Huusi abschaffen? Das sagen Lehrer dazu

Für viele Kinder sind Hausaufgaben ein Krampf – und für die Eltern, welche die Kinder dazu bringen müssen, ihre Huusi zu erledigen, ebenfalls. Warum schafft man sie nicht einfach ab? Wir haben Lehrer in der Region gefragt.

Dem Handwerker sein Werkzeug, dem Schüler sein Aufgabenbüchlein.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Für viele Kinder sind Hausaufgaben ein Krampf – und für die Eltern, welche die Kinder dazu bringen müssen, ihre Huusi zu erledigen, ebenfalls. Warum schafft man sie nicht einfach ab? Wir haben Lehrer in der Region gefragt.

Anfang Woche berichtete die TagesWoche über vier Mütter, die manchmal ins Schulzimmer ihrer Söhne gehen und die Wandtafel abfotografieren – weil ihre Söhne ständig die Huusi vergessen. Das wiederum sorgte für Kritik bei Lesern und Pädagogen.

Und für Diskussionen über Sinn und Unsinn von Hausaufgaben an und für sich. Ein Leser schrieb per Kommentar: «Huusi sind die Pest des Lernens.» Und eine Leserin forderte auf Twitter: «Schaffen wir sie einfach ab.»

Damit trifft sie – selbst Mutter und Reallehrerin im Kanton Aargau – einen Nerv. Für viele Kinder ist es ein Krampf, nach der Schule daheim noch einmal dranzusitzen. Darunter leiden auch Eltern, die ihre Kinder zu Disziplin antreiben müssen. Und Lehrer, die von den Eltern negatives Feedback kriegen.

Sogar Schulleiter gegen Huusi

So beklagte sich Lisa Lehner, Vizepräsidentin des Schweizer Schulleiterverbands, in der «Schweiz am Sonntag», sie bekomme immer häufiger Anrufe von Eltern, die mit ihren Kindern aneinandergeraten, weil sie keine Zeit haben, beim Stoff zu helfen. Lehner forderte deshalb: «Wir sollten die klassischen Hausaufgaben abschaffen.»

Und was sagen die Lehrer in der Region dazu?

Für die Binninger Primarlehrerin Christine Weiss ist klar: «Hausaufgaben sind nötig, aber mit Augenmass.» Und auch Götz Arlt, ausgebildeter Sekundarlehrer und Co-Leiter der Sekundarschule Sandgruben, sagt: Man müsse nicht fragen: «Sollen wir die Hausaufgaben abschaffen, sondern, welche Art von Aufgaben sind sinnvoll?».

Beim Zimmer-Aufräumen gibts auch Streit

Beide sind sich einig: Schüler müssen lernen, selbstständig an ihre Pflichten zu denken und sie zuverlässig zu erledigen.

Dass es in den Familien jeweils Krach gibt, liegt in der Natur der Sache. «Wenn die Kinder die Schuhe versorgen oder das Zimmer aufräumen müssen, protestieren sie schliesslich auch – das gehört zum Leben», sagt Weiss.

Doch es liege auch in der Verantwortung der Lehrer, Aufgaben zu geben, welche für die Kinder und Jugendlichen machbar sind.

Mäppli raus, Mäppli rein

Weiss unterrichtet Erst- und Zweitklässler. Sie gibt ihnen beispielsweise den Auftrag, auf dem Schulweg schöne Herbstblätter zu sammeln oder die Eltern zu fragen, wie alt sie sind.

Der Lerneffekt dabei: Die Kinder müssen im Klassenzimmer daran denken, ein Mäppli für das Laub oder die Arbeitsblätter in den Schulsack zu packen. Danach müssen sie sich daran erinnern, die Blätter zu sammeln und die Eltern nach dem Alter zu fragen – und nachher das Laub und die Notizen im Mäppli zu versorgen und dieses in den Schulsack zu stecken, damit sie es am nächsten Tag in der Schule dabeihaben. 

«Mami macht alles»

«So lernen die Kinder, sich zu organisieren und zuverlässig zu sein», sagt Weiss. Das sei wichtig für das spätere Leben. «Ein Handwerker muss seine Formulare und Werkzeuge auch dabeihaben.»

Zwar lerne ein Kind das auch, wenn es daheim ein Ämtli habe und regelmässig im Haushalt helfen müsse. «Doch bei vielen macht das Mami alles.» Weiss sieht es deshalb als ihre Aufgabe, hier Erziehungsarbeit zu leisten.

In der Sekundarschule ist es ein wenig anders. Hier geht es nicht um klassische Hausaufgaben, welche die Schüler daheim erledigen müssen. Vielmehr kriegen sie Arbeiten, für die sie mehrere Tage Zeit haben. «So lernen die Jugendlichen, selbstständig an Projekten zu arbeiten und ihre Zeit einzuteilen», sagt Arlt.

Allerdings haben die Schüler auch während des Unterrichts Zeit dafür. Im Sandgrubenschulhaus gibt es «individuelle Arbeitszeit» während des Unterrichts, in der die Schüler Zeit für solche Aufgaben haben. Arlt kennt Schüler, die alles in dieser Zeit erledigen, und andere, die mehr Pausen brauchen oder auch mal «abgelenkt sind». «Diese müssen dann halt in ihrer Freizeit nochmals dransitzen», sagt er.

Nach zwanzig Minuten ist gut

Weiss und Arlt sind sich aber einig: Kinder und Jugendliche brauchen auch Freizeit und sollten nicht zu lange an den Hausaufgaben sitzen. Für die Primarschule gilt die Faustregel: «10 Minuten in der ersten Klasse, 20 Minuten in der zweiten Klasse und so weiter», sagt Weiss.

Sie rät den Eltern jeweils, ihre Kinder nach 20 Minuten zu stoppen und aufs Aufgabenblatt zu schreiben, es sei zu kompliziert oder zu viel gewesen. «Das ist für mich wichtiges Feedback.»

In der Sek darf es ein bisschen mehr sein, aber für Arlt ist klar: «Mehr als eine Stunde sollten die Sekschüler daheim nicht arbeiten müssen.» Sie hätten bereits wöchentlich über 30 Stunden Unterricht. 

Allerdings gibt es auch Sekundarschüler, die in ihrem Leistungszug etwas überfordert sind und dies mit zusätzlichem Lernen zu Hause kompensieren. Arlt findet das okay. «Solange diese Schüler darunter nicht leiden.»

Je gebildeter die Eltern, desto besser die Kinder

Die Hausaufgaben sind offenbar nicht nur wichtig für die Schüler, sondern auch für die Eltern. Nur, wenn das Kind zu Hause Hausaufgaben macht, erleben die Eltern ihr Kind beim Lernen und Arbeiten. 

Das Ungerechte daran: Es gibt Eltern, die sich viel mehr für die Schule interessieren als andere – und die ihren Kindern viel mehr bei den Hausaufgaben helfen als andere. Das hat Konsequenzen, wie Studien zeigen: Je besser die Ausbildung der Eltern, desto besser sind die Kinder in der Schule – und desto höher ist später ihr beruflicher Status.

Für Arlt ist es deshalb wichtig, dass die Lehrer ihren Schülern Aufgaben geben, die sie alleine lösen können. «Brauchen Schüler die Hilfe ihrer Eltern, ist etwas scheps gelaufen – dann waren die Aufgaben nicht gut formuliert.» Und auch Weiss findet: «Die Eltern sollen dafür sorgen, dass die Kinder die Hausaufgaben machen – aber sie sollen sie nicht für sie machen.»

Artikelgeschichte

Als die erste Version des Artikels veröffentlicht wurde, meldete sich die zitierte Twitter-Leserin und sagte, sie sei selber Reallehrerin. In der aktuellen Version steht das nun drin.

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