«Im Schlotterbeck bestimmten jene, die was unternehmen wollten»

Daniel Häni und Markus Ritter erinnern sich an die erste grosse Zwischennutzung in Basel. Ein Gespräch über Raumverteilung durch Kreidezeichnungen, das Zusammenspiel von alternativ und kommerziell sowie kleinkarierte Linke.

Hans-Jörg Walter, Markus Ritter, Daniel Häni.

(Bild: Nils Fisch)

Daniel Häni und Markus Ritter erinnern sich an die erste grosse Zwischennutzung in Basel. Ein Gespräch über Raumverteilung durch Kreidezeichnungen, das Zusammenspiel von alternativ und kommerziell sowie kleinkarierte Linke.

Vor 25 Jahren startete ein bis dahin undenkbares Zwischennutzungsprojekt, der Werkraum Schlotterbeck. Eine grosse ehemalige Autogarage im Bauhausstil der 1920er-Jahre an der Viaduktstrasse zwischen dem Schwimmbad Rialto und der Markthalle. Das architektonische Unikum wurde drei Jahre lang von Kunstschaffenden und Handwerkern genutzt, bevor es 1994 abgebrochen wurde. Aus dem erfolgreichen Projekt entstanden weitere Zwischen- und Umnutzungen (NT-Areal, @home, Epoque, Bell, Stücki), die teilweise (Werkraum Warteck, Unternehmen Mitte, Gundeldingerfeld) heute noch existieren.

Ein Vierteljahrhundert später sprechen wir mit zwei Protagonisten, die damals als Drahtzieher gewirkt haben: Daniel Häni (49), Unternehmer, Mitbegründer des Kultur- und Kaffeehauses Unternehmen Mitte sowie Mitinitiator der Schweizer Volksinitiative «Für ein bedingungsloses Grundeinkommen» und Markus Ritter, damals Freiraumaktivist und Biologe; heute die rechte Hand von Regierungspräsident Guy Morin. Das Gespräch führte Hans-Jörg Walter, Creative Director der TagesWoche und damals mit seinem frisch eröffneten Fotostudio im Schlotterbeck aktiv.

Beschäftigen wir uns zunächst mit der Vorgeschichte: In den Achtzigerjahren herrschte eine ganz andere politische Atmosphäre als heute. Wie habt ihr das erlebt?

Markus Ritter: Es war eine linke Stadt mit starkem Bürgerblock. Links, weil sie eine Industriestadt war. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts war schön abgebildet. Auch die Medienlandschaft zeigte das beispielhaft: Es gab noch richtige Parteizeitungen mit der sozialdemokratischen «AZ», der «Nordschweiz» als CVP-Blatt und der (heute lamentablen) «Basler Zeitung», die damals liberale und linksliberale Gesinnungen vereinigte, sowie der «Basler Woche», die sehr altbaslerisch-konservativ daherkam.

Daniel Häni: 1989 fiel der Eiserne Vorhang. Ich war damals im November in Berlin. Da war eine echte Aufbruchstimmung spürbar. Und drei Wochen nach dem Fall der Berliner Mauer fand hier in der Schweiz die Volksabstimmung zur Abschaffung der Armee statt. Das war ein Schlüsselmoment, in dem unsere damals unkonventionellen Ideen jenseits vom Blockdenken auf fruchtbaren Boden fielen. Und durch die Volksabstimmung zeigte sich, dass wir gar nicht so wenige sind: Mehr als jeder Dritte stimmte Ja zur Abschaffung der Armee.

Das Autonome Jugendzentrum (AJZ) der siebziger und achtziger Jahre und auch die besetzte Stadtgärtnerei (1987) waren eher Protestbewegungen, also in Opposition zum herrschenden System angelegt. Der Schlotterbeck als konstruktives Projekt brauchte aber mehr als gute Absichten.

Ritter: Wir stellten genau diese «Überwindung der Gegensätze» ins Zentrum unserer Kommunikation. Wir traten als Mischung von Menschen mit unterschiedlichster Herkunft und Gesinnung auf, und es war für unser Gegenüber nicht so einfach lesbar, wo wir hingehörten.

