Im Namen der Muskatnuss: Für diesen Koch ist Kochen eine Glaubenssache

Thierry Boillat designt Geschmack im Kopf und hat eine Vorliebe für Säure. Mit fast spiritueller Begeisterung erforscht der junge Spitzenkoch das Universum der kreativen Küche.

Kochen ist für ihn nicht nur Arbeit, es gibt ihm Kraft. (Bild: Basile Bornand)

Thierry Boillat designt Geschmack im Kopf und hat eine Vorliebe für Säure. Mit fast spiritueller Begeisterung erforscht der junge Spitzenkoch das Universum der kreativen Küche.

Am ersten Tag der Kochlehre fand Thierry Boillat eine Muskatnuss im Abfluss. Ganz nebenbei steckte er sie in seine Hosentasche. Statt sie aber zu zermahlen, trug er sie stets mit sich herum. Der Jeansstoff verlieh ihr mit der Zeit eine glänzende Oberfläche.

Zwölf Jahre sind seither vergangen und die Muskatnuss ist sein Talisman geworden. Versteckt unter der Kochbluse, baumelt sie heute an einem schwarzen Lederband um seinen Hals.

Nur ein einziges Mal verwendete Boillat diese Muskatnuss tatsächlich zum Würzen. Für das Menü, mit dem er und sein Team vor vier Jahren die Junioren-Kochweltmeisterschaft gewannen. Besitzt die Nuss vielleicht ungeahnte Kräfte? Vielmehr sei es das Kochen selbst, das ihm Kraft verleihe, sagt Boillat dazu. Er glaubt ans Kochen. Und das seit dem ersten Tag, an dem er in einer Küche zu arbeiten begann.

Vorspeisen-Kreator im Restaurant Stucki

«Wann immer ich gekocht habe, ist alles gut gekommen», sagt der 26-Jährige. Vom unsicheren Schüler von früher ist heute nichts mehr zu spüren. Er hat gefunden, was er besonders gut kann.

Sein Weg hat ihn vor einem Jahr aufs Bruderholz geführt. Im Gourmet-Restaurant Stucki kreiert er seither Vorspeisen aus ausgewählten Zutaten, die auf dem Teller erfrischend daherkommen. Chefköchin Tanja Grandits hat ihm damals die Stelle angeboten. «Von Tanja kann ich jeden Tag etwas lernen. Das hat mir gefehlt.» Woanders zu arbeiten könne er sich derzeit nicht vorstellen.



Beim Kochen selbst denke er über nichts anderes nach, sagt Boillat. Dann zählt nur der Geschmack.

Beim Kochen selbst denke er über nichts anderes nach, sagt Boillat. Dann zählt nur der Geschmack. (Bild: Basile Bornand)

Aber seine Erfolgsgeschichte hat auch Schattenseiten. Sie zeigten sich in den Jahren nach der Weltmeisterschaft, als er von einem Koch-Wettkampf zum nächsten reiste. Und erstmals an seine Leistungsgrenze stiess. Einen Ausweg vom Druck erhoffte er sich von der Hotelfachschule. Doch die konnte seine Begeisterung fürs Kochen nicht ersetzen.

Vielleicht ist es wie bei Künstlern, die nach einer Krise in eine neue Schöpfungsphase eintreten. Nach einem Sommer Erholung sah er seine Kochkarriere aus einer ganz neuen Perspektive. Er gab Freunden und Freizeit mehr Platz in seinem Leben. Gleichzeitig wirkte er bei unterschiedlichen Koch-Projekten mit, betrieb zum Beispiel einen Smörrebröd-Stand in der Basler Markthalle.

Immer ganz «fresh» unterwegs

Das hat funktioniert, wie er sagt: «Die letzten zwei Jahre waren enorm erfolgreich für mich.» Für Boillat hat dieser Erfolg jedoch nichts mit Gewinnen zu tun. Er feiert dann, wenn ihm ein richtig «freshes» Gericht gelungen ist. «Fresh» erklärt er, bedeute für ihn frisch und sauer. «Fresh» ist übrigens seit einem Jahr ein vielverwendetes Wort in der Stucki-Küche. Es ist diese Lockerheit nicht nur im Wortschatz –, mit der Boillat hervorsticht. Irgendwie passt die so gar nicht in das gängige Bild von Gourmet-Küche. Dass er sie trotzdem beibehält, macht vielleicht gerade seinen Erfolg aus.

Boillat kreiert 3D-Geschmack im Kopf.

Erfolg heisst für ihn auch, mit Lehrlingen und Praktikanten zu arbeiten. Ein Thema, das dabei stets auftaucht, ist der Geschmack. Mit dem 3D-Geschmack beispielsweise designe er Gerichte im Kopf, sagt er und sorgt damit für verwunderte Blicke bei den Lernenden. Er wisse, wie die Zutaten schmecken und miteinander harmonieren, auch ohne sie in den Mund zu nehmen.

Den 3D-Geschmack brauche er dann, wenn er ein Gericht abschmecke. Seine Geschmacksknospen geben ihm zu verstehen, welche Zutat noch fehlt. Eins ist dabei klar: Auf diese Weise ist Essen längst nicht mehr schlichte Nahrungsmittelaufnahme. Manchmal ist dabei richtige Kopfarbeit gefragt. «Das kann man aber trainieren», ist sich Boillat sicher.

Hängen in der Stucki-Küche und bei Thierry Boillat über dem Sofa: Die zehn Gebote der Kreativität von Ferran Adrià

Hängen in der Stucki-Küche und bei Thierry Boillat über dem Sofa: Die zehn Gebote der Kreativität von Ferran Adrià (Bild: Basile Bornand)

Die Welt der Spitzengastronomie hat ihre eigenen Trainingsansprüche. Aber auch ihre eigenen zehn Gebote der Kreativität. Diese hängen bei Boillat Zuhause über dem Sofa und in der Küche des Restaurants Stucki.

Der Mann, der im Alten Testament Moses hiess, heisst in der Gourmetwelt Ferran Adrià. Er ist Gründer der kreativen Küche und «Jahrhundert-Koch», sagt Boillat. Bestimmt war Kochen auch für Adrià eine Religion. Boillat zumindest ist schon längst auf dem Pilgerweg des Geschmacks. Und immer mit dabei: eine glänzende Muskatnuss unter der Kochjacke.

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Thierry Boillat wird künftig für die TagesWoche unter dem Thema «Essen fürs Auge» aktuelle Geschehnisse kulinarisch umsetzen. Die Rezepte gibt es zum Nachkochen dazu. Für den ersten Blogeintrag wird Boillat ein Bild aus der Gauguin-Ausstellung kochen. Welches, verraten wir Ihnen noch nicht. Wie es aussehen kann schon, mit seinem Erstling für die TagesWoche: Einmal den Rousseau, Monsieur Boillat!

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