Neulich wurde ich als «kleine Zionfotze Knackeboul» bezeichnet. Das fand ich niedlich. Wenn ich daran denke, was mir schon alles angehängt und angedroht wurde, war das schon fast lustig. Ich twitterte es, worauf einige meinten, sowas sollte zur Anzeige gebracht werden. Ich lächelte milde und schob den Screenshot mit dem Spruch in meinen «Hate»-Ordner.
Wenn die Hater wüssten, dass ich nach alter Illuminaten-Manier nur das Geschäft im Auge habe. Denn wenn ich mal genug habe von blöden Videos, halb erfolgreicher Musik und kritischen Kolumnen, verklage ich die alle. Jede Woche einen.
Die Namen und Tatbestände sind leicht festzuhalten. Diese Intelligenzbestien beschimpfen und bedrohen mich nämlich meistens unter echtem Namen und Profilbild. Konsequente Klagen dürften mir darum locker das Monatsgehalt eines Primarlehrers einbringen.
Aber das spare ich mir für später auf. Momentan müssen Hurensöhne noch Hurensöhne genannt werden und wer austeilt, muss auch einstecken können. Wobei, die Mordfantasien gegen mich und die Vergewaltigungsandrohungen gegen Frauen in meinem Umfeld mit der Zeit leider eher zermürbend wirken, als dass ich mich daran gewöhnen würde.
Somit wären wir beim ernsteren Teil. Was habe ich denn gemacht? Ich war auf Reisen in Tel Aviv und Jerusalem und hab es mir nicht nehmen lassen, ein Foto am Rothschild-Boulevard aufzunehmen und und online zu stellen.
Wie salonfähig der Judenhass noch immer ist, wurde mir erst in den letzten Jahren so richtig bewusst.
Der sagenumwobene Familienname ironischerweise auf blauem Schild, ich davor, die rechte Hand zum Guckloch geformt vor meinem rechten Auge. Dazu der Spruch «Grüsse aus Israel». Das wirkte auf mehreren Ebenen provokativ. Sollte es auch. Ich wollte zeigen, wie viel Antisemitismus in gewissen Rap-Kreisen oder – noch erschreckender – in den Köpfen mancher Linker schlummert.
Das Thema Rassismus in der Schweiz beackere ich schon seit vielen Jahren. Dieser wird meistens von Rechts geschürt. Wie salonfähig der Judenhass in Europa noch immer ist, wurde mir aber erst in den letzten zwei bis drei Jahren so richtig bewusst.
Wenn man sich von aussen mit den Weltbildern befasst, die in manchen Proberäumen aus Haschschwaden wachsen, kann man nur schemenhaft erahnen, mit was für einem Schund jüdische Mitbürger wohl immer wieder konfrontiert werden. Die Geschichte ist immer die Gleiche. Die Weltbank, die Geheimbünde, die Grosskonzerne ziehen im Hintergrund die Fäden und die Geblendeten laufen wie Zombies auf ihre Screens starrend und konsumierend in den Abgrund.
Ich könnte die «Protokolle der Weisen von Zion» auf meiner Wall posten und die Likes wären mir gewiss.
Zum Glück gibt es einzelne Kämpfer für die Wahrheit, die in Rap-Texten, Youtube-Videos und (wenn sie schreiben können) Büchern vor der Verschwörung warnen. Wer mit der Weltbank gemeint ist, ist klar. Früher hinter vorgehaltener Hand in Studenten-WGs geäussert, wird es inzwischen lauthals in den Cyberspace geschrien: Es sind die Juden!
80 Jahre nachdem Hitler mittels eines erschreckend ähnlichen Narrativs Abermillionen Menschen massakriert hat, lebt das Schreckgespenst der jüdischen Weltverschwörung immer noch. Social Media macht das nicht besser. Inzwischen könnte ich die «Protokolle der Weisen von Zion» auf meiner Wall posten und die Likes dieser ach so erleuchteten Wahrheits-Rapper und Prediger wären mir gewiss. Zum Glück habe ich es geschafft, das Wort «Verschwörungstheorie» nur spärlich zu benutzen.
Es gibt inzwischen Stimmen, die behaupten, ich sei besessener von Verschwörungstheoretikern als diese von der Verschwörung. Aber ich kann in diesem Text nur andeuten, in was für einen Schlund der Paranoia und des Judenhasses ich in den letzten Monaten geschaut habe. Er ist (wieder) hier. Weltweit, in Europa, in der Schweiz.
Der Antisemitismus grassiert oft da, wo man ihn nicht erwartet.
Das zeigt sich etwa daran, dass ein Urlaubsfoto eines Rappers aus Zürich, der schändlich wenig Juden kennt und dessen Verbindungen in die Hochfinanz leider verschwindend klein sind, auf mehreren Facebook-Profilen für seitenlange Diskussionen sorgt. Tenor: «Die kleine Zionistenfotze Knackeboul hat einmal mehr bei den Illuminaten den Bückling gemacht, um mitzuhelfen hier via Mainstream-Medien die grosse Lüge der Zionisten zu verbreiten. Aber Babylon wird fallen und damit auch seine Zudiener.»
Der Antisemitismus grassiert oft da, wo man ihn nicht erwartet. Zum Beispiel eben in gewissen Hip-Hop-Kreisen. Wobei man sagen muss, dass es sich dabei um eher unbekannte Rapper handelt, die ihren Misserfolg gerne auf eine Intrige gegen sich zurückführen statt auf ihr mangelndes Talent. Passt.
Nun zu der Fusszeile «Grüsse aus Israel». Die ist natürlich grenzwertig im wahrsten Sinne des Wortes. Aber auch diese Zeile ist eine Anspielung auf einen Gesinnungs-Missstand einiger linker Aktivisten in der Schweiz und vor allem in Deutschland.
Wenn zum Boykott von Importwaren aus Israel aufgerufen wird, muss ich an «Kauft nicht bei Juden!» denken.
Natürlich ist die Behandlung der Palästinenser ungerecht, die Geschichte Israels schwierig und seine Siedlungspolitik problematisch; sich deswegen mit der Hamas zu solidarisieren aber auch.
Nach Trumps skurriler Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels kam es vor allem in Deutschland zu Protesten und Kundgebungen, bei denen Araber, Linke und Holocaust-Leugner gemeinsam auf die Strassen gingen. Davidssterne brannten. Synagogen wurden angegriffen.
In meinem Umfeld wird immer wieder zum Boykott von Importwaren aus Israel aufgerufen, und ich muss jedesmal an «Kauft nicht bei Juden!» denken. Die Kritik an der Rolle Israels im Nahostkonflikt mag stringenter klingen als die Argumente der Verschwörungsschwurbler, aber in ihren Extremen vereinen sich die zwei Weltbilder zu einem. Der intrigante Jude, der mit seinen Machenschaften die ganze Welt knechtet und vernichtet werden muss. 2017. In meiner Timeline. Nein!