Hans-Jörg Walter, Markus Ritter, Daniel Häni

Das hat mich so in diesen Werkraum gezogen: Nicht die «geilen» oder «lauten» Projekte Einzelner, sondern die gegenseitige Neugier und die Interaktion zwischen den schaffenden Nachbarn. Es war für mich ganz wichtig mitzuerleben, wie Menschen nebeneinander und miteinander leben und schaffen. Figuren, die  ganz unterschiedliche Sachen machen und andere Herangehensweisen an die Problemstellungen ihres Schaffens verfolgen. Zeuge von Schöpfungsprozessen anderer sein zu dürfen und Nachbarn am eigenen Wirken partizipieren zu lassen.

Ritter: Das macht heute auch die Grossindustrie. Offene Arbeitsräume, in denen sich die Menschen begegnen können und dadurch weniger im eigenen abgesteckten Bereich ertrinken. Im Novartis Campus sieht man genau dieses Konzept. Vor 25 Jahren arbeiteten die alle noch hinter verschlossenen Türen in ihren Kaninchenställen.

Wie weit hat der Raum, die Architektur, dem Projekt geholfen?

Ritter: Der Raum war sensationell. Wir hätten dieses Projekt mit diesem Rückhalt in der Stadt auch woanders machen können, doch die Offenheit und das Licht waren einzigartig, begeisternd.

Häni: Der Raum war kongruent zu unserer Idee, alles auf einem Stockwerk zu vereinen: Nähe, Weite und Überblick. Die Architektur ist uns sehr entgegengekommen. Beim Folgeprojekt Warteck sah man, wie kleine, verschachtelte Räume kontraproduktiv wirken können.

Noch mal zur Raumverteilung: Wie wurde die konkret organisiert?

Häni: Wir nannten das «Kreidezeit». Die Interessenten zeichneten mit Kreide ihre Wünsche im noch leeren Raum direkt auf dem Boden. Bevor wir uns definitiv entschieden, holten wir vom Abbruch der Messehalle grosse Fenster mit eingebauten Rollläden. Damit markierten wir die ersten Wände und konnten Transparenz und Intimsphäre simulieren. Es war ein Work in Progress.

Ritter: In der Kreidezeit zeigte sich unmittelbar, wer wo was für Interessen hat. So gab es Ecken, in die gleich sieben hinwollten. So wurde schnell allen klar, dass das der Gemeinschaftsraum werden sollte.

Danach entstanden weitere Zwischennutzungen, die Idee schien in der Gesellschaft angekommen zu sein: Frobenius, Bell, Kiosk AG, Epoque…

Häni: Und es gab die ironische Komponente, dass wir uns für den Schlotterbeck bis auf die Unterhosen ausziehen mussten, um glaubwürdig zu sein, die Volksbank aber in diesen drei Jahren von der Credit Suisse aufgekauft wurde. Der geplante Neubau von Richard Meier sollte die Konzernzentrale Nordwestschweiz werden…

Ritter: Und wurde dann trotzdem gebaut, um einige Jahre nur halb vermietet leer zu stehen.

Häni: Und wer hätte damals gedacht, dass wir nur sieben Jahre später in den Hauptsitz der Volksbank einziehen würden? Das zeigt, dass es manchmal ganz schnell gehen kann und sich Sachen grundlegend ändern können.

Im Werkraum gab es verschiedene Nutzungen, künstlerische wie auch wirtschaftliche. Selbstverständlich war das aber nicht, es herrschten auch gewisse Ressentiments.

Häni: Diesen ideologischen Widerspruch zwischen alternativ und kommerziell haben wir im Schlotterbeck weitgehend aufgehoben. Es wurde klar, alle brauchen Geld, auch wenn sie alternativ sind. Das Thema Geld haben wir übrigens auch mit den Herren der Volksbank ausgiebig diskutiert. (Nachzulesen im Buch «Im Puls der 90er Jahre», Christoph Merian Verlag.)

Ritter: Wir haben bewusst die Mischung in den Vordergrund gestellt, auch der Begriff Werkraum sollte eine Idee abbilden – dass man auch ökonomisch eine Heimat hat.

Häni: Und die Idee des Grundeinkommens trat schon damals in den Raum, also etwa die Aufhebung der Trennung von Arbeit und Leben. Der Werkraum war Arbeitsraum und Lebensraum.

Wie wurde denn das Ganze finanziert?

Ritter: Wir mussten einen Businessplan erstellen und zeigen, dass wir die Miete mit den Nutzern auftreiben können. Es gab Bürgschaften, die das Risiko abfedern sollten. Wir haben eigentlich alles selber organisiert. Es gab keine staatliche Förderung, das wollten wir auch nicht. Dafür aber einzelne kleine Spenden. Auch später beim Werkraum Warteck war es eine Auflage, dass es den Staat nichts kostet.

Häni: Das ist ein spannender Punkt. Der Staat tut sich schwer, etwas Neues zu unterstützen. Sobald er zu etwas Neuem Ja sagt, entstehen daraus Folgeansprüche. Darum sagt er zuerst einfach mal Nein. Was meinst du, Markus, du sitzt ja jetzt auf der anderen Seite, beim Staat.

Ritter: (lacht) Ja, wer schon immer an den Schläuchen hing, den kann man nicht abschneiden, und die Neuen haben immer den Nachteil, dass sie auch noch etwas haben wollen.

Andererseits gibt es aber auch in linken Kreisen die Tendenz, einmal Errungenes zu bewahren und Änderungen zu bekämpfen.

Ritter: Aufeinander zugehen, in einer offenen Gemeinschaft wirken, ist schon eine Zeitsignatur, die heute komplexer geworden ist. Wenn die aus einem linken Umfeld entstandene Wohngenossenschaft Klybeckstrasse eine Baubewilligung für das Zwischennutzungsprojekt «Holzpark» mit einem Rekurs blockiert, werden unsere Autonomen zu Spiessern.

Häni: Da kommt mir ein Spruch aus dieser Zeit in den Sinn: Kennt ihr den Unterschied zwischen den Rechten und den Linken? Die einen sind äusserlich kleinkariert, die anderen innerlich.

Wie hat sich nach dem Schlotterbeck die Werkraumidee weiterentwickelt? Wieso hört man nichts mehr von Werkräumen?

Häni: Das würde ich so nicht sagen. Der Schlotterbeck war ein Pionierprojekt und hat die Methode der Zwischennutzung etabliert. Wenn ähnliche Projekte heute nicht mehr für Aufregung sorgen, ist das sehr positiv, denn es zeigt, dass es selbstverständlich geworden ist.

Ritter: Das Gewerbe und die Industrie haben sich seit den Neunzigerjahren aus den Städten zurückgezogen. In Basel weniger ausgeprägt als an anderen Orten, es hat aber auch hier stattgefunden. Industrielle Prozesse wurden aufgegeben, weil sie nicht mehr rentabel waren. Dieser Strukturwandel in der Industrie hat auch dazu geführt, dass Flächen auf den Markt kamen. Das macht das Modell Zwischennutzung zu einer interessanten Option. Inzwischen gibt es Profis, die den Markt nach solchen Objekten absuchen.

Zwischennutzungen von Privatliegenschaften sind das eine, doch wenn der Staat als Hausbesitzer auftritt, steigen die Ansprüche der Zwischennutzer.

Ritter: Der Staat hat da ein Doppelgesicht: Einerseits ist er Landbesitzer, der auch ein Interesse an Zwischennutzungen hat. Andererseits ist der Staat die Bewilligungsbehörde, das ist seine grässlichste Fratze. Doch um die kommt man nicht herum. Die Verwaltung versucht seit ein paar Jahren Hilfe zu stellen, um diese Auseinandersetzungen zu verflüssigen.

Häni: Wir haben damals bewusst darauf verzichtet, vom Staat etwas zu erwarten und waren schon zufrieden, wenn er uns nicht behindert.

«Wir haben damals bewusst darauf verzichtet, vom Staat etwas zu erwarten und waren schon zufrieden, wenn er uns nicht behindert.» 


Daniel Häni

Doch die Protagonisten von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft waren bald zu Gast im Werkraum. Es war chic, dorthin zu kommen, seine Mitarbeiteranlässe oder Symposien dort abzuhalten. Die Liste der Institutionen und Figuren, die in diesen Werkraum hineinschnupperten, ist sehr lang.

Ritter: Wir waren damals halt ausgesprochen «in».

Häni: Das ist bei vielen solchen Ideen und Projekten so – am Anfang ist man dagegen und nachher sonnt man sich im Erfolg. Ich finde, das ist voll okay.

Ich war in diesen drei Jahren nie im Ausgang. Der Ausgang war da, wo man wirkte. «Tout Bâle» verkehrte in unserer grossen Werkraumstube.

Hani: Und dabei hat niemand im Werkraum gewohnt. Das war eine eiserne Regel: Nicht wohnen.

Ritter: Denn das wäre der Anfang einer Besetzung gewesen… 

Mehr Videos zum Thema, inklusive AJZ und Alte Stadtgärtnerei, finden sie in unserer interaktiven Zeitleiste.

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