Wegen einer Rauferei nach dem Spiel der Schweiz gegen die Türkei vor genau zehn Jahren verpasste Benjamin Huggel die Fussball-WM 2006 in Deutschland. Ein Gespräch über Karriereplanung, Kulturschocks, Weihnachtsspeck – und ein erstaunliches Überholmanöver im Gundeli.
Benjamin Huggel, am 16. November 2005 standen Sie im Mittelpunkt internationaler Schlagzeilen. Sie waren einer der Hauptbeteiligten, die im Anschluss an das WM-Qualifikationsspiel Türkei–Schweiz aufeinander losgingen. Was lösen diese Ereignisse, genau zehn Jahre danach, noch in Ihnen aus?
Nicht mehr viel – zum Glück. Für mich ist dieses Kapitel abgeschlossen und vorbei. Es ist ein Teil meiner Geschichte. Ich habe mich sicherlich nicht vorbildlich verhalten in dieser Situation, aber ich kann es nicht mehr ändern. Und meine Strafe habe ich verbüsst.
Sie wurden vier Spiele gesperrt und verpassten die WM in Deutschland. Wie lange dauerte der Verarbeitungsprozess?
Sehr lange. Schliesslich passierten schwerwiegende Sachen, über die man nicht so schnell hinwegsehen kann. Das war heftig und entsprechend lange dauerte diese Verarbeitung, wahrscheinlich bis zu fünf Jahre.
Wenn sich das Datum nicht gerade jährt, wie oft werden Sie noch auf diese Ereignisse angesprochen?
Relativ häufig, vor allem von Leuten, die mich nicht kennen. Und die es toll finden, was ich gemacht habe. Das löst dann in mir immer wieder komische Gefühle aus und ist mir eher unangenehm. Ich bedanke mich kurz und «guet isch».
Was ist angenehmer?
Ich bin der Typ, der seine Agenda schon immer lieber selber gestaltet hätte, auch als Spieler. Diese Fremdbestimmtheit und diese Unmöglichkeit der Planung hat mich immer gestresst. Da bin ich natürlich froh, dass ich diese Planung nun weitestgehend selbst übernehmen kann.
Sie haben nach Ihrem Rücktritt gesagt, dass Ihnen in erster Linie der «Kabinenspirit» fehlen dürfte, den Sie als Profi täglich erlebt haben, mit all seinen Facetten. Konnten Sie dieses Team-Gefühl mittlerweile irgendwo kompensieren?
Nein, das kann man nicht kompensieren. Aber auch hier: Das Bedürfnis nach diesem Zusammenhalt lässt nach. Früher haben wir fast in dieser Kabine gelebt und gemeinsam unzählige Stunden darin verbracht. Nochmals: Ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt, dass ich dieses Gefühl nicht mehr habe, auch wenn es am Anfang tatsächlich das war, was ich sehr vermisst habe.
Benjamin Huggel steht kurz vor Abschluss seines A-Diploms als Trainer. (Bild: Basile Bornand)
Nach 15 Jahren Profi-Fussball sind Sie nun als Trainer definitiv wieder im Amateurfussball angekommen. Wie lange hat das gedauert?
Es vergingen sicher zwei bis drei Monate, bis ich mich hier eingelebt habe und der Bedeutung bewusst wurde, was es heisst, bei einer 1. Liga-Mannschaft an der Seitenlinie zu sein. Zum Beispiel, wie man mit den Spielern umgehen kann und muss, das Finden einer Mischung zwischen Fordern und Bespassen. Ich profitiere da sicher auch von meiner Vergangenheit, als ich vor meiner Zeit als Profi als junger Erwachsener mit dem FC Arlesheim ebenfalls in der vierthöchsten Liga gespielt habe. Wäre meine Profi-Karriere konsequent quer durch alle Nachwuchsstufen bis zu den Profis verlaufen, wäre der Kulturschock gross gewesen.
Empfanden Sie den Einstieg wirklich als Kulturschock?
Das ist vielleicht zu hart ausgedrückt. Aber: Die Ansprüche, die Spieler in einer Profi-Mannschaft an sich selber stellen, unterscheiden sich natürlich stark von den Ansprüchen, die in einer Amateurmannschaft herrschen. Hier gilt es für mich, zurückzubuchstabieren. Sie arbeiten den ganzen Tag, sie haben andere Ziele, Fussball ist nicht ihr Beruf – da kann ich die Spieler nicht mit den gleichen Forderungen konfrontieren, wie das bei Profis möglich wäre.
Der FC Basel ist Ihr ehemaliger Arbeitgeber…
(Unterbricht) Es ist mehr als ein ehemaliger Arbeitgeber. Klar bin ich nach wie vor interessiert, ich frage sie aber nicht aus, was gerade läuft.
Black-Stars-Sportchef Peter Faé hätte sich gewünscht, Sie hätten Ihren Freund Marco Streller nach dessen Karrierenende als Profi zu sich geholt, nun wünscht er sich das gleiche für Philipp Degen…
Peter Faé ist ein Mensch mit vielen und grossen Ideen.
Das heisst, Sie haben Philipp Degen noch nicht angefragt?
Ich habe mit Philipp gesprochen, er entgegnete aber, dass er noch einen Vertrag besitze bis im kommenden Sommer. Man darf bekanntlich nie zu früh schiessen.
Er oder Sie?
Ich in diesem Fall.
«Ich habe Behrang locker überholt.» (Bild: Basile Bornand)
Mit welchen Gefühlen verfolgen Sie den FC Basel?
Ich freue mich, wenn es gut läuft, bin aber auch nicht total enttäuscht, wenn es nicht so gut läuft. Ich hoffe vor allem für diejenigen Personen, die ich kenne, dass es gut kommt. Und sie erledigen ihre Arbeit im Grossen und Ganzen ja auch gut, was mich freut.
Was spricht dagegen, dass Benjamin Huggel eines Tages im St.-Jakob-Park als Trainer des FC Basel an der Seitenlinie steht?
Ich hoffe nicht, dass etwas dagegen spricht. Das könnte ja nur dann der Fall sein, wenn ich mich nicht in die Lage bringe, dort ein Thema zu werden. Und so hoffe ich, dass ich meinen Teil dabei erfüllen werde. Aber: In der Situation, in der ich mich aktuell befinde, ist dieser Gedanke zu weit weg. Vorher gibt es noch einige Zwischenschritte, die ich absolvieren muss, falls es überhaupt einmal soweit kommen sollte.
Aber träumen Sie davon, einst beim FCB an der Seitenlinie zu stehen?
Träumen? Nein, da bin ich realistisch. Ich versuche dort, wo ich bin, das Beste zu geben und stelle es mir auch nicht vor, wie es wäre, wenn.
Was drei enge Bezugspersonen über Benjamin Huggel sagen
Reto Gafner, Redaktionsleiter Fussball SRF:
«Mein Team und ich schätzen Beni Huggel als eloquenten, versierten und unterhaltsamen Experten. Beni hat sich bestmöglich entwickelt, weil er nicht nur offen ist für Feedback, sondern dieses immer wieder verlangt und eingefordert hat. Er ist für mich derselbe Beni Huggel, den ich bereits als Spieler kennengelernt habe – das spricht für seine Persönlichkeit.»
Yvonne Huggel, Ehefrau und Geschäftspartnerin:
«Ich sehe meinen Mann auch heute nicht häufiger als früher, diese Illusion habe ich bereits ziemlich rasch nach seinem Karrierenende wieder verloren. Beni befindet sich seither in einem ständigen Prozess. Es tut ihm gut, nicht mehr voll im Fokus der Öffentlichkeit zu stehen. Ganz ohne Fussball kann ich ihn mir nicht vorstellen. Das heisst: Wenn Beni seine Trainerausbildung nicht weiterverfolgen würde, wäre es, wie wenn ein Buch nicht zu Ende geschrieben würde.»
Peter Faé, Sportchef FC Black Stars:
«Beni ist ein junger, lernwilliger Trainer, der zu Beginn viel Lehrgeld zahlen musste. Er musste sich an viele Dinge anpassen, die für ihn früher selbstverständlich waren, bei einem Quartierverein wie den Black Stars aber völlig anders laufen. Während seiner Zeit bei uns wurde er fröhlicher, er ist nicht mehr so dickköpfig wie zu Beginn. Am Anfang hatten wir diesbezüglich einige intensive Diskussionen. Benis Handschrift als Trainer ist klar erkennbar, dank ihr spielen wir den schönsten Fussball der Liga.»