschen.
Nicht nur der Direktor der BLT sieht sich als Opfer. Denn das Leserecho in den Medien fiel keinesfalls eindeutig positiv für Anyway aus. Die Mehrheit der Leserkommentar-Schreiber sehen sich wie Büttiker als falsch verstandene, tolerante Menschen. Man hätte den Homosexuellen schliesslich genug Rechte gegönnt, die Homosexuellen seien ja akzeptiert, dann sollen sie einen zumindest in der Öffentlichkeit mit ihrem Lebensstil in Ruhe lassen, so der Tenor aus einigen Kommentaren.
Die Leute, welche das Verbot der Plakate befürworten, treten in folgenden Kategorien auf:
- vermeintliche Naturwissenschaftler
- diskriminierte Heterosexuelle
- sattelfeste Bibelleser
- um Kinder besorgte Bürger
- Experten der Entwicklungspsychologie
Viele dieser Kommentar-Schreiber haben eine klare Vorstellung davon, wie sich Homosexuelle in der Öffentlichkeit verhalten sollten. Statt dass ein Gespräch mit Menschen stattfindet, wird in diesen Onlineforen eigentlich vor allem eines gemacht: Es wird über Homosexualität gesprochen, darüber, wie akzeptabel oder eben nicht sie ist.
Der Begriff «normal» fällt auffallend häufig in diesem Zusammenhang. Die Frage nach der Normalität einer sexuellen Orientierung ist jedoch die falsche. Es werden von einer heteronormativen Gesellschaft Kategorien geschaffen, in die man hineingepresst und nach denen man bewertet wird.
Auffällig ist die Angst, welche aus vielen Onlinekommentaren spricht. Angst vor Privilegienverlust, Angst um die Jugend, Angst ums Seelenheil. Einige Stimmen werden laut, dass man bereits von einer Minderheit fremdbestimmt werde. Dabei könnte man mindestens zwei dieser Ängste einfach aus der Welt schaffen.
Der letzte Stand der Forschung besagt, dass Homosexualität eine Mischung zwischen genetischer Veranlagung und äusseren Einflüssen sei.
Zum einen ist Homosexualität nicht erlernbar. Die Chancen, dass ein Kind durch die Reaktion konservativer Eltern in der psychologischen Entwicklung negativ geprägt wird, ist erheblich grösser als die Wahrscheinlichkeit, durch Plakate mit küssenden gleichgeschlechtlichen Pärchen im Tram selbst homosexuell zu werden.
Genauso wenig ist Homosexualität eindeutig vererbbar. Der letzte Stand der Forschung besagt, dass Homosexualität eine Mischung zwischen genetischer Veranlagung und äusseren Einflüssen sei.
Zum anderen kann man noch lange nicht von einer Gesellschaft sprechen, in der die homosexuelle Minderheit der heterosexuellen Mehrheit gegenüber im Vorteil ist oder gar über sie bestimmt. Zumal das auch nicht das Ziel hinter der Forderung nach Gleichberechtigung ist, welche dann eingetreten ist, sobald es gleiche Gesetze in allen Lebensbereichen für beide Gruppen gibt.
Es wird wohl noch viele Kampagnen brauchen, um einen konstruktiven Diskurs hervor zu bringen.
Der ehemalige Leiter des Jugendtreffs Anyway sagt treffend dazu: «Was aus aufgeklärter Sicht lustig erscheint, ist eigentlich ein Besorgnis erregendes Zeugnis dafür, dass Homophobie noch lange kein Relikt aus vergangenen Zeiten ist. Diskriminierende Meinungen werden unter dem Vorwand des Rechts auf freie Meinungsäusserung kundgetan.» Das zeuge jedoch weder von Akzeptanz noch von Toleranz.
Es wird wohl noch viele Kampagnen wie die von Anyway brauchen, um den Diskurs über eine Gruppe, zum Diskurs mit einer Gruppe Menschen zu verwandeln. Ein Erfolg wäre es, wenn bei einer späteren, ähnlichen Kampagne nicht mehr als Erstes über das Sujet an sich diskutiert würde, sondern beispielsweise über die gestalterische Qualität der Poster